Sexmagic
Sexarbeit Zwischen mir und dir steht immer eine Ware - Sexarbeit hat da keinen Sonderstatus
Von Christian Schmacht
Nie erschienen mir der Wert meiner Arbeit, das Wesen des Geldes und mein Körper in Beziehung zum Markt so deutlich und zugleich mysteriös wie in der Sexarbeit. Die Sexarbeit, zum Beispiel die Arbeit in den Berliner Bordellen, mit denen ich seit einigen Jahren vertraut bin, erscheint klar und zugleich komplex. Ich stelle meine Dienstleistung einem Kunden vor, und er entscheidet, ob er sie möchte, und bezahlt mich dafür. Der Bordellbetreiber kann die branchenüblichen 50 Prozent meiner Einnahmen einstreichen, da er Räumlichkeiten, Infrastruktur und Werbung - also die Produktionsmittel - bereitstellt.
Auf dem Papier bin ich selbstständig, aber aus einer klassenbewussten Perspektive ist er mein Arbeitgeber, ich bin der Angestellte. Das Anstellungsverhältnis ist nicht eindeutig, weil Sexarbeit nicht entkriminalisiert, sondern nur legalisiert ist, wir beide einige Formalitäten berücksichtigen müssen und natürlich, weil die Machtverhältnisse ungleich verteilt sind: Er hat einen Puff; ich hab nur drei warme, weiche Löcher.
Ich bin Christian Schmacht. Ich bin transmännlich, weiß, deutsch, Ende zwanzig und habe studiert. Ich befinde mich zwischen einigen Stühlen von Privilegien und Diskriminierungserfahrungen. Ich habe zum Glück das Talent, meine Lebensumstände zu gesellschaftlichen Verhältnissen in Bezug zu setzen und mein Sein mein Bewusstsein bestimmen zu lassen.
Ich und drei meiner Freund_innen - Huren, Freier und keins von beidem - haben auf einer langen Autofahrt einen Lesekreis zum Thema Warenfetisch improvisiert. Die erste Annahme war, dass ein Warenfetisch die Liebe zu Louis-Vuitton-Produkten sei. Also ein Fetisch für ein ganz konkretes Konsumgut. Hier kommt die Sexarbeit bereits ins Spiel, denn uns Sexarbeiter_innen wird in der patriarchalen Zweiteilung aus gieriger, moralisch verwahrloster Hure und ausgebeutetem, unschuldigem Opfer gerne vorgeworfen, wir hätten nur das Geld im Sinn und würden alles tun für ein bisschen Luxus. Aber Warenfetisch hat noch eine andere Bedeutung.
Ein Fetisch ist erst einmal ein schönes Phänomen. Wenn ich einen Gegenstand mit übernatürlichen Kräften ausstatte oder er sexuelle Erregung in mir auslöst; wenn ein Objekt Eigenschaften oder Fähigkeiten erhält, die es von Natur aus nicht hat, dann spricht man von einem Fetisch. Doch was bedeutet »von Natur aus«? Ein Lederstiefel zum Beispiel kommt nicht in der Natur vor, er wird von Menschen hergestellt. Das heißt, seine Eigenschaften sind keine natürlichen. Seine konventionellen Eigenschaften sind Schutz und Wärme für die Füße. Lederstiefel sind aber ein so verbreiteter Fetisch, dass man sie beispielsweise in Sexshops kaufen kann, wo sie allein zu dem Zweck angeboten werden einen sexuellen Fetisch anzusprechen. Das heißt, hier ist ihre konventionelle Eigenschaft die sexuelle Erregung, und sie werden zu dem Zweck hergestellt, dass sie übernatürliche, erregende Kräfte bündeln. Sexmagic!
Es gibt also keine natürlichen Eigenschaften von Objekten. Es gibt lediglich Eigenschaften. Wie kann ein Objekt dann vom Gegenstand zum Fetischobjekt werden? Es sind entweder alle Objekte Fetischobjekte oder keine.
Jetzt bleibt noch der andere Brocken des Begriffs »Warenfetisch«: die Ware. Hierbei geht es um die Ware als ökonomischen Begriff, nicht als Objekt im Schaufenster. Eine Ware ist ein Produkt unserer Arbeit, das einen Gebrauchswert sowie einen Tauschwert besitzt. Der Warenfetisch ist die Aufladung der Ware mit übernatürlichen, magischen Eigenschaften.
Wenn ein Mensch, und nicht das Produkt seiner Arbeit, Ware ist, dann ist das Sklaverei. Sklaverei kommt auch in unserer Zeit vor, beispielsweise in Libyen, wo Schwarze Geflüchtete auf Märkten versteigert werden. Fälschlicherweise wird in Bezug auf Prostitution häufig von der »Frau als Ware« gesprochen. Das ist nicht nur sachlich falsch, sondern auch sexistisch und rassistisch. Ich verkaufe meinen Körper nicht. Das könnte ich auch nicht - denn niemand kann seinen eigenen Körper verkaufen. Wenn der Körper selbst eine Ware ist, dann kann er nur durch einen anderen Menschen verkauft und gekauft werden. Prostitution als Sklaverei zu bezeichnen relativiert wirkliche Sklaverei und verschleiert ihre koloniale und kapitalistische Dimension.
In der Prostitution verkaufe ich eine Dienstleistung. Diese Dienstleistung führe ich mit meinem Körper aus. Sie findet auf und in meinem Körper, seinen Öffnungen, statt. Die genauen Abläufe sind in der Erotikbranche unendlich verschieden. Die einen arbeiten auf der Straße, im Puff oder in der Wohnung direkt am Mann. Andere strippen, mit oder ohne Berührungen, performen in Pornos oder zu Hause vor ihrer Webcam.
Mit Warenfetisch ist nicht nur gemeint, dass Waren Eigenschaften haben, die über sie hinausgehen, sondern auch, dass vor allem unsere Beziehungen zueinander über den Austausch von Waren funktionieren. Zwischen mir und dir steht immer eine Ware. Sie trennt uns, sie verbindet uns.
Hat Sexarbeit einen Sonderstatus? Der feminisierte Aspekt unserer Arbeit macht alle möglichen Menschen sehr sensibel. Plötzlich fahren viele mit einer Kapitalismuskritik auf, die sie in Bezug auf andere Ausbeutungsverhältnisse nicht für nötig erachten.
Im Bordell wissen wir: Ein freundliches Lächeln ist Arbeit. Zuhören ist Arbeit. Küssen ist Arbeit. Schminken, rasieren und Diät halten ist Arbeit. Hetero-, cis- oder white-passing ist Arbeit. An jeder dieser Handlungen klebt ein Preisschildchen. Das Produkt unserer Arbeit ist der Affekt, also das Gefühl, das wir bei unseren Kunden auslösen. Sie gehen nach Hause mit Entspannung, Befriedigung, Trost, Ablenkung vom Alltag und so weiter. Neue Kolleg_innen weise ich ein, indem ich ihnen erkläre, was alles extra kostet und was sie nicht gratis machen sollen. Das ist notwendig, denn viele Prostituierte schöpfen aus ihren privaten sexuellen Erlebnissen, und müssen sie in einzelne Handlungen aufteilen, für die sie Geld verlangen. Mir hat das Umrechnen von der scheinbar natürlichen, spontanen Sexualität in einzelne Handlungen und deren Geldwert die Ausbeutung von feminisierten Arbeiter_innen deutlich gemacht.
Ich nenne diese Arbeiter_innen und ihre Handlungen feminisiert, weil sie entwertet, zugleich aber elementar für das Leben sind. Sie sind Arbeit, die nicht als Arbeit anerkannt und deren Entlohnung skandalös niedrig ist. Sie stellt die Arbeitskraft anderer Arbeiter_innen wieder her. Diese Reproduktionsarbeit - nicht nur im Sinne von Vermehrung, sondern auch »von einem Tag auf den nächsten wieder hergestellt werden« - ist eine Quelle des Profits. Der Profit, der aus der Ausbeutung aller Arbeiter_innen geschöpft wird, sind die Einbußen, die wir in unserem Leben, den Beziehungen zu uns selbst und zueinander, unseren Körpern, der Gesundheit, dem Wohlbefinden und der Sicherheit machen.
Die Handlungen, die wir in der Sexarbeit ausführen, werden von vielen Menschen als natürliche Vorgänge betrachtet. Es widerstrebt ihnen, diese durch ihren Tauschwert zu entzaubern, sie der gefühlten Natürlichkeit zu berauben, sie zu schnödem Geldverdienst zu degradieren.
Es wäre schön, wenn diese Menschen, vielleicht auch manche ak-Leser_innen, die Empörung über die Warenförmigkeit unseres Daseins in eine Empörung über ihr eigenes Dasein kanalisieren könnten.
Die analytische Beschäftigung mit Sexarbeit bietet zwar eine Chance, die Notwendigkeit und gleichzeitige gesellschaftliche Missachtung von Reproduktionsarbeit zu durchdringen und zu begreifen. Gleichzeitig wäre es für uns Huren wünschenswert, wenn unser Gewerbe nicht als Sonderfall und als schlimmste unter den Arbeitsformen moralisch verurteilt würde. Sexarbeit als skandalösen Gipfel der kapitalistischen Ausbeutung zu konstruieren, ist flach und befeuert das Hurenstigma. Hurenstigma bedeutet Gewalt, beispielsweise für jene Transfrauen, die auf der Berliner Frobenstraße arbeiten und vermehrt von Männergruppen tätlich angegriffen, mit Flaschen beworfen und beschimpft werden. Uns Huren würde es sehr helfen, wenn auch ihr Nicht-Huren ein besseres Verständnis für die Art und Weise des Ausgebeutetwerdens entwickeln könntet und wir in Zukunft solidarisch für ein besseres Leben und Arbeiten kämpfen würden.
Christian Schmacht ist queerer Autor und Sexarbeiter. Im Herbst 2017 erschien seine erste Novelle »Fleisch mit weißer Soße« bei der Edition Assemblage. Das Buch gibt es als neue Aboprämie. Auf Twitter schreibt er unter @fleischmws.