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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 639 / 19.6.2018

Das Dorf am Abgrund

Wirtschaft & Soziales Das sächsische Pödelwitz soll dem Tagebau weichen. Doch einige Bewohner_innen wehren sich

Von Florian Teller

Von der Abbruchkante aus bietet sich ein faszinierendes Bild: Mannshohe Gebläse verteilen einen Wasserschleier gegen Staub über den Rand einer riesigen Grube. In dieser türmen sich graue Geröllkegel auf. Dazwischen liegen Lachen und Seen, angefüllt mit rostrotem Wasser. Ein Förderband versorgt eine turmhohe Maschine, die einen weiteren Kegel aufschichtet. In der Ferne sind dunklere Erdschichten zu erkennen. Davor steht ein Schaufelradbagger, der auf die Entfernung einem Spielzeug gleicht. Kein ungewöhnlicher Anblick in der Region südlich von Leipzig. Seit etwa 150 Jahren wird hier Braunkohle gefördert. Aktive Gruben, verfüllte Kippen und zu Seen umgewandelte Tagebaue bestimmen das Landschaftsbild. Die Kohle hat Tradition und stiftet Identität für die Region. Bei Dorffesten wird das Steigerlied gesungen.

Der Tagebau »Vereinigtes Schleenhain« soll bis 2040 das nahe gelegene Kraftwerk Lippendorf mit Kohle versorgen. Betrieben wird er durch die Mittelsächsische Braunkohle AG (Mibrag). Das Unternehmen ging nach der Wende aus dem VEB Braunkohlenkombinat Bitterfeld hervor. Seit 2011 ist der tschechische Energiekonzern EPH zu 100 Prozent Inhaber der Mibrag. Mit rund 2.000 direkt Beschäftigten und 1.000 weiteren in Tochterfirmen ist die Gesellschaft einer der größten Arbeitgeberinnen in der Region.

Am Rand der Grube hat die Mibrag eine Infotafel aufgestellt. Überschrieben ist sie mit dem Slogan »Neue Landschaften.« Jens Hausner lacht freudlos und sagt: »Drei Dörfer sind in diesem Tagebau verschwunden. Jetzt haben wir hier eine Mondlandschaft.« Zusammen mit den Dörfern sind auch die Wiesen und Felder seiner Jugend verschwunden. Aufgewachsen in der Region, zwischen Industrie und Tagebau, wollte der 53-Jährige nie in diesem dreckigen Wirtschaftssegment arbeiten. Er wurde Bauer. Auch heute noch ist er in einer landwirtschaftlichen Genossenschaft aktiv. Vor 14 Jahren heiratete er in Pödelwitz ein. Doch dieses Dorf könnte bald auch zu den verschwundenen Orten gehören. Zumindest dem Willen der Mibrag nach, denn das Unternehmen möchte an die Braunkohle unter dem Ort.

Mitten in dem kleinen slawischen Runddorf, eine halbe Autostunde von Leipzig entfernt, in einer Sitzecke inmitten eines Vierseithofs zwischen lila Flieder und Blumenampeln bittet Hausner bei Kaffee und Keksen zum Gespräch. Detailliert und mit ruhiger Stimme erklärt der Aktivist die Situation des Dorfes: »Nachdem 2007 die Abbaggerung des benachbarten Heuersdorfs endgültig beschlossen wurde, erhielt Pödelwitz den Titel Schutzgut.«

Dieser Ort sei somit explizit vor dem Tagebau geschützt. In zehn Jahren werden die Bagger an der Ortsgrenze stehen, weiter dürften sie eigentlich nicht. Die maximale Ausdehnung des Tagebaus ist im sogenannten Rahmenbetriebsplan festgeschrieben. Pödelwitz wird dann direkt am Grubenrand liegen. Vor neun Jahren warnte die Mibrag auf einer Bürgerversammlung vor der zu erwartenden Lärm- und Staubbelastung. Eigentlich soll das Unternehmen dagegen Maßnahmen ergreifen, beispielsweise Büsche und Hecken um die Ortsgrenze pflanzen. Stattdessen bot der Tagebaubetreiber den Pödelwitzer_innen Entschädigungszahlungen, wenn sie das Dorf verlassen. Als Grundentschädigung gab es 75.000 Euro, hinzu kam ein weiterer Betrag nach Schätzung des Grundstücks. Zwei Drittel der Bewohner_innen stimmten zu. Ihre Häuser gehören jetzt der Mibrag. Von einst 120 wohnen jetzt noch gut 30 Menschen im Ort. Den Grundstücken, die der Mibrag gehören, sieht man den Leerstand an. Verwahrloste Vorgärten und nicht reparierte, durch Probebohrungen entstandene, Schäden an den Häusern.

Eine Tagebauerweiterung ist illegal

Pao-Yu Oei, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Institut für Technik und Infrastruktur der TU Berlin, erklärte Ende April auf einer Podiumsdiskussion in Leipzig das Vorhaben der Mibrag: »Laut Plan reichen die Kohlevorkommen vom Vereinigten Schleenhain aus, um das Kraftwerk wie geplant bis 2040 zu versorgen. Jedoch müsste der Bagger einen Bogen ums Dorf machen. Das wäre kostspieliger und aufwendiger als das Dorf aufzukaufen und abzureißen, um den Bagger in einer geraden Linie fahren zu lassen.« Etwa 400 Millionen Euro ist das Braunkohlevorkommen unter Pödelwitz wert. 15 Millionen Euro soll die Umsiedlung bis jetzt gekostet haben. Für Hausner ist klar: »Da das Unternehmen hier offiziell nicht abbaggern darf, versuchet es gezielt, die Umsiedlung zu fördern.« Denn dann würden der Erweiterung des Tagebaus keine Interessen mehr entgegenstehen. Hausner aber will bleiben. Mit Mitstreiter_innen gründete er vor fünf Jahren die Bürgerinitiative (BI) »Pro Pödelwitz.« Einige von ihnen verloren schon einmal ihr Zuhause an den Tagebau. Gemeinsam kämpfen sie für den Erhalt ihres Dorfes und gegen die Kohleindustrie. An Hausners Hof hängt ein fassadengroßes Transparent: »Wenn Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht.« Sauer ist er vor allem über den Bürgermeister und den Landrat. »Niemand von denen steht auf und sagt, dass eine Tagebauerweiterung illegal ist.«

Hausner ist Experte für Tagebaue und Kohlewirtschaft in der Region. Sein Wissen eignete sich Hausner in den vergangenen zehn Jahren autodidaktisch an. »Als ich von den Plänen der Mibrag erfuhr, habe ich angefangen zu suchen, mit wem ich mich beraten kann«, erzählt er. Mittlerweile trifft er sich regelmäßig mit Vertreter_innen von Umweltverbänden, gibt Interviews und organisiert die Öffentlichkeitsarbeit der BI. Er ist sich sicher, dass vor seinem Engagement das Mitteldeutsche Revier bei Umweltorganisationen und der Klimabewegung ein weißer Fleck gewesen ist. »Alle haben zur Lausitz oder ins Rheinland geblickt.« Dass die Mibrag zusammen mit dem Land Sachsen Gesetze aushebelt und den Tagebau widerrechtlich erweitern will, hätte kaum einer wahrgenommen. Vor vier Jahren trat Hausner den Grünen ein. Bei der nächsten Wahl möchte er in den Stadtrat von Groitzsch. Im Ort würden alle Grün wählen. Damit sind sie eine Insel im schwarzen Sachsen. Die Macht der CDU im Landkreis ist ungebrochen, mittlerweile dicht gefolgt von der AfD.

Das unionsgeführte Sachsen ist kein Vorreiter beim Kohleausstieg. Anfang des Jahres verkündete Ministerpräsident Michael Kretschmer, noch mindestens 30 Jahre an der Braunkohle festhalten zu wollen. Das Sächsische Oberbergamt genehmigte 2012 den Antrag der Mibrag, die Kohle unter Pödelwitz abzubaggern. Mittlerweile läuft die Umweltverträglichkeitsprüfung. Im selben Jahr unterzeichnete der damalige sächsische Wirtschaftsminister Sven Morlok (FDP) den Umsiedlungsvertrag. Alle Umzugswilligen sind mittlerweile weg, darunter auch langjährige Arbeitskollegen von Jens Hausner. Kontakt hat er mit ihnen nicht mehr. »Das Tischtuch ist zerschnitten.«

Viele der Ex-Pödelwitzer_innen wohnen in neuen, großen Einfamilienhäusern am Rand der nahe gelegenen Stadt Groitzsch. Eine neu gepflasterte Straße führt an frisch gestrichenen Fassaden vorbei. Bei manchen Vorgärten fehlt noch der Zaun, an einigen Stellen liegt Baumaterial. Vor dem rot-weißen Haus von Roland Gerhardt blühen Blumen und Sträucher. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite ist eine freie Wiesenfläche, Baugrundstücke für die noch nicht umgesiedelten Pödelwitzer_innen. Gerhardt glaubt jedoch nicht, dass diese noch kommen werden. Mit seiner Frau baute der 65-jährige Berufsschullehrer 1998 in Pödelwitz ein Einfamilienhaus. Auch er arbeitete in der Kohle, seine Eltern ebenso. In seiner Kindheit siedelte er zum ersten Mal um. Dennoch sagt er: »Die Kohle gehört zu unserem Leben und zur Region. Sie hat viele Menschen versorgt.«

Ex-Pödelwitzer_innen wohnen jetzt in Groitzsch

Kaum war das neue Haus abbezahlt, kam die Mibrag, um mit den Bewohner_innen von Pödelwitz über Staub- und Lärmschutzmaßnahmen zu reden. Laut Gerhardt sei der Plan zur Umsiedlung einvernehmlich zwischen der Mibrag und den interessierten Pödelwitzer_innen ausgearbeitet worden. Es war eine Zeit zäher Verhandlungen. Dazu kam die Unsicherheit, ob die Umsiedlung überhaupt genehmigt werden würde. Eines betont Gerhardt: »Wir haben uns dabei sicher keine goldene Nase verdient.« Über die genaue Höhe seiner Entschädigung aber schweigt er.

Der Wertverlust des Hauses sei letzlich die Motivation zum Umzug gewesen. Er und seine Frau hätten es auch als Altersvorsorge gebaut. »Aber in einem Dorf, das vom Tagebau umringt ist, kauft doch niemand ein Haus.« Andere ehemalige Pödelwitzer_innen wollten näher an der Stadt wohnen; vor allem Ältere zogen ebenerdige Bungalows den steilen Treppen der Bauernhäuser vor.

Zurück in Pödelwitz zeigt Hausner die Fläche, auf der das im Sommer stattfindende Klimacamp die Zelte aufschlagen wird. Die Aktivist_innen planen mit diesem Camp, neben der Lausitz und dem Rheinland das mitteldeutsche Revier stärker in den öffentlichen Fokus zu rücken. Dem Landwirt gefällt vor allem, dass das Klimacamp auf einer Wiese zwischen dem Dorf und dem Gelände der Mibrag stattfinden wird. »Es ist doch ein tolles Symbol, dass sich die Aktivist_innen zwischen das Unternehmen und unser Zuhause stellen.«

Über die Zukunft des Dorfes kann er sich gerade wenig Gedanken machen. Zuviel hat er um die Ohren in der Auseinandersetzung mit der Mibrag. Vielleicht ein Modelldorf mit dezentraler Energieversorgung? Die Verbliebenen konzentrieren sich darauf, das Dorf zu erhalten und mit Leben zu füllen.

Monatlich finden Veranstaltungen in der Dorfkirche statt. Hausner freut sich über alle, die herziehen wollen. Arbeitsplätze gebe es im Großraum Halle-Leipzig zuhauf. Händeringend würden dort Fachkräfte gesucht. Aber gegen den Verbund aus Wirtschaft, Politik und Tradition sei schwer anzukommen. Aufgeben kommt für Hausner nicht in Frage. Trotzig erklärt er: »Wenn Umsiedlungen in der Region Tradition haben, dann endet diese Tradition hier.« So steht Pödelwitz wie ein gallisches Dorf in der Tagebaulandschaft. Ein Dorf kurz vor dem Abgrund.

Florian Teller ist freier Journalist und Kleinkünstler; er wohnt in Leipzig.

Klimacamp in Pödelwitz

Vom 28. Juli bis 5. August findet das erste Klimacamp in Pödelwitz südlich von Leipzig statt. Das Camp soll als Ort des Austauschs und der Vernetzung dienen, Perspektiven für einen selbstbestimmten Strukturwandel entwickeln und natürlich den Widerstand gegen Braunkohle in der Region stärken. Basisdemokratisch organisiert wird das Camp gemeinsam mit den Menschen vor Ort. »Denn globale Klimagerechtigkeit beginnt in Pödelwitz«, heißt es auf der Homepage www.klimacamp-leipzigerland.de. Zu Gast auf dem Klimacamp ist vom 29. Juli bis 2. August zudem die degrowth-Sommerschule 2018.