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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 640 / 21.8.2018

Seit 1990 im Krisenmodus

Deutschland Die Tageszeitung neues deutschland kämpft um ihr Überleben und um ihre Unabhängigkeit

Von Hannah Eberle und Fabian Westhoven

Damit hatten sie nicht gerechnet: Außerplanmäßig enterten auf dem Parteitag der LINKEN Anfang Juni in Leipzig zwölf Mitarbeiter_innen der parteinahen Tageszeitung neues deutschland (nd) die Bühne und richteten einen Appell an die Parteitagsdelegierten. »Wir sind heute hier, weil wir um unsere Arbeitsplätze kämpfen - und kämpfen müssen.«

Die Mienen der Parteivorderen wirkten etwas überrascht. Das lag sicherlich an der Form des Protestes. Denn das, was die Redakteurin verlas, war für die Parteispitze keineswegs neu. Ein entsprechender Beschluss zur Solidarität mit dem nd war bereits angenommen worden - doch eine dauerhafte Lösung des Konfliktes ist damit noch nicht in Sicht. Das nd befindet sich in der Krise, sichtbar für alle, seit sich Ende letzten Jahres die Meldungen über Abgänge und Neubesetzungen häuften. Chefredakteur Tom Strohschneider nahm gesundheitsbedingt seinen Hut, und Geschäftsführer Olaf Koppe wurde beurlaubt; inzwischen ist er Verlagsleiter. An seiner Stelle übernahm - in Teilzeit - Matthias Schindler. Er ist mit der communio eg bereits Gesellschafter der Neues Deutschland Druckerei und Verlags GmbH. Hintergrund dieser Personalrochade war offenbar die drohende Pleite des nd-Verlages.

Obwohl die Krise sich Ende letzten Jahres dramatisch zuspitzte, läuft der nd-Betrieb im Grunde bereits seit 1990 im Krisenmodus. Mit der Implosion der DDR verlor die Zeitung ihre Funktion als Zentralorgan der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED). Von nun auf gleich musste aus dem Verlautbarungsorgan eine Tageszeitung werden, die sich auf dem freien Zeitungsmarkt der Bundesrepublik zu bewähren hatte. Das gelang schlecht. Von rund einer Million sank die Auflage stetig auf heute nur noch rund 19.000 Vollabos in der Woche und rund 24.000 am Wochenende. 90 Prozent der Erlöse kommen aus diesen Abonnements, Einzelverkäufe sind verschwindend gering, und im Westen ist das nd faktisch nicht vertreten. »Man kann einschätzen, dass seinerzeit de facto ein Großteil einer ganzen Generation, der damals 30 bis 50-Jährigen mit höherer Qualifikation, früherer Leser_innen unwiederbringlich verloren gegangen ist«, beschreibt Schindler die Zäsur von Anfang der 1990er Jahre im Gespräch mit ak.

Dem nd sterben die Leser_innen weg

Heute, so der nd-Geschäftsführer, erfolgen Abokündigungen fast ausschließlich aus Altersgründen. Anders formuliert: Dem nd sterben die Leser_innen weg. »Und der Griff Jüngerer zur gedruckten Zeitung bleibt weitgehend aus«, ergänzt Schindler. Effektive Onlinebezahlmodelle, die den Erlösrückgang aus Print ersetzen könnten, seien nach wie vor nicht vorhanden.

Damit spricht Schindler eine Tendenz an, die für alle Tageszeitungen zutrifft. Das nd hat allerdings noch zusätzlich mit einer Reihe von Vorurteilen zu kämpfen: »Für einige haben wir das Image einer Parteizeitung, andere sehen in uns noch das alte SED-Blatt, wieder andere kennen die Geschichte der Zeitung nicht und sind über den Namen verwundert«, erklären jüngere nd-Redakteur_innen. Zudem, so Schindler, fehle dem nd im Gegensatz zur jungen Welt oder der tageszeitung ein Stück »Widerstandsbiografie«, die auf Jüngere oder alternativ Engagierte einladend wirke. »Das macht die Mobilisierung schwierig«, so der nd-Geschäftsführer.

Wenn es eng wurde für das nd, konnte sich der Verlag bis jetzt jedoch immer auf die Hilfe der Partei verlassen. So auch Ende 2017, als die Linkspartei mit einer Finanzspritze in »erheblicher Höhe« einsprang, um das Erscheinen zu sichern, so der ehemalige Bundesschatzmeister der LINKEN, Thomas Nord, gegenüber dem Medienmagazin Zapp. Eine gute Stange Geld ohne Gegenleistung? Natürlich nicht, sagt Sonja Giese, Pressesprecherin der Linkspartei, im Gespräch mit ak. »Das nd muss erhalten bleiben. Jetzt geht es erst einmal darum, tragfähige Konzepte für die kommenden Jahre zu entwickeln. Dafür wurde eine Grundlage geschaffen.«

Worin die Gegenleistung besteht - das wurde in diversen Medienberichten bereits gemutmaßt: Die Partei wolle dem nd-Anteile an der Immobilie abnehmen - und so im Falle einer Insolvenz das lukrative Gebäude aus der Konkursmasse heraushalten. Nun haben ak-Gespräche mit der Partei DIE LINKE ergeben, dass sich die Eigentümerstruktur bei Grundstück und Immobile Franz-Mehrin-Platz 1 offenbar tatsächlich geändert hat: Demnach soll seit Juni die Partei zu 50 Prozent Eigentümerin der nd-Immobilie und des Grundstücks sein. Zuvor hatte sie über ihre Beteiligungsgesellschaft FEVAC lediglich etwas mehr als zwölf Prozent gehalten. Die communio eG hält auch weiterhin 12,6 Prozent und der ND-Verlag demnach 37,4 Prozent. Zu berücksichtigen ist hierbei aber die Eigentümerstruktur des ND-Verlags: FEVAC und communio eG sind seit 2006 zu jeweils 50 Prozent die Gesellschafter der ND Verlags GmbH. Laut Geschäftsführer Schindler hat sich an der Eigentümerstruktur nichts geändert. Auch weiterhin sei der Verlag zu 74,8 Prozent an der Grundstücksgesellschaft Franz-Mehring-Platz 1 GmbH (GG FMP1) beteiligt. Schindler zufolge bleibt es dabei: Eigentümerin der Immobilie ist seit 2001 die GG FMP 1. FEVAC und communio eG seien beide gleichzeitig weiterhin direkt an der GG FMP1 mit jeweils 12,6 Prozent beteiligt.

Sichtbar wird, dass es derzeit verschiedene Informationen zu den Besitzverhältnissen von Grundstück und Immobilie gibt. Für alle Leser_innen und Angestellten aber in erster Linie relevant: Bis 2019 soll die Existenz des nd durch die Kapitaleinlagen der Partei nun gesichert sein - ohne Beschäftigungsabbau oder Kürzungen bei den ohnehin untertariflichen Entgelten.

Die mutmaßlichen Änderungen der Eigentümerstruktur, die laut Partei zum Wohle des nd erfolgten, sind aufseiten einiger Redakteur_innen indes Grund zur Sorge. Die finanzielle Situation und Abhängigkeit würde dadurch noch weiter verschärft, heißt es. In der Tat könnten Kredite nun schwerer zu bekommen sein.

Ein neues Konzept muss her

An der von der Partei geforderten konzeptionellen Neuausrichtung wird am Franz-Mehring-Platz 1 nun fleißig gebastelt. Bei null anfangen muss man dabei nicht. Denn Tom Strohschneider hat, als er 2012 als Chefredakteur zum nd kam, bereits vieles angestoßen: den Ausbau des Online-Angebots, die Einstellung jüngerer Redakteur_innen, die Einführung eines Videoredakteurs, das Relaunch des Layouts und vor allem die Umgestaltung der Wochenendausgabe. Diese soll nun komplett umgebaut werden. Redakteur_innen arbeiten darüber hinaus an dem Projekt »Supernova«, ein »left.style.mag«, mit dem jüngere Menschen online erreicht werden sollen. Jüngere nd-Kolleg_innen, die im Herbst letzten Jahres den Arbeitskreis (AK) Future gründeten, haben überdies verschiedene Projekte initiiert. Dazu gehören eine selbstorganisierte Leserumfrage, die bereits abgeschlossen wurde, und eine öffentliche Rettungskampagne, die demnächst starten soll. Die spannende Frage aber ist: Werden die Vorschläge der Redakteur_innen Gehör finden - bei den Leser_innen und bei den Eigentümern?

Engere Bindung an die Linkspartei

Es scheint, dass das nd vor einem kaum auszuhaltenden Spagat steht: Zu schnell darf man die Printzeitung nicht umgestalten, weil dann die alte Leserschaft, von der die Zeitung ökonomisch lebt, vergrault würde. Zu lange darf man indes auch nicht damit warten, Print und Online den Lesegewohnheiten jüngerer linker Leser_innen anzupassen. Denn irgendwann ist dieser Zug abgefahren.

Wäre der Ausweg ein Schritt zurück in die Vergangenheit, sollte die Zeitung sich enger an die Linkspartei und ihre 62.000 Mitglieder binden? Die Partei scheint hier eine Option zu sehen, und auf dem breiten linken Markt fände sich hier wohl auch noch ein Zielpublikum. Doch dass dies auf Unbehagen gerade bei den jüngeren Redakteur_innen stößt, von denen ohnehin bereits einige gegangen sind, ist verständlich. Der andauernde interne Konflikt wirkt sich auch auf Linke außerhalb der Partei aus. Das erfahren auch die nd-Redakteur_innen. Viele von ihnen wählen wohl die LINKE, sind aber keine Mitglieder, sondern in der außerparlamentarischen Linken aktiv. Sie sähen bei einer engeren Bindung an die Linkspartei ihre redaktionelle Unabhängigkeit gefährdet.

Die Funktion des nd habe bis dato hauptsächlich darin bestanden, einen bestimmten Teil der DDR-Bevölkerung in die Bundesrepublik zu begleiten, sagt nd-Geschäftsführer Schindler. Und fügt hinzu: »Diese Zeit könnte abgelaufen sein.«

Dabei ist das nd längst unverzichtbarer Teil der linkspluralistischen Medienlandschaft - gerade jetzt in Zeiten des Rechtsrucks. Außerdem ist es eine wichtige Informationsquelle und ein verlässlicher Berichterstatter für die Bewegungslinke. So bleibt zu hoffen, dass der Auftritt beim Parteitag der LINKEN und die Aktivitäten des AK Future die ersten Zeichen einer Widerstandsbiografie sind. Möglich, dass diese mobilisierend wirken können.

Hannah Eberle arbeitet bei ak; Fabian Westhoven schreibt gelegentlich für ak und nd.