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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 637 / 17.4.2018

Julbrot backen ist nicht mehr attraktiv

Gender Die Geschlechterforscherin Juliane Lang über rechte Mobilisierungen im Namen von Frauen

Interview: Claudia Krieg

»Frauen von Kandel«, »Identitäre Bewegung«, »120db«: Die neuen rechten Bewegungen im Namen von Frauen und ihren Rechten nehmen immer mehr Raum ein - in sozialen Netzwerken und auch auf der Straße. (1) Juliane Lang ist Mitherausgeberin des gerade erschienenen Sammelbandes »Antifeminismus in Bewegung«. Sie arbeitet zu Geschlechterpolitiken und der AfD.

Für den 2. Juni hat das AfD-Mitglied Leyla Bilge einen neuen »Marsch der Frauen« in Berlin angekündigt. Im Februar wurde die erste Version davon weitgehend verhindert. Im Nachhinein erschien er häufig als nahezu reine Männer- und Nazi-Veranstaltung. Stimmt das?

Juliane Lang: Da gibt es sehr unterschiedliche Wahrnehmungen. Es waren mehr Frauen, als an dem Tag, vor allem über Twittermeldungen, verbreitet wurde. Bilder von »prolligen, dickbäuchigen, trinkenden Neonazis« werden genutzt, um dem Aufmarsch die Legitimität als einem Ort, an dem sich für die »Rechte der Frauen« eingesetzt wird, zu entziehen. Das ist in der politischen Auseinandersetzung nachvollziehbar.

In der Analyse dessen, was da geschieht, müssen aber andere Kategorien angelegt werden. Als Beobachterinnen wie auch als politisch Aktiven auf der anderen Seite der Polizeiketten fehlen uns teilweise noch die Koordinaten, um einzuordnen, was da aktuell geschieht. Leyla Bilge und andere versuchen, dies in ihrem neuerlichen Aufruf zu instrumentalisieren. Sie sagen: »Was wollt ihr denn? Hier haben doch Schwule, Migranten und Frauen geredet!« Damit trifft sie einen Punkt. Aber mich interessiert nicht, ob der Redner gleichgeschlechtlich liebt oder in welchem Geschlecht sich die Rednerin sozialisiert fühlt. Selbstverständlich gibt es gleichgeschlechtlich liebende Personen, die rassistische Ausgrenzungspolitiken befürworten. Warum sollten sie das nicht tun?

Aber gibt es dafür Erklärungen?

Eigene Ausgrenzungserfahrungen führen nicht automatisch zu einem empathischen Blick auf andere Ausgegrenzte. Eigene Ausgrenzungserfahrungen können kompensiert werden über rassistische Ausgrenzungserfahrungen, es erfolgt eine eigene Aufwertung qua Abwertung der Anderen. Und das klingt bei Bilge und anderen durch: Ihre Rechte verteidigen gegen die diejenigen, die jetzt kommen. Das erklärt, warum Migranten und Migrantinnen der zweiten Generation in der AfD aktiv sind. Alexander Tassis, Kind von Gastarbeitern und offen homosexueller Politiker in der AfD, antwortet auf die Frage, ob er sich eher schwul fühle oder deutsch: eher deutsch. Leyla Bilge wird nicht müde, sich in schwarz-rot-goldener Kleidung zu inszenieren.

Was sagen Kampagnenformate wie 120db über diese neuen Mobilisierungen aus?

Ich beobachte die Aktivitäten extrem rechter Frauen seit vielen Jahren. Und da kann ich sagen, dass aktuell in der öffentlichen Debatte die klassischen Frauenorganisationen keine Rolle mehr spielen, die in den späten 1990er und 2000er Jahren förmlich aus dem Boden geschossen sind. Die sind zwar nach wie vor aktiv und versuchen, sich an Debatten zu beteiligen, aber sie spielen für die Mobilisierung junger rechter Frauen im Grunde keine Rolle mehr. Diese wollen, so würde ich behaupten, auch nicht mehr mit der NPD- und RNF-Aktivistin Edda Schmidt Erntedankfest feiern oder Julbrot backen.

Phänomene wie die Identitäre Bewegung (IB) sind dagegen bislang nicht durch eine hohe Anzahl von Aktivistinnen aufgefallen. Bis auf einige wenige Postergirls gab es da wenige Auftritte von jungen Frauen als Rednerinnen, sondern eher inszeniert als Begleitung von IB-Protagonisten wie Martin Sellner. Das ändert sich nun. Die Frauen von 120db sind sehr jung - und bekommen durch diese Kampagne einen ungeheuren Schub an Professionalität, sie haben innerhalb weniger Monate eine komplette Metamorphose durchlaufen. Das sind gut ausgebildete Frauen, die mittlerweile eloquent vortragen, wie sich die Zahl zugewanderter Männer auf Vorfälle sexualisierter Gewalt auswirke. Sie verdrehen Zahlen und Statistiken - und formulieren zugleich eine Anklage an »die Feministinnen«, die mit Kampagnen wie #metoo und #aufschrei die »falschen Probleme« thematisieren würden.

Woher nehmen diese Frauen die Vehemenz, mit der sie ihre Positionen vertreten?

Die Positionen, die sie vertreten, entstammen gesellschaftlichen Debatten und der rechten Schlagzeilen-Politik. Diese Frauen sind mit der Selbstverständlichkeit aufgewachsen, dass Frauen politisch denkende Subjekte sind. Das ist ein Unterschied zum Großteil der neonazistisch-völkischen Frauen, die sich, wenn politisch, ja eher im Rahmen des Sozialen betätigt haben. Hier handelt es sich um junge Frauen, die gelernt haben, dass sie eine politische Meinung haben, die sie vertreten können und die sie in mehreren Sprachen fließend in die Kamera sagen können. Die Werte, für die sie dabei stehen, können den 1950er Jahren entnommen werden.

Ist das der Antifeminismus, über den ihr auch in eurem Buch schreibt?

Diese Frauen und ihre Positionen sind in der Hinsicht antifeministisch, dass sie eine Anklage an »den Feminismus« richten, der die »wahren Probleme des Landes« nicht benennen würde. Als Beispiel dafür gilt ihnen unter anderem #metoo. Sie sagen: Ein Kompliment kann nicht als sexualisierte Gewalt gesehen werden. Die wirkliche Gewalt in diesem Land werde hingegen nicht benannt. Dies ist eine Spielart, die sich tatsächlich auf feministische Politiken bezieht.

Im Buch »Antifeminismus in Bewegung« definieren wir einen Doppelcharakter des modernen Antifeminismus. Er funktioniert einerseits in Abgrenzung von feministischen Politiken und erfindet sich andererseits das Feindbild des Feminismus selbst. Das heißt: Nicht Feministinnen bestimmen, für was Feminismus steht, sondern der Antifeminismus bestimmt das. Er setzt Feminismus und einen dafür erfundenen »Genderismus« gleich - und erklärt sich zum Gegner dessen. Verhandelt werden u.a. Gleichstellungs-, Diversity- und Bevölkerungspolitiken - aber auch insgesamt gesellschaftliche Liberalisierungen der vergangenen 50 Jahre.

Den Kampf gegen Gender gibt es allerdings schon länger?

Ja. Dieser Kampf begann 2006. Es kam nicht aus der extremen Rechten, sondern aus dem bürgerlich-konservativen Spektrum. Volker Zastrow schrieb damals in der FAZ den ersten Schmähartikel zu Gender als »politischer Geschlechtsumwandlung«. Da ist die Rechte aufgesprungen. Die Hetze gegen Gender ist ein Scharnier für unterschiedliche Lager, Geschlechterpolitiken mit rassistischen Ausgrenzungspolitiken zu verknüpfen - allen voran dabei die AfD. Ihren Rückhalt finden sie in den bürgerlichen Medien. Jan Fleischhauer, Matthias Matussek und Birgit Kelle schreiben seit Jahren in den Feuilletons der großen Zeitungen lange Ausführungen, dass es sich bei Gender um »bloße Ideologie« handeln würde. Ihnen zur Seite stehen Wissenschaftlerinnen, die insgesamt die kritische Geisteswissenschaften infrage stellen - sowohl aus den Natur- und Technikwissenschaften als auch aus den Sozialwissenschaften selber.

Auf sie beziehen sich auch sogenannte Lebensschützerinnen und Pro-Life-Aktivisten, die gut vernetzt und international ihre »Märsche für das Leben« veranstalten - gerade gab es einen in Münster, am 16. Juni wird es einen in Annaberg-Buchholz geben. Sie sind die treibenden Kräfte hinter den Anzeigen gegen Ärzte und Ärztinnen, die Informationen zu Schwangerschaftsabbrüchen zur Verfügung stellen. Und es gibt Anklagen von Männerrechtsgruppen und Journalisten wie Jens Jessen, der kürzlich in Der Zeit vom »bedrohten Mann« schrieb - bedroht durch feministische Politiken von #metoo und dem »Triumph eines totalitären Feminismus«.

All jene Akteure und Positionen finden ihren Weg in die parlamentarische Politik: Die CSU hat Ende 2016 in ihrem Grundsatzprogramm aufgenommen, dass sie sich »gegen Genderideologie und Frühsexualisierung« stellt. Es ist völlig unklar, um was es sich dabei handeln soll. Das sind Schlagworte rechter Akteure, die übernommen, aber nicht mit Inhalt gefüllt werden.

Welche Folgen hat dieses Gender-Bashing?

Es gibt bereits eine deutliche Verunsicherung bei Pädagoginnen und Pädagogen, die sich fragen, was sie eigentlich noch dürfen. Die Beratungsarbeit zu sexualisierter Gewalt wird deutlich erschwert. Der Populismus nimmt durch eine an Skandalen interessierte, undifferenzierte Auseinandersetzung mit sexualisierter Gewalt in allen Teilen der Gesellschaft zu. Inwiefern #metoo oder #aufschrei Fenster für eine differenziertere Auseinandersetzung sind, kann ich nicht abschließend sagen. Sagen kann man, das sehr viele Beiträge entstanden sind, mit denen diejenigen, die es besser wissen möchten, als dass, was öffentlich verhandelt wird, sich informieren können. Wem es nur um Populismus geht, wird das auch weiterhin nicht wahrnehmen. Es wird zukünftig darum gehen müssen, sich mit breiten Bündnissen den verschiedenen Formen von Antifeminismus entgegenzustellen. Dabei geht es sowohl um die Verteidigung von Freiheiten und Werten in der politischen Auseinandersetzung als auch um die Analyse des Spektrums der dahinter stehenden rechten Ideologieformate. Wir müssen Antifeminismus benennen und ihm entgegentreten - egal ob er von der AfD, Maskulinisten oder Neonazis in Anschlag gebracht wird.

Juliane Lang, Ulrich Peters (Hg.): Antifeminismus in Bewegung. Aktuelle Debatten um Geschlecht und sexuelle Vielfalt. Marta Press, Hamburg 2018. 336 Seiten, 20 EUR

Anmerkung:

1) Auf 120 Dezibel (db) ist die Lautstärke des sogenannten Taschenalarms eingestellt, der an Frauen verkauft wird, die sich gegen Vergewaltigungen oder sonstige Übergriffe auf der Straße verteidigen wollen. Die 120db-Kampagne der Identitären wurde als Antwort auf #metoo konzipiert.