Sind Almans Abfall?
Diskussion Das NetzDG richtet sich gegen Hassinhalte, führt aber oft zu Sperrungen von antirassistischen Accounts
Von @apolitAsh und @zugezogenovic
Seit Jahren stehen soziale Medien unter Druck - Nutzer_innen fordern, dass diese gegen Hassnachrichten auf ihren Plattformen vorgehen. Im Oktober 2017 trat das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) in Kraft. Eigentlich verfolgte Heiko Maas, damals noch Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz, das Ziel, »Hate Speech«, unter anderem rassistische und sexistische Beleidigungen, gezielte Belästigung und das Verbreiten von rechtsextremer Propaganda auf Plattformen wie Twitter und Facebook, ahnden zu können. Besonders Rechte, Neonazis und AfD-Sympathisant_innen empörten sich darüber, nannten das NetzDG auch »Denunziationstool« oder »Zensurtool« und sahen ständig ihr Recht auf freie Meinungsäußerung eingeschränkt.
Die Ängste der Rechten haben sich nur bedingt bestätigt. Bereits im Februar recherchierte das Portal netzpolitik.org, wie Trolle und rechte Gruppierungen agieren, um Nutzer_innen in sozialen Netzwerken mundtot zu machen und den politischen Diskurs zu manipulieren. (1) Das neue Gesetz funktioniert dabei zu ihrem Vorteil: Sie beobachten ihre Gegner_innen akribisch und verabreden sich dann auf Plattformen wie pr0gramm, Discord, Twitter oder auf Facebookgruppen, um auf der Basis des Gesetzes vor allem gegen Linke vorzugehen. Linke, oft migrantische Frauen sind Rechten, aber auch dem rassistischen Durchschnittswutbürger, der im Internet sein Unwesen treibt, ein Dorn im Auge: Gerne möchte er einmal richtig zurückschlagen. Am besten so, dass sie verschwinden. So gibt es geschlossene Facebookgruppen, in denen Screenshots von Tweets linker Aktivist_innen gepostet werden mit der Aufforderung, die Tweets und den Account ständig und regelmäßig zu melden. AfD-Funktionär_innen rufen ihre Follower dazu auf, Accounts zu melden, die sich öffentlich gegen die Aussagen von AfD-Parteimitgliedern aussprechen.
Antirassistische Satire verboten
Zielscheibe der rechten Trolle können öffentliche Personen sein, wie Politiker_innen, aber auch anonyme Twitteruserinnen wie wir, die gerne provokant und überspitzt über ihre täglichen Rassismus- und Sexismuserfahrungen twittern. Seitdem das NetzDG erlassen wurde, sind auch wir mehrfach gezielt von Netztrollen belästigt und so oft gemeldet worden, dass unsere Twitteraccounts dauerhaft gesperrt wurden. @zugezogenovic (früher @zgzgnfmnn) berichtet seit ihrer Einwanderung 2013 nach Deutschland unter anderem über ihr Leben als Migrantin, über Kriegs- und Fluchttraumata und patriarchale Gesellschaftsstrukturen. Neben viel positivem Feedback und einer steigenden Followerzahl gab es auch zunehmend beleidigende Kommentare und Beschimpfungen in privaten Nachrichten. Zum ersten Mal wurde ihr Account im Oktober 2017 gesperrt, dauerhaft und ohne Vorwarnung. Seitens Twitter gab es keine Erklärung über den Grund für die Sperrung. Einsprüche, die @zgzgnfmnn über die Twitter-Support-Seite einlegte, blieben unbeantwortet. Neue Profile, die sie sich anlegte, wurden innerhalb kürzester Zeit gesperrt. Twitter möchte es einmal gesperrten Nutzern_innen unmöglich machen, sich wieder auf der Plattform anzumelden.
Im Prinzip entscheidet Twitter sehr willkürlich, welche Inhalte bleiben dürfen und welche gelöscht werden. Warum ein Tweet gegen welche Richtlinien verstößt, wird nur vage erklärt. Es entsteht der Eindruck, dass Twitter die Meldungen gar nicht prüft, sondern nach Quantität der eingegangenen Meldungen entscheidet. Zwei weitere dauerhafte Sperrungen wurden mit dem »Verbreiten von Hass-Inhalten« begründet. Als Antwort auf Einsprüche kamen nur automatische E-Mails zurück.
@apolitAsh (früher @cosmopolitAsh) wird von einem Menschen beobachtet, der einen Wordpress-Blog betreibt und für sie eigens die Kategorie @apolitAsh angelegt hat. Er kommentiert jeden ihrer Tweets und fordert seine Leserschaft dazu auf, ihren Account zu melden. Dabei schreckt er auch nicht vor dem Gebrauch rassistischer und sexistischer Sprache zurück. Mehrmaliges Melden des WordPress-Blogs blieb trotz NetzDG ohne Folgen. Dass gerade Menschen, die sich für Menschenrechte, gegen Rassismus und jegliche Art von Diskriminierung einsetzen, viel Hass im Netz ernten, ist nichts Neues. Mit dem NetzDG hat die organisierte Belästigung durch politische Gegner_innen aber neue Ausmaße angenommen.
Unsere Tweets wurden immer wieder von großen Accounts in rechten Bubbles verbreitet. Ein rechter Account twitterte über unsere Inhalte: »Reminder das vorallem @cosmopolitAsh und @zgzgnfmnn rassistische, antideutsche Hetze unter dem Mantel der Satire posten und diese Personen es allemal verdienen vom NetzDG mit voller Wucht getroffen zu werden.« Tweets wie »Almans sind für mich Abfall« von @zgzgnfmnn wurden wegen ihrer Hassinhalte etliche Male unter NetzDG wegen »Hetze« gegen »Almans« und/oder »Männern« von Rechten gemeldet.
Folge des NetzDG: über 20 Mal täglich gemeldet
Seit dem 1. Januar 2018 wurden wir bis zu 20 Mal täglich gemeldet, einzelne Tweets sogar über 30 Mal. Twitter verhängt 24-stündige Sperrungen und fordert dazu auf, die entsprechenden Tweets zu löschen - solange darf der Account nicht benutzt werden. Ist der Account erst einmal dauerhaft gesperrt, bleibt nur noch die Möglichkeit, Einspruch einzulegen. Unsere alten Accounts erhielten wir trotz mehrerer Einsprüche nicht zurück.
Auch Rechten fällt auf, dass seit NetzDG nicht nur Rechte gesperrt werden, sondern auch Linke - wie der rechtskonservative FAZ-Blogger @_donalphonso vermerkte: »Ah Permaban für @zgzgnfmnn. Ich habe es ja immer gesagt, das #NetzDG schadet allen, aber manche dachten, es trifft eh nur die Rechten oder was man dafür hält«. Große rechte Twitteraccounts feierten unsere Sperrungen und beglückwünschten sich selbst, als sie eine Bestätigung ihrer Meldung von Twitter erhielten: »Endlich die Hetzerin sperren lassen«. Dabei bestehen die »Bubbles«, also Filterblasen, nicht nur aus Nutzer_innen, die AfD-Accounts und »IBstern«, also Identitären, folgen, sondern auch aus Nutzer_innen, die sich in ihren Profilen als »liberale und aufgeschlossene Europäer« bezeichnen. Einer stellte klar: »Es gibt kein #ReverseRacism es gibt nur Rassismus! Ob er sich gegen Juden, Türken, Russen oder Deutsche wendet ist dabei völlig unerheblich, auch in welchen Land sich der #Rassismus entwickelt. Rassismus bleibt Rassismus & wird nicht anders, nur weil er sich gegen Deutsche wendet.«
Nutzer_innen prahlen damit, uns endlich losgeworden zu sein, da wir Hass gegen Männer und Rassismus gegen Deutsche verbreiten würden. Dass »Hetze« gegen »Almans« als Hass bewertet wird, zeigt, dass beim NetzDG Machtstrukturen nicht mitgedacht werden - Diskriminierung gegen weiße Männer wird unabhängig von strukturellen Machtverhältnissen betrachtet. Das bedeutet, dass die Diskriminierten ihre Emotionen gefälligst nicht auf Kosten der Privilegierten, von denen sie diskriminiert werden, zu verarbeiten haben. Antirassismus soll für Weiße so gefällig und angenehm wie möglich sein - auch auf Twitter. Dass Almans oft Abfall sind, ist den meisten Nicht-Almans eigentlich schon lange bekannt und bestätigt sich nochmal durch ihr Verhalten im Netz.
Die Tools, die von den Privatunternehmen, aber auch dem Staat entwickelt wurden, sind eigentlich nur Symbolpolitik. NetzDG und »Hate Speech« helfen nicht nur nicht gegen Rassismus und Sexismus, sondern stellen sich für antirassistische und feministische Nutzer_innen sogar als kontraproduktiv heraus. Anders als auf anderen Kanälen und in konventionellen Medien haben diese Menschen auf Twitter einen Ort gefunden, um sich und ihre Lebensrealitäten mitzuteilen und auch Gehör zu finden. Für viele ist Twitter die einzige Möglichkeit, am öffentlichen Diskurs teilzunehmen. Doch dank NetzDG ist es nun noch einfacher geworden, die Stimmen von marginalisierten Menschen unsichtbar zu machen.
Die Autorinnen twittern seit der Sperrungen ihrer ursprünglichen Accounts wegen »Hassinhalten« unter @apolitAsh und @zugezogenovic. Sensible Almans sollten ihre Accounts lieber nicht besuchen.
Anmerkung:
1) netzpolitik.org/2018/getarnt-als-gamer-einblicke-in-eine-rechtsradikale-troll-armee