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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 638 / 15.5.2018

Die fantastische Hure

Sexarbeit Bestimmte Formen der Repräsentation verfestigen das Stigma, dem die Arbeiter_innen ausgesetzt sind

Von Maria Hasan

Ich wünschte, ich könnte das auch machen«, sagt meine Freundin. »Wenn ich sowieso schon rumhure, könnte ich auch Geld dafür nehmen.« Eine Zeit lang habe ich das Frauen (und manchmal auch Männern) in meinem Umfeld geglaubt. Ich habe gelernt, dass Huresein für viele eine Fantasie ist; für manche Frauen sogar eine feministisch konnotierte Fantasie. Für mich war es eine, in der ich Geld habe, nicht mehr arm bin. Der Unterschied zur Realität: Die Armut verschwindet nicht sofort und nicht magisch, die Realität der Stigmatisierung schlägt ein.

Die Hure, die jede_r sein will, ist vor allem in Fernsehserien und Filmen zu finden. Fernsehhuren wie in »Secret Diary of a Callgirl« oder »The Girlfriend Experience« sind meistens heterosexuelle weiße Frauen, die für »Spaß« Geld und Glamour bekommen: Die Freier sehen oft konventionell gut aus und sind quasi wie Sand am Meer verfügbar, der Verdienst ist unrealistisch hoch. Nicht, dass es keine Luxusescorts gäbe, die 1.000 Euro oder mehr die Stunde verdienen - aber sie sind eine Minderheit. Elegant gekleidet sein, guten Sex mit einem Mann haben, mit dem man sowieso Sex haben würde, und einige Tausend Euro für ein paar Stunden mitnehmen, bleibt für die meisten eine Fantasie. Und doch ist das die vergleichsweise positivere eindimensionale Vorstellung von Huren. In der anderen ist sie das Opfer, die psychisch Kranke, die Drogenabhängige, kurz: die, die keine Wahl hat.

Eine realistischere Darstellung von Sexarbeit findet man seit einigen Jahren besonders im anglophonen Raum in den sozialen Medien oder in der Musik. Einige Stripperinnen haben Profile auf Instagram, die von Hunderttausenden abonniert werden. Jacques the Stripper oder Exotic Cancer zum Beispiel verarbeiten ihre Erfahrungen im Stripclub in ihrer Kunst - der Umgang mit Geld, Kund_innen und Kolleg_innen steht oft im Vordergrund der Illustrationen. Eine facettenreiche Repräsentation wirkt auch dem gesellschaftlichen Stigma entgegen, das mit Sexarbeit verbunden ist. Jede Art von Sichtbarkeit und differenzierter Selbstrepräsentation in der Öffentlichkeit ist wünschenswert, gerade weil Sexarbeiter_innen über einen Kamm geschert und im öffentlichen Diskurs fremdbestimmt werden.

Die Hierarchie unter Huren, auf Englisch »whorearchy«, ist generell ein unbeliebtes Thema. Auf den meisten Onlineplattformen sind diejenigen Sexarbeiter_innen am sichtbarsten, die eine bestimmte Art von Sexarbeit machen: zum Beispiel Stripperinnen und Darsteller_innen in alternativen Erotikfilmen. Auf der US-Website Jezebel schreibt Pornodarstellerin und Aktivistin Belle Knox, dass die Hierarchie sich daran orientiert, wie nah die Sexarbeiter_innen am Kunden und/oder der Polizei dran sind; sprich, wie legalisiert die Arbeit ist und ob sie Sex mit ihren Kunden haben. Umso mehr Distanz zu Polizei und Kunden, umso höher stehe man in der Hierarchie. Die Position in diesem Gefüge entscheidet auch, wie stark das Stigma ist, und somit auch, wie stark betroffen jemand von Prekarisierung, Gewalt und Kontrolle ist.

Das bedeutet, dass Solidarität zwischen Sexarbeiter_innen nicht selbstverständlich ist. »Used to dance in a club right across from my school/ I said »dance« not »fuck«/ don't get it confused«, rappt Cardi B, die offen mit ihrer Vergangenheit als Stripperin umgeht, in den ersten Zeilen ihres neuen Albums. Dieses Zitat ist Ausdruck des Abgrenzungbedürfnisses zu anderen Sexarbeiter_innen und veranschaulicht internalisierte Hurenfeindlichkeit. Abgrenzung findet auch durch die Ablehnung von Begrifflichkeiten statt. Manche Stripper_innen bestehen darauf, anders zu sein als »richtige Huren«, weil viele von ihnen eben keinen Sex mit ihren Kunden haben und sich selbst als Tänzer_innen oder Performer_innen verstehen. Das heißt allerdings nicht, dass Sexarbeiter_innen, die keinen Sex mit ihren Kunden haben, dem Stigma nicht ausgesetzt wären; es ist nur weniger stark ausgeprägt. Ähnliches gilt für Sexarbeiter_innen, die mehr verdienen und andere dafür abwerten, dass sie weniger Geld nehmen. Das Abgrenzungsbedürfnis von Escorts gegenüber Sexarbeiter_innen, die zum Beispiel im Bordell oder auf dem Straßenstrich arbeiten, folgt einer ähnlichen Logik. Auf Englisch wird dieses Phänomen manchmal als »lateral whorephobia« bezeichnet: Sexarbeiter_innen shamen andere Sexarbeiter_innen dafür, dass sie in ihrer Arbeit körperliche Grenzen anders setzen.

Dieses Shaming ist auch in den sozialen Medien verbreitet. Auf der einen Seite befördern Plattformen wie Facebookgruppen oder Instagramprofile den Austausch über Gesetze, Sicherheitsvorkehrungen, Safer Sex, Umgang mit nervigen Kunden und sexualisierter Gewalt. Auf der anderen Seite wird auch dort verglichen und sich abgegrenzt. Eine Motivation scheint auch zu sein, dass man die eigene Arbeit irgendwie legitimieren will, um dem Stigma zu entkommen: durch Fotos von Geldscheinen auf Instagram oder durch Abgrenzung von illegalisierter, prekärer Sexarbeit zum Beispiel.

Dann sind da noch Bestrebungen von »richtigen« Huren, den Begriff nur für sich zu reklamieren - weil eben nicht jede_r Sexarbeiter_in eine Hure ist und demnach nicht der vollen Härte des Stigmas ausgesetzt ist. Die Diskussion erscheint wie ein altbekanntes zweischneidiges Schwert. Kann man ohne einen bewussten Umgang mit Differenzen solidarisch sein?

Sexarbeiter_innen haben unterschiedliche Lebensrealitäten; das einzige, was alle eint, ist das mit ihren Jobs verbundene Stigma. Das Hurenstigma bezieht sich vor allem auf die Sexualität von Frauen und ist eine Form des Slut Shaming. »Dieses Stigma erfahren Sexarbeiter_innen in unterschiedlichem Maße und auf unterschiedliche Art und Weise, aber es trifft sie alle. Das Besondere an dieser gesellschaftlichen Benachteiligung ist, dass sie zum einen degradierend und ausgrenzend ist und zum anderen eine Opferposition festschreibt«, schreibt P.G. Macioti. »Das Hurenstigma ist immer im Kontext mit anderen Machtverhältnissen zu betrachten. Die Beziehung ist kausal und wechselseitig. Ohne Sexismus, Heteronormativität oder Rassismus gäbe es kein Hurenstigma.« Diese Diskriminierungsformen bestimmen auch die Positionen der Arbeiter_innen in der Hierarchie.

Das Stigma ist auch dafür verantwortlich, dass es wenig Selbstrepräsentation von Sexarbeiter_innen gibt. Besonders die Stimmen von Arbeiter_innen, die in der Hierarchie unten stehen, werden marginalisiert. Wenn Sexarbeiter_innen, die eine Plattform haben, sich von anderen abgrenzen, um im Mainstream besser dazustehen, wirkt das dem Stigma nur entlang bestimmter Grenzen entgegen, indem beispielsweise nur eine Form von Sexarbeit oder nur weiße Arbeiter_innen entstigmatisiert werden. Solche Plattformen sollten genutzt werden, um solidarisch mit allen Sexarbeiter_innen zu sein.

Die eindimensionale Fantasie von der selbstbestimmten Hure verschleiert das Ausmaß der Stigmatisierung, dem die meisten Sexarbeiter_innen ausgesetzt sind. Das Stigma, zu dem auch Feminist_innen des Antiprostitutionslagers, unter anderem mit der Inszenierung von Huren als Opfer, beitragen, kann nur bekämpft werden, wenn Arbeiter_innen über Differenzen hinweg solidarisch handeln. Sonst bewirkt eine »positive« Darstellung von Huren nur die Bestätigung des Dualismus zwischen »heiliger Hure« und »Hure-Hure«, wie Christian Schmacht ihn im Missy Magazine beschreibt. Selbstrepräsentationen in der Musik oder in den sozialen Medien bergen das größte Potenzial, um diesem Dualismus in den Mainstreammedien, Filmen und Serien, entgegenzuwirken.

Keine meiner Freundinnen, die Huren werden würden, sind Huren geworden. Die Diskrepanz zwischen der Fernsehfantasie und der stigmatisierenden Realität ist dann doch zu groß.

Maria Hasan ist Sexarbeiterin und hin- und hergerissener Fan von Cardi B und Schwesta Ewa.