Immer hinter ver.di her
Diskussion Warum linke Kampagnenpolitik à la Make Amazon Pay bei Arbeitskämpfen fehl am Platz ist
Von Ralf Ruckus
Die bisherige Debatte über eine »neue Klassenpolitik« umschifft zwei Probleme: das Ausbremsen von Klassenkämpfen durch die Gewerkschaften und die Rolle linker Gruppen, die mit ihren Kampagnen den Gewerkschaften hinterherlaufen und für die Arbeiter_innen fremde Wesen bleiben. Ein Beispiel ist die Kampagne Make Amazon Pay (MAP) und ihr Zusammenspiel mit der ver.di-Hierarchie. (1)
Als Amazon-Chef Jeff Bezos am 24. April nach Berlin kam, um einen Preis des Axel-Springer-Verlags entgegenzunehmen, fanden in Kreuzberg Proteste gegen diesen Auftritt statt. Dabei waren Funktionäre von ver.di, Beschäftigte und ver.di-Vertrauensleute aus hiesigen Amazon-Lagern, Leute von MAP und der Partei Die Linke sowie Amazon-Beschäftigte und Vertrauensleute der Solidarnosc aus Wroclaw und der Basisgewerkschaft Inicjatywa Pracownicza (IP) aus Poznan. (2) Abgesprochen war, dass Amazon-Arbeiter_innen auf der Kundgebung ihrem Boss »Feedback« geben - eine Idee von Beschäftigten, die in den Lagern ständig von Vorgesetzten mit »Feedbacks« drangsaliert werden und den Spieß mal umdrehen wollten. Es kam jedoch anders.
Die Demonstration lief noch gut. MAP konnte nur Wenige mobilisieren, und so stellten Amazon-Beschäftigte aus Leipzig und Poznan die Mehrheit der 200 Demonstrant_innen und machten eine Menge Lärm. Etliche von ihnen kennen sich von Besuchen im Rahmen der Amazing Workers (3), einem seit über drei Jahren stattfindenden grenzübergreifenden Basistreffen von Amazon-Arbeiter_innen.
Die Leitung der anschließenden Kundgebung hatten ver.di-Funktionäre an sich gerissen. Beschäftigten aus Leipzig und Poznan wurde erklärt, sie hätten nur zehn Minuten für ihr »Feedback«, ein Bruch der Absprachen. Die Arbeiter_innen nahmen sich mehr Zeit, aber ver.di ließ danach etliche Funktionäre und Politiker_innen reden. Ver.di-Chef Frank Bsirske erklärte, unter welch prekären Bedingungen Amazon-Beschäftigte arbeiten, während ebensolche neben ihm auf der Bühne standen. Hätte ein Mann über Frauen oder eine weiße Person über Schwarze Menschen auf der Bühne gesprochen, wäre es zu Protesten gekommen, auf der Kundgebung passierte außer wenigen Zwischenrufen (»Halt's Maul, lass die Arbeiter_innen reden!«) wenig. Die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles, vorher als Bundesarbeitsministerin verantwortlich für Verschärfungen gegen Arbeitslose und Beschäftigte, wurde wenigstens ausgebuht, anders als der ver.di-Funktionär Bernd Riexinger, Vorsitzender der Partei Die Linke, die zum Beispiel im Land Berlin seit Jahren die Krisen- und Austeritätspolitik mitverantwortet. Andere ver.di-Hauptamtliche benahmen sich wie Entertainer, die ihr Publikum unterhalten wollten. Arbeiter_innen der IP, die eine Solidaritätsadresse aus den USA verlesen wollten, wurden aufgefordert, die Bühne zu verlassen. Nur weil sie hartnäckig blieben, konnten sie die Adresse doch vorlesen.
Die Kundgebung wäre gut ohne Politiker_innen und ver.di-Funktionär_innen ausgekommen, wie es in der Vorbereitung mehrfach vorgeschlagen wurde. Der Ablauf der Veranstaltung zeigt exemplarisch, wie die ver.di-Spitze versucht, Arbeiter_innen zu entmündigen.
Amazon weigert sich, mit ver.di einen Tarifvertrag abzuschließen, und stellt damit die gewerkschaftliche Vermittlungsrolle in Frage. Seit 2013 finden deswegen immer wieder kurze Streiks statt. Ver.di präsentiert Amazon als bösen amerikanischen Ausbeuter und Vertreter der Internetökonomie, der den Buchhandel ruiniert, und will - im Sinne einer nationalistischen Standortpolitik - das deutsche Tarifrecht (und die kleinen deutschen Ausbeuter) verteidigen und sich selbst als kämpferische Gewerkschaft beweisen. Für die Gewerkschaftsspitze birgt das auch Risiken.
Im Rahmen der Auseinandersetzungen konnten in Amazon-Lagern in Leipzig und Bad Hersfeld Kerne von Arbeiter_innen und ver.di-Vertrauensleuten genug Zusammenhalt schaffen und Kampferfahrung sammeln, um »ihren« Gewerkschaftsfunktionär_innen politischen Spielraum abzutrotzen. Dieser ermöglicht ihnen im Rahmen der Amazing Workers auch die Kooperation mit der anarchosyndikalistisch geprägten IP aus Poznan, die ohne Hauptamtliche vorgeht und die Selbstermächtigung von Beschäftigten vorantreibt. In den Auseinandersetzungen zwischen Basisaktivist_innen und Gewerkschaftsführer_innen bei Amazon geht es um die Kontrolle über die Proteste und ihre Ausrichtung.
Diese Auseinandersetzung zwischen Gewerkschaftsführungen und Arbeiter_innen finden auch woanders statt. Wer auf Labournet.de Berichte von Arbeiter_innen und gewerkschaftlichen Vertrauensleuten liest, bekommt einen Eindruck, wie deutsche Gewerkschaftssekretär_innen immer wieder Mobilisierungen und Streikversuche abwürgen. (4) Das ist keine Folge liberaler Gesinnung, auch linke Funktionär_innen müssen diese Funktion erfüllen. Die Gewerkschaft als Institution ist Teil der tarifrechtlichen Konfliktverwaltung. Um die Gewerkschaft als Institution - und ihren eigenen Job - zu erhalten, müssen Gewerkschaftsfunktionär_innen zeigen, dass sie Proteste im Griff behalten, in Richtung eines Tarifvertrags kanalisieren und zu Ende bringen können, auch gegen den Willen beteiligter Arbeiter_innen. Gewerkschaftliches Organizing dient nur der Mitgliederanwerbung und der Aufhübschung bürokratischer Strukturen. Sobald es um Entscheidungsgewalt geht, wird Arbeiter_innen Handlungsfähigkeit abgesprochen und abgenommen. (5)
MAP verhält sich im Rahmen der Proteste gegen Amazon nicht eindeutig bzw. geht den ver.di-Funktionär_innen auf den Leim, statt deren Rolle kritisch zu hinterfragen und sich klar auf die Seite der Arbeiter_innen zu stellen. MAP-Aktionen sind in der schlechten Logik linksradikaler Kampagnenpolitik gefangen. Die im November 2017 in Berlin organisierte Blockade eines Amazon-Lagers blieb ein Versuch von außen. Da es im Vorfeld kaum Kontakte zu dortigen Beschäftigten gab, wurde vorgeschlagen, vor Berliner Amazon-Lagern ein Flugblatt zu verteilen. Das Flugblattschreiben wurde allerdings an die Amazon-Arbeiter_innen in Poznan und die Verteilung an migrantische Genoss_innen der Critical Workers outgesourct. MAP geht es nicht um eine gemeinsame Organisierung mit Ausgebeuteten, sondern um die mediale Berichterstattung über (vermeintlich) »radikale« Inhalte spektakulärer Aktionen. So soll eine schwammige »Öffentlichkeit« über die Datenkrake Amazon aufgeklärt werden. Die Ausbeutungssituation der MAP-Aktivist_innen selbst bleibt ausgeblendet, der Bezug zu proletarischen Akteuren aufgesetzt - oder wird gar zu Sozialarbeit mit »Betroffenen«.
Diese Widersprüche gewerkschaftlicher Strategien und linksradikaler Politik gehören ins Zentrum der Debatte über eine neue Klassenpolitik. Bisherige Beiträge blieben meist abgehoben und akademisch, wie das Lower Class Magazine hervorhob. (6) Einige wurden von Linken geschrieben, die ihre akademische Karriere betreiben oder als Vertreter_innen von Die Linke parteipolitische Interessen verfolgen. Schon in der Vergangenheit sind »radikale Linke« in Institutionen wie Gewerkschaften, Parteien oder Universitäten aufgestiegen, weil sie von dort aus linke Politik machen und auch ihre materielle Position verbessern wollten. Ihre in Bewegungen gemachten Fähigkeiten nutzen nicht wenige dann zur Kontrolle und Eindämmung von Kämpfen im Sinne dieser Institutionen. Diese mangelnde Abgrenzung zur bürgerlichen politischen Klasse ist ein Grund für die Schwäche und mangelnde Glaubwürdigkeit der Linken insgesamt.
Das alles wäre nicht so heikel, wenn es größere Bewegungen gäbe. Die Gruppen, welche die Proteste gegen Amazon im April in Berlin prägten, werden wohl weiter aufeinanderprallen und für oder gegen Arbeiterselbstermächtigung wirken - zumindest bis sich größere proletarische Kämpfe formieren, die von den Klassenakteuren selbst vorangetrieben werden. Diese könnten die prekäre Lage von unten aufmischen und helfen, Probleme und Spaltungen innerhalb des Proletariats zu überwinden, die mit der Entmachtung der Institutionen bzw. der Selbstermächtigung von unten nicht einfach verschwinden. Eine Linke könnte diesen Prozess unterstützen, sofern sie ihren Klassenstandpunkt bis dahin geklärt hat.
Ralf Ruckus unterstützt seit Jahren den Kampf von Amazon-Arbeiter_innen in Poznan und die grenzübergreifende Organisierung der Amazing Workers.
Anmerkungen:
1) makeamazonpay.org
2) ozzip.pl
3) amworkers.wordpress.com
4) Ein Beispiel ist der Streik bei der Vivantes Service GmbH in Berlin. Siehe den Film zu einer Streikversammlung Anfang Mai 2018 und den Kommentar von Christian Frings unter de.labournet.tv/streikversammlung-vsg-852018-1.
5) Zur inneren Logik von Vertretungs- und Vermittlungsorganisationen und ihrer Bremswirkung für soziale Bewegungen und Unruhen siehe Michael Bruch u.a. (Hg.): Organisation und Kritik, Münster 2011 und Francis Fox Piven und Richard A. Cloward: Aufstand der Armen, Frankfurt a.M. 1986.
6) lowerclassmag.com/2018/02/vom-reden-zum-tun