Aufgeblättert
Aktivismus nachhaltig
Bücher zur Prävention vor Burn-Out haben Hochkonjunktur. Timo Luthmann stellt in seinem Buch nachhaltigen Aktivismus aber nicht als persönliche Strategie zum Nichtausbrennen dar, sondern als ganzheitliches Konzept, wie linke Politik und Aktivismus gemacht werden müssen, wenn sie langfristig auf einen Systemwandel hinwirken wollen. Ohne Veränderung, wie wir mit uns selber und anderen umgehen, können wir auch diese Gesellschaft und das herrschende System nicht verändern. Nachhaltiger Aktivismus vereint für den Autor eine fundierte Reflexion über soziale Veränderungen und Strategie sowie individuelle und kollektive Resilienzstrategien. Er widmet sich dem Thema auf eine sehr persönliche Art, basierend auf seiner jahrzehntelangen Arbeit in verschiedenen sozialen Bewegungen und seiner Tätigkeit als Trainer. Er schöpft aus dem Wissens- und Erfahrungsschatz ganz verschiedener Strömungen und Bewegungen - wie der Bürgerrechtsbewegung in den USA, indigenen Bewegungen in Lateinamerika und Trainerkollektiven aus Europa - und verwebt sie zu einem Konzept, in dem sich Aktivist_innen hier und heute wiederfinden. Dabei ist dieses ausführliche Handbuch auch ein Arbeitsbuch: Zu vielen der vorher theoretisch eingeführten Inhalte gibt es Übungen, damit das Konzept direkt umgesetzt werden kann. Das reicht von einer Übung zur Auswahl der richtigen Aktionstaktik bis zu individuellen Atem- und Reflexionsübungen. Ein Buch für alle, die noch lange und mit viel Freude politisch aktiv sein wollen.
Johanna Frei
Timo Luthmann: Politisch aktiv sein und bleiben: Handbuch Nachhaltiger Aktivismus. Unrast -Verlag, Münster 2018. 424 Seiten, 19,80 EUR.
Geschichte der WOZ
Die in Zürich erscheinende Wochenzeitung (WOZ) ist das wichtigste linke Medium in der Schweiz. Ihre Auflage beträgt 17.000 Exemplare, die Reichweite gibt sie mit 77.000 an. Das ist, bezogen auf die Bevölkerungszahl, deutlich mehr, als linke deutsche Zeitungen vorweisen können. Fast 37 Jahre nach ihrer Gründung im Jahr nach der Revolte (»Züri brännt«) hat Stefan Howald, WOZ-Redaktor (schweizerisch für Redakteur), eine gut lesbare Geschichte der Zeitung veröffentlicht. Es ist eine Erfolgsgeschichte mit schwierigem Beginn und internen Konflikten, etwa um die Einführung von Computern, mit Rechercheerfolgen und »gelegentlichen Fehlleistungen«. Die WOZ ist bis heute nah an den sozialen Bewegungen geblieben. Links sein bedeutet für sie, »gesellschaftliche Zustände nie als naturgegeben hinzunehmen, sondern sie als Ausdruck von Machtverhältnissen und daher als veränderbar zu betrachten«. Sie betrachtet die Schweiz nicht als Zentrum der Welt, sondern ist internationalistisch ausgerichtet. Die Neue Zürcher Zeitung veranlasste das seinerzeit zu der Diagnose, dass die WOZ »eine Beziehung zwischen internationaler Terrorszene und Zürcher Bewegung herstelle«. Wenn die WOZ, ein Kollektiv ohne Chefredaktion, sich direkt in die Politik einmischt - etwa gegen rassistische Kampagnen -, dann tut sie das aus einer pragmatischen Position. »Denn für die beliebten linken Grabenkämpfe à la Reform oder Revolution ist die Lage zu ernst«, heißt es in einem Editorial zur immer aktuellen Frage »Was tun?«.
Daniel Ernst
Stefan Howald: Links und bündig. WOZ Die Wochenzeitung. Eine alternative Mediengeschichte. Rotpunktverlag, Zürich 2018. 360 Seiten, 37 EUR.
Transitghetto Izbica
Von über 22.000 jüdischen Männern, Frauen und Kindern, die deutsche Täter_innen seit September 1939 in der ostpolnischen Kleinstadt Izbica festhielten, erlebten kaum mehr als 60 das Ende der deutschen Herrschaft im Juli 1944. Die Mehrheit der Deportierten, die aus Städten des Deutschen Reiches, aus Luxemburg, Tschechien, der Slowakei und Gemeinden Westpolens stammten, wurde in den Vernichtungslagern Belzec und Sobibor sowie auf dem jüdischen Friedhof Izbicas ermordet. Kaum eine_r der Täter_innen musste sich für ihre bzw. seine Verbrechen verantworten. Die Gestapobeamten Kurt Engels und Ludwig Klemm, die ab Februar 1941 das größte der im Distrikt Lublin errichteten Transitghettos beherrschten, töteten sich in U-Haft, nachdem sie jahrelang unbehelligt in der Bundesrepublik gelebt hatten. In seiner auch ohne Vorkenntnisse zu lesenden Studie ist es Steffen Hänschen gelungen, ein Gesamtbild der Ereignisse vor, während und nach der Herrschaft der Deutschen in Izbica zu entwerfen. Besonders hervorzuheben sind die genaue Arbeit an polnischsprachigen Quellen und der Raum, der Zeugenaussagen jüdischer Überlebender gegeben wird. Auseinandersetzungen innerhalb der Zwangsgemeinschaft der Deportierten werden ebenso detailliert dargestellt wie die Entscheidungen von Einzelnen, die die Zwangslage der Gefangenen ausnutzten oder den Verfolgten Schutz gewährten. Durch ein aufmerksameres Lektorat hätten sich erzählerische Wiederholungen vermeiden lassen. Davon abgesehen ist die Lektüre des Bandes unbedingt zu empfehlen.
Jens Hoffmann
Steffen Hänschen: Das Transitghetto Izbica im System des Holocaust. Metropol Verlag, Berlin 2018. 608 Seiten, 29,90 EUR.
Nordkorea
Das Buch »Brennpunkt Nordkorea« wurde vor den aktuellen Annäherungsversuchen zwischen Nord- und Südkorea fertiggestellt. Das ist kein Mangel, denn die jahrzehntelange Geschichte erbitterter Feindschaft wirkt mit Sicherheit noch lange nach. Daran erinnern Rainer Werning und Helga Picht in ihrer Sammlung von Aufsätzen und Interviews. Sie enthält wichtige Daten und Fakten, die in den gängigen Kommentaren über den »Schurkenstaat« und den »Irren von Pjöngjang« nicht vorkommen. Im Koreakrieg (1951 bis 1953) starben etwa zwei Millionen Menschen. An seinem Ende lag das Land in Trümmern. Vor diesem Hintergrund erscheint die nordkoreanische Sicherheitsdoktrin schon viel weniger »irre«. Die Herausgeber_innen (und weitere Autor_innen) liefern allerdings nicht nur historische Fakten, sondern auch befremdliche Wertungen. So bezeichnet Helga Picht, die sich als Regierungsdolmetscherin der DDR und als Wissenschaftlerin viele Jahre in Nordkorea aufhielt, das Land »den Produktionsverhältnissen nach als sozialistische Gesellschaft« und fährt fort: »Von entwickelter Demokratie kann allerdings keine Rede sein.« Das ist denn doch eine ziemlich zurückhaltende Kritik: Wo gibt es schon »entwickelte Demokratie«? Auch ihre Schilderung der staatsoffiziellen, auf Kim Il Sung zurückgehenden »Tschutsche«-Ideologie wirkt allzu unkritisch. So wird das Versprechen des Verlags, das Buch biete »Aufklärung statt Propaganda«, nur zum Teil eingehalten. Kritischen Leser_innen hat es dennoch einiges zu bieten.
Jens Renner
Rainer Werning und Helga Picht: Brennpunkt Nordkorea. Wie gefährlich ist die Region? Berichte, Daten und Fakten. edition berolina, Berlin 2018. 192 Seiten, 9,99 EUR.