Titelseite ak
ak Newsletter
ak bei Diaspora *
ak bei facebookak bei Facebook
Twitter Logoak bei Twitter
Linksnet.de
Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 637 / 17.4.2018

Die Einhornjagd

Wirtschaft & Soziales Der geplante Google Campus in Berlin-Kreuzberg soll als Vernetzungsort für Tech-Unternehmen und Start-Ups dienen

Von Paul Dziedzic

Google ist kein guter Nachbar« ließen Aktivist_innen an die Wand des Umspannwerks in Kreuzberg projizieren, in das der Google Campus dieses Jahr im September einziehen soll. Seit Anfang des Jahres verstärkt sich der Widerstand gegen die Pläne des Tech-Giganten. Regelmäßig finden Kiezspaziergänge statt, bei denen Aktivist_innen lautstark auf die Probleme mit Google aufmerksam machen: Gentrifizierung, Überwachung, Prekarität. Es haben sich mehrere Bündnisse formiert, die den Einzug des Tech-Unternehmens in Kreuzberg verhindern wollen. Internationale Medien haben das Thema mittlerweile auch aufgegriffen.

Kreuzberg ist seit Jahren einer der attraktivsten Standorte für Start-Ups. Das ehemalige Start-Up Zalando ist hier und die Factory Berlin: ein Bürokomplex, in dem Firmen wie Google, Uber, Soundcloud und die Deutsche Bank sitzen, hat in der Lohmühlenstraße am Rand des Görlitzer Parks eröffnet. Der erhoffte und anderenorts funktionierende Effekt: einen »Cluster« zu kreieren, also eine Verdichtung von Start-Ups und Tech-Firmen, um Kooperationen, Investitionen und einen Austausch zu erleichtern.

Neben Städten wie Warschau, Sao Paolo, Tel Aviv oder Seoul soll in Berlin der siebte Campus dieser Art entstehen. Offiziell sieht das Konzept vor, lediglich Arbeitsplätze für Start-Ups bereit zu stellen. Das vermarktet das Unternehmen als »Kaffee aufsetzen«. Wichtiger ist jedoch, dass der Ort Gründer_innen, Programmierer_innen und Investor_innen als Vernetzungsort dienen soll. Veranstaltungen von und für Start-Ups, Mentorship-Programme mit erfahrenen Unternehmern und Weiterbildungsmöglichkeiten sollen den Start-Ups helfen, sich zu entwickeln. Anders betrachtet ist der Campus jedoch eine Art Kaderschmiede für Google, ein Ort, an dem sofort ausgesiebt werden kann, Ideen und Investitionsmöglichkeiten schnell ausgeschöpft werden können.

Google hat seine Kampagne dem Diskurs um Kreuzberg angepasst und spricht von »Kiezen«, »Nachbarschaft« und »Gemeinschaft«: Das Unternehmen will als guter Nachbar verstanden werden. Zum Beispiel durch kleine Gesten, wie die Illustrationen der afrodeutschen Dichterin und Aktivistin May Ayim auf der deutschen Google-Startseite oder ein exklusives Fest für die Nachbarschaft. In seiner Öffentlichkeitsarbeit präsentiert sich Google als das kleine Unternehmen von einst, das in einer Garage entstand, und nun etwas an die »Gemeinschaft« zurückgeben will. Auf dem Campus sollen Veranstaltungen für und von der Nachbarschaft möglich sein; Nachbar_innen sollen sich digital weiterbilden können.

Für die Bundes- und Landespolitik ist der Einzug internationaler Unternehmen ein Segen. Im September letzten Jahres präsentierte die grüne Wirtschaftssenatorin Ramona Pop ihre Pläne für ein Kreuzberger Silicon Valley. Ein Vorhaben, in das der Senat 225.000 Euro investieren will.

In Sachen Image scheinen Berlin und der Start-Up-Sektor wie füreinander geschaffen: cool, weltoffen, liberal und kreativ. Auf diese Gemeinsamkeit mit San Fransisco machen Gentrifizierungsgegner_innen seit Jahren aufmerksam. Die stadtpolitischen Initiativen in Berlin haben indes alle Hände voll zu tun. Mieterhöhungen und Räumungen sind weitaus greifbarere Interventionsgründe als die Ansiedlung eines Campus. Doch das ändert sich langsam. Es tobt vor allem ein Kampf um die dominante Narrative: die, in der Start-Ups zum Wohlstand der Stadt und ihrer Bewohner_innen beitragen gegen eine, in der Start-Ups als Spekulationsfaktor für Immobilien jene verdrängt, die dort schon seit Jahrzehnten arbeiten und leben.

Schöne neue Arbeitswelt

Start-Ups sind junge, technologisch orientierte Unternehmen mit innovativer Idee und hohem Wachstumspotenzial. Im Gegensatz zu anderen Unternehmen ihrer Größe ist das Ziel eine schnelle und umfassende Expansion. Im letzten Jahr haben die mehr als 600 Berliner Start-Ups und Tech-Unternehmen Investitionen in Höhe von fast drei Milliarden Euro erhalten. Das Start-Up-Segment, zu dem größere Firmen wie Zalando oder Lieferheld nicht mitzählen, beschäftigte 2015 über 13.000 Menschen in Berlin.

Vor allem junge Menschen, gut die Hälfte von ihnen aus dem Ausland, fühlen sich von Start-Ups angezogen. Sie verkörpern einen scheinbar fundamentalen Wandel der Arbeitswelt gegenüber der vorherigen Generation: flache Hierarchien, Selbst- und Mitbestimmung am Geschehen sowie kleine Teams. Sprache und Vokabular sollen den Innovationsgeist widerspiegeln. Nicht selten ist von »Helden« die Rede anstatt von Angestellten; in den Personalabteilungen wird »Glücksmanagement« betrieben und nicht um den Lohn verhandelt.

Das ultimative Ziel eines typischen Start-Ups ist es, ein »Einhorn« zu werden. Einhörner sind Start-Ups, die den Marktwert von einer Milliarde Dollar überschreiten und den ganzen Sektor prägen: wie Uber, Airbnb oder Snap Inc. »Die Absichten sind wohlwollend«, sagt Zahra, die selbst als Office Managerin in einem Start-Up arbeitet. »Vieles ist experimentell. Die Leute machen das zum ersten Mal und haben vielleicht gelesen, dass etwas in San Francisco funktioniert hat und wollen es in Berlin versuchen.« Oftmals fehlt den Start-Ups, die im Schnitt aus kleinen Teams von zehn Leuten bestehen, eine Struktur: Finanz-, Verwaltungs- oder Personalabteilungen gibt es nicht wirklich. »Was zählt,« so Zahra, »ist die Möglichkeit, an etwas teilzuhaben, persönlich zu wachsen und sich weiterzubilden.«

Wenn ein solches Start-Up dann wächst, sieht das nach ein paar Finanzierungsrunden schon anders aus. Investor_innen, die bereit sind, Risikokapital zu investieren, haben weitreichenden Einfluss auf das Management einer Firma. Meist wird alles darauf ausgelegt, schnell zu expandieren, denn Renditen auf Risikokapital sind hoch. Dann wird die Arbeiterschaft nochmal professionalisiert oder gar ausgetauscht, und viele Aufgaben werden ausgelagert. Obwohl sich die Firmen so cool wie möglich geben wollen -, mit Tischkickern, Bällebädern und gratis Obstkörben in Büros - stellt sich immer noch die Frage: Wer kümmert sich um die materiellen Interessen der Arbeitenden? Und was, wenn die Vorgesetzten nicht »nett« sind? Was, wenn der Lohn am Ende nicht ausreicht, um die Miete zu bezahlen?

Als Zahra ihre Gewerkschaft kontaktierte, um herauszufinden, welche Strategien sie mit Hinblick auf Start-Ups haben, merkte sie schnell, dass dort über solche Fragen nicht nachgedacht wird. Also organisierte sie einen Stammtisch und nutzte die bei Start-Ups beliebte Kalender-Plattform Meet-Up, um regelmäßig Treffen mit anderen aus der Szene zu organisieren und sich auszutauschen. Sie ging auch auf die Critical Workers zu, um mehr über ihre Rechtsberatung zu erfahren. Das Kollektiv kämpft gegen Prekarität und Ausbeutung von Arbeitenden. »Es war das erste Mal, dass jemand aus einem Start-Up zu mir kam«, sagt Stefania Animento, die bei den Critical Workers aktiv ist und zur Arbeits- und Wohnsituation von Migrant_innen in Berlin forscht. Laut Stefania ist es schwierig, die atomisierte Arbeiterschaft in den Hunderten von Kleinbetrieben zu erreichen. Sie beobachtet, dass viele dieser Arbeitgeber nicht nur innovativ im Hinblick auf ihr Produkt sind, sondern auch was die Arbeitsrechte betrifft: Intensive Nutzung der Probezeit für Hire-And-Fire-Methoden oder Scheinselbstständigkeit gehören zu den angewendeten Mitteln, um Löhne zu drücken. Wichtig ist es ihr, Strategien der Firmen zu verstehen und gegen diese anzugehen. Und das funktioniert neben der Rechtsberatung durch Informationskampagnen.

Solidarität ist möglich

Was die vielen Zahlen rund um Start-Ups und die Tech-Szene nicht verraten, sind die großen Ungleichheiten, die es innerhalb des Sektors gibt. Viel Kapital fließt durch sogenannte Inkubatoren und wird unter anderem dazu gebraucht, die heiß umkämpften Fachkräfte zu bewerben und zu versorgen. Dazu gehören ausgefallene Bureau Designs und soziale Aktivitäten, aber auch Kooperationen mit Immobilienhändler_innen. Die Entlohnung fällt sehr unterschiedlich aus: Laut einer Umfrage von Jobspotting.com verdient eine Person im Vertrieb, je nach Erfahrung, zwischen 2.000 und 2.500 Euro brutto monatlich. Manager_innen und IT-Entwickler_innen verdienen zwischen 2.500 und 5.000 Euro. Laut dem Start-Up Monitor für 2017 sind nur 16 Prozent Frauen in den Chefetagen vertreten, und der Gender Pay Gap ist mit 25 Prozent in diesem Sektor höher als im deutschen Durchschnitt. Menschen wandern von Probezeit zu Probezeit, einige »freiwillig«, weil sie in erster Linie einfach nur in Berlin leben wollen, andere aus der Not heraus.

Trotz des lockeren Images existieren in Start-Ups die herrschenden Gesellschaftsverhältnisse weiter. Der Widerstand gegen Google sollte sich dementsprechend nicht nur gegen Gentrifizierung und Verdrängung richten, sondern ist auch eine Frage der Produktionsverhältnisse. »Die Menschen müssen sich kennenlernen, um zu verstehen, dass ihre Geschichten gar nicht so unterschiedlich sind. Das ist ein bisschen schwer, einerseits wegen der Sprache, andererseits, weil die aktivistische Szene hier in Berlin nicht immer so offen ist«, sagt Stefania. Doch es gebe auch Kieze und Bezirke, wo an Kämpfen historisch verschiedene Akteure beteiligt waren, so wie in Kreuzberg.

Konstantin von der Stadtpolitischen Initiative Bizim Kiez sieht ebenfalls viel Potenzial für Kooperationen: »Wir müssen Narrative schaffen, die diese Leute auch einbinden. Das fängt auch schon an.« Ihn interessiert auch, welchen Beitrag sie zur Gestaltung der Stadt haben können. Die unter anderem auch von Bizim Kiez organisierte Demonstration am 14. April hatte das Ziel, die vielen Aspekte in der Stadtentwicklung zusammenzubringen. Sie war auch ein Versuch, Menschen stadtpolitisch stärker einzubinden. Dazu gehören natürlich auch jene, die in Start-Ups unter schwiegen finanziellen und sozialen Bedingungen zu kämpfen haben. Von der jahrzehntelangen Tradition des politischen Kampfes können auch nach Berlin gezogene Menschen profitieren. Google und andere Tech-Giganten werden sich nicht in das gemachte Nest legen können, dass sie sich vielleicht erhoffen.

Paul Dziedzic arbeitet als freier Autor und Trainer zu postkolonialen Themen und internationalen Beziehungen.