Die Konsensfalle
Gender Die Diskussion über sexualisierte Gewalt geht von falschen Voraussetzungen aus
Von Bahar Sheikh
Spätestens seit den Vorwürfen gegenüber dem US-Schauspieler und Regisseur Aziz Ansari diskutieren Medien und Aktivist_innen »consent« (Konsens oder Zustimmung) wieder intensiv. Eine Frau, mit der Ansari ein Date hatte, wirft ihm vor, dass er übergriffig geworden ist. (1) Nun wird darüber gestritten, ob der Vorfall wirklich als sexualisierte Gewalt beschrieben werden sollte oder nicht.
Viele Beiträge in dieser Debatte drehten sich um die Frage, ob Konsens gegeben war - mit dem Ziel festzustellen, ob ein sexueller Übergriff stattgefunden hat oder nicht. Die Frage nach Konsens soll helfen, Schuld und Verantwortung zu lokalisieren. Einige Konsensmodelle wollen sicherstellen, dass immer die Zustimmung aller Beteiligter gegeben ist - andere behaupten, dass jeder Sex ohne (verbalen, enthusiastischen) Konsens Gewalt sei. Gleichzeitig betrachten Feminist_innen Konsens häufig als »Prävention« gegen sexualisierte Gewalt: Wenn alle Menschen Konsens praktizieren würden, sei gewährleistet, dass potenziell grenzüberschreitendes, gar gewalttätiges Verhalten nicht stattfindet. Viele Feminist_innen fordern deshalb, dass man Konsens »lernen« oder seinen Kindern »beibringen« soll.
Bei Konsens geht es in erster Linie um Kommunikation. Dabei geht man von einer Situation aus, in der zwei Personen eventuell intim miteinander sein wollen, aber ihre Grenzen wegen fehlender Kommunikation überschritten werden könnten. In diesem Fall kann man sagen: Wenn alle an den richtigen Stellen »Ja« und »Nein« sagen würden, wenn sie erklären würden, was sie wollen und was nicht, könnten Grenzüberschreitungen zwischen einander wohlwollend gegenüberstehenden Personen vermieden werden.
Dabei scheinen die Grenzen zwischen schlechtem Sex, ungewollten Grenzüberschreitungen und sexualisierter Gewalt schwammig. Alles, was nicht unter die hegemoniale Konsensdefinition fällt, die Tanya Serisier in ak 636 beschrieb, könnte als sexualisierte Gewalt gelten. Konsens bzw. die Abwesenheit von Konsens erscheint jedoch unzureichend für die Bestimmung von sexualisierter Gewalt, weil nicht jede Grenzüberschreitung mit sexualisierter Gewalt gleichgesetzt werden kann. Viele Fragen bleiben unbeantwortet: Ist eine Grenzüberschreitung Gewalt, wenn sie nicht beabsichtigt ist? Ist es Gewalt, wenn sich eine Person nach dem Sex schlecht fühlt? Oder ist es erst Gewalt, wenn jemand »Nein« sagt und die andere Person das »Nein« missachtet? In der Diskussion rund um #metoo und den Fall Ansari werden diese Ideen selbst selten in Frage gestellt. Impliziert wird, dass man ja »nur« Konsens praktizieren müsse, um das Übel der sexualisierten Gewalt zu beseitigen.
Ein Diskurs, der versucht, Konsens als Prävention gegen Gewalt durchzusetzen, nimmt in Kauf, dass sexualisierte Gewalt als »Missverständnis« oder Fehlkommunikation konzipiert wird: Wenn nur alle mehr und besser miteinander kommunizieren würden, könnten sexuelle Übergriffe verhindert werden. Das missachtet aber die Machtdynamiken, die sexualisierter Gewalt oft zugrunde liegen.
Sexualisierte Gewalt findet nicht in einem Vakuum statt, sondern wird von gesellschaftlichen Machtverhältnissen beeinflusst. Wenn man von zwei gleichberechtigten Beteiligten ausgeht und nicht die ungleichen Machtverhältnisse benennt, in denen Gewalt oft ausgeübt wird, kann man die meisten Szenarien sexualisierter Gewalt gar nicht erfassen. Wenn jemand dir wehtun will, ist es herzlich egal, ob man selbst Konsens gut findet - Konsens funktioniert nämlich nur dann als Präventionsmaßnahme, wenn alle Beteiligten ihn praktizieren.
Das Problem dabei ist, dass in unserer Gesellschaft marginalisierten Menschen körperliche Grenzen abgesprochen werden - dazu gehören Frauen, Kinder oder von Rassismus betroffene oder behinderte Menschen. Ein gesellschaftliches Klima, das diesen Personen das Person-Sein abspricht, sie zum Teil auf ihre Körper reduziert, Gewalt gegen sie normalisiert, begünstigt sexualisierte Übergriffe gegenüber diesen Personengruppen. Das beginnt mit der Sexualisierung von feminisierten oder queeren Körpern, aber drückt sich auch in der Herabsetzung von rassifizierten Körpern aus. Persönliche Grenzen werden von Menschen unterschiedlich erfahren und gesetzt, je nachdem, welchen Stellenwert ihre Körper in unserer Gesellschaft haben.
Das Konsensmodell funktioniert in einer Utopie, in der Menschen erstens wissen, wo ihre Grenzen sind, und zweitens gelernt haben, sie zu artikulieren und dies auch können. Wegen sozialer Hierarchien ist diese Voraussetzung nicht gegeben. Es ist nicht so, dass Männer Grenzen nicht verstehen; für sie haben nur ihre eigenen Grenzen und die von Frauen oder anderen marginalisierten Gruppen unterschiedliche Stellenwerte.
Wie Tanya Serisier schon schrieb, bergen sexuelle Kontakte und Intimität immer ein »Risiko«. Dieses Risiko der Grenzüberschreitung ist in zwischenmenschlichen Kontakten generell gegeben. Wenn man mit anderen Menschen zusammen lebt, wird man früher oder später verletzt. Wogegen man kämpfen sollte, sind die sozialen Ungleichheiten, die feminisierte Körper verletzbarer machen und sexualisierte Gewalt gegen sie begünstigen.
Anmerkung:
1) www.babe.net/2018/01/13/aziz-ansari-28355