Offensive gegen Sozialproteste
Deutschland Polizeiliche Großeinsätze in Geflüchtetenunterkünften sollen die dort Protestierenden stigmatisieren und einschüchtern
Von Katharina Schoenes
Am 3. Mai stürmten bewaffnete und maskierte Spezialeinheiten der Polizei die Landeserstaufnahmeeinrichtung im baden-württembergischen Ellwangen. Die Beamt_innen fesselten die Bewohner_innen, durchsuchten Kleidung und Räumlichkeiten, beschlagnahmten Bargeld und leiteten Ermittlungsverfahren ein. Mehrere Geflüchtete wurden verletzt, einige davon, weil sie aus Panik aus dem Fenster sprangen. Offiziell fand der Einsatz statt, weil Bewohner_innen wenige Tage zuvor die Abschiebung eines Mannes nach Italien verhindert hatten.
In einer einige Tage nach der Razzia veröffentlichten Stellungnahme weisen die Geflüchteten jedoch daraufhin, dass das Ganze eine Vorgeschichte hatte: Sie hätten sich beim Leiter der Einrichtung über ihre Situation beschwert, dieser habe angeboten, ein Treffen mit Journalist_innen und Politiker_innen zu arrangieren, da er an den Duldungen und den Dublin-Abschiebungen nichts ändern könne. Das Treffen mit Pressevertreter_innen, das für den 3. Mai anberaumt war, wurde durch den Polizeieinsatz verhindert.
Was in Ellwangen passiert ist, ist kein Einzelfall. Ein ähnlicher Einsatz ereignete sich Mitte März im bayerischen Donauwörth. In der dortigen Unterkunft hatten sich Geflüchtete aus Gambia über Monate getroffen, um sich gegen die Entrechtung im Lager und gegen Abschiebungen zu organisieren. Im Rahmen eines brutalen Polizeieinsatzes wurden 30 der aktiven Geflüchteten festgenommen, außerdem misshandelten Polizist_innen etwa 300 Bewohner_innen bei geschlossenen Fenstern mit Pfefferspray und Schlagstöcken. Auch dieser Einsatz wurde damit gerechtfertigt, dass zuvor eine Abschiebung gescheitert sei. Zwar kam es mittlerweile zur Aufhebung der Untersuchungshaftbefehle, 17 Personen erhielten allerdings Strafbefehle. Zwei Geflüchtete wurden direkt aus der Untersuchungshaft in Abschiebehaft überführt, zwei weitere sitzen eine Ersatzfreiheitsstrafe ab. Gegen zehn Heranwachsende erhob die Staatsanwaltschaft zunächst Anklage, das Gericht hat die Verfahren aber zwischenzeitlich eingestellt.
Ein weiterer überregional bekanntgewordener Großeinsatz der Polizei in einem Geflüchtetenlager fand Mitte Mai in Deggendorf statt. Hier sollten Abschiebungen unter Anwendung brutaler Gewalt durchgesetzt werden. Bewohner_innen schätzen, dass rund 300 Beamt_innen mit Hunden im Einsatz waren.
Bayerische Unterkünfte: »gefährliche Orte«
Dass Polizeigewalt und Razzien gegen Geflüchtete zumindest in Bayern Alltag sind, belegt auch eine Anfrage der Grünen-Abgeordneten Christine Kamm im bayerischen Landtag. Darin erkundigt sie sich nach sogenannten anlasslosen Durchsuchungen von Flüchtlingsunterkünften. Diese sind in Bayern jederzeit möglich, da die Unterkünfte im Zuge einer Novelle des Polizeiaufgabengesetzes mit Wirkung zum 1. Januar 2017 als »gefährliche Orte« eingestuft wurden. Die Polizei darf seitdem ohne konkreten Verdacht in Wohnräume von Geflüchteten eindringen und deren Identität feststellen, auch nachts.
Die Antwort der Bayerischen Staatsregierung ergibt, dass in bayerischen Lagern allein von Januar bis September 2017 197 »Kontrollaktionen« mit einem »erhöhten Personaleinsatz« bzw. einem »erhöhten logistischen Aufwand« durchgeführt wurden. Nur solche Einsätze werden dem Innenministerium gemeldet, die tatsächliche Zahl der Razzien könnte also noch weit darüber liegen. In sechs der betroffenen Unterkünfte lebten minderjährige Geflüchtete, 18 Unterkünfte wurden wiederholt durchsucht. Bei 65 Razzien führten die Beamt_innen Diensthunde mit.
Was die Staatsregierung zu Zweck und Wirkung der Razzien sagt, ist an Zynismus kaum zu überbieten: Die »Begehungen«, die regelmäßig Geflüchtete in Angst und Schrecken versetzen und Retraumatisierungen hervorrufen, hätten den Zweck, »das Sicherheitsgefühl der rechtstreuen Bewohner zu fördern und potenzielle Störer sowie Straftäter abzuschrecken«, die »konsequente Durchführung von Maßnahmen gegen Störer« solle »das Vertrauen der Bewohner gegenüber dem staatlichen Handeln fördern«.
Die mitgeführten Diensthunde würden eine »Deeskalation bei gewaltbereiten Personen... bewirken«. Außerdem werde »das subjektive Sicherheitsgefühl der Unterkunftsmitarbeiter und der Anwohner im Umfeld der Unterkünfte« gestärkt. Dabei ist das Gegenteil der Fall: Durch martialische Großeinsätze der Polizei werden erst wirkmächtige Bilder von angeblich kriminellen und gewalttätigen Geflüchteten geschaffen. Die dahinter stehende Botschaft lautet: Geflüchtete sind Kriminelle, die zu Recht in isolierte Lager gesperrt werden. Eine Solidarisierung der Anwohner_innen soll so unterbunden werden. Die bayerische Regierung meint dennoch, es habe keine »stigmatisierenden Maßnahmen« gegeben.
Der Bayerische Flüchtlingsrat weist darauf hin, dass die Durchsuchungen bislang weitgehend ergebnislos blieben: »Wenn die Regierung nicht nachweist, dass die Razzien tatsächlich der Prävention dienen, dann sind diese Maßnahmen reine Repression.« Tatsächlich verstärken die Polizeirazzien die permanente Unsicherheit, in der sich Geflüchtete in den (bayerischen) Abschiebelagern aufgrund ihres prekären Aufenthaltsstatus ohnehin befinden. Aus dem Abschiebelager in Manching berichtete der Bayerische Flüchtlingsrat Anfang des Jahres, dass viele Geflüchtete aus Angst vor nächtlichen Abschiebungen nicht mehr schliefen. Andere seien untergetaucht oder hätten Nachtwachen eingerichtet, die warnen, wenn die Polizei zur Abschiebung kommt. Eine Bewohnerin des Lagers in Ellwangen beschreibt die Ängste, die der Polizeieinsatz am 3. Mai ausgelöst hat: »Wenn Polizeibeamt_innen ins Lager kommen, rechnen wir immer damit, dass sie jemanden zur Abschiebung abholen.«
Polizeigewalt als Teil der strukturellen Entrechtung
Bei der Kritik an der Welle massiver Polizeigewalt, die sich momentan gegen Geflüchtete richtet, darf nicht vergessen werden, dass diese Ausdruck und Teil einer strukturellen Entrechtung ist, die Geflüchtete mit einer sogenannten »schlechten Bleibeperspektive« und insbesondere jene in den bayerischen Abschiebelagern erfahren. Residenzpflicht, Arbeitsverbote, Sachleistungen, eine unzureichende medizinische Versorgung, Schikanen seitens des Wachpersonals, fehlende Übersetzer_innen, staatliche Kriminalisierung und ein fehlender Zugang zu Deutschkursen und Bildung prägen den Alltag in den bayerischen Lagern.
Dass es momentan zu einer Zunahme brutaler Großeinsätze der Polizei gegen Geflüchtete kommt, hängt nicht nur damit zusammen, dass spektakuläre Bilder von »kriminellen Flüchtlingen« gebraucht werden, um die geplanten »Anker-Zentren« zu rechtfertigen. Die vermehrte Repression hat auch damit zu tun, dass Geflüchtete nicht länger bereit sind, die miserablen Zustände in den Lagern hinzunehmen. Vielerorts regt sich Widerstand. Nicht nur in Ellwangen und Donauwörth, auch in Deggendorf, Regensburg und Bamberg haben Geflüchtete gegen unmenschliche Lebensbedingungen und Abschiebungen protestiert. Sie fordern ein Ende der Lagerunterbringung, einen sicheren Aufenthalt und grundlegende soziale Rechte.
Katharina Schoenes arbeitet zu institutionellem Rassismus und ist aktiv bei Justizwatch.