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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 640 / 21.8.2018

Bewegung ohne Basis

Diskussion #Aufstehen im Spagat zwischen herrschendem politischen Klima und linken Inhalten

Von Raul Zelik

Man muss vielleicht vorwegschicken, worum es im Streit um #Aufstehen, Sahra Wagenknecht und die LINKE nicht geht. Ja, es wäre erfreulich, wenn ein Gegenpol zum neoliberalen There is no alternative sichtbar würde. Ja, es wäre auch schön, wenn diese Trendwende mit einer Person verbunden wäre. In den USA und Großbritannien haben die Kampagnen für Bernie Sanders und Jeremy Corbyn tatsächlich das Klima repolitisiert. Und ja: Es gibt auch Bewegungen, die top-down entstehen. Barack Obamas Wahlkampf wurde 2008 von Medienagenturen und Spin-Doktoren gemacht und hat trotzdem Hunderttausende mobilisiert - allerdings nur kurzfristig.

Bei der Diskussion muss es meiner Meinung nach also um etwas anderes gehen - nämlich darum, wie die Initiative von Sahra Wagenknecht auf das politische Klima in Deutschland und auf die LINKE wirkt.

Ingar Solty schrieb in seinem Beitrag »Cäsaristische Sehnsüchte und linkes Unbehagen«, dass die Sehnsucht nach Volkstribunen in der Hegemoniekrise enorm zunehme und dass Wagenknecht aufgrund ihrer Popularität eine Politikerin sei, die den Rechtstrend stoppen könne. Zwar könne »die Übernahme der Regierungsmacht ... alleine die Verhältnisse nicht ändern«, weil die ökonomisch Herrschenden auch durch »gesellschaftliche Gegenmacht« zurückgedrängt werden müssten, so Solty. Aber das Konzept der Parteilinken (oder eher der Vorsitzenden Kipping und Riexinger), langfristige Organizing-Projekte anzuschieben, habe ein Problem: Es wirke erst in Jahrzehnten. Wir hingegen lebten in einer Zeit des drohenden faschistischen Bruchs. Vor diesem Hintergrund setzt Solty auf Wagenknecht als charismatische Führerin, mit der die LINKE auf 25 Prozent kommen und das gesellschaftliche Klima, auch für Organisationsprozesse, verbessern könnte.

Ich finde Soltys Text, gelinde gesagt, ärgerlich. Über die Frage, inwieweit sich linke Politik an Meinungsumfragen orientieren sollte, mag man streiten - zum Beispiel gab es im Februar 2017 einmal einen gewissen Martin Schulz , den 50 Prozent der Deutschen zum Kanzler wählen wollten. Was ich als Einwand gegen Solty allerdings gewichtiger finde ist, dass er, wie die Anhänger_innen von #Aufstehen, die realen Erfahrungen mit dem Linkspopulismus ausblendet.

Dabei werden die engen Grenzen des populistischen Projekts sofort deutlich, wenn man sich ein wenig umschaut. Sicher, der Chavismus ermöglichte in Venezuela eine Repolitisierung der Gesellschaft und (kurzfristige!) soziale Errungenschaften. Doch das Drama, das Venezuela heute erlebt, hat eben auch viel mit cäsaristischer Politk zu tun. Der Chavismus setzte wegen der Schwäche der Linken stets auf schnelle Massenmobilisierung, inhaltliche Ambiguität (mit der man in alle Richtungen anschlussfähig bleiben wollte) und den alllmächtigen Führer.

Das ermöglichte die Übernahme der Regierung, aber stand einem langfristigen Transformationsprojekt, das kollektiv getragen und in einem offenen Klima kritisch reflektiert werden können muss, von Anfang an im Weg. Dass der venezolanische Staat heute von einer schwer zu identifizierenden Rauboligarchie dominiert wird, die die Öldevisen Venezuelas in Kooperation mit großen Handelsfirmen auf Auslandskonten umleitet, hat auch damit zu tun, dass es keine kollektiven Strukturen transparenter checks and balances gab und wenig Kriterien für das Transformationsprojekt - abgesehen von der Loyalität gegenüber Chávez.

Bewegung als Wahlkampfmaschine

Aber auch die europäischen Erfahrungen - unter anderem Syriza und Podemos - sollten uns zu denken geben. Der vermeintliche Bewegungscharakter des Linkspopulismus hat nicht zu mehr Basisdemokratie geführt, sondern im Gegenteil allmächtige Parteiführer hervorgebracht, die ihre Organisationen als »Wahlkampfmaschinen« begreifen und in erster Linie über Massenmedien kommunizieren. Der Versuch, durch eine strategisch gewählte Unschärfe der Aussagen auch konservative Wähler_innen anzusprechen, hat das Klima nicht nach links verschoben, sondern eher den durch die Massenbewegungen 2011 erzeugten Aufbruch entpolitisiert.

Damit soll nun nicht gesagt werden, dass an den genannten Parteien alles schlecht sei. Aber gerade die »cäsaristische« Linie von Podemos und ihre Ausrichtung auf den Führer Pablo Iglesias haben den Impuls der letzten Jahre zunichte gemacht. Das Problematischste an Soltys Haltung ist jedoch, dass er sich den inhaltlichen Auseinandersetzungen in der LINKEN gegenüber indifferent verhält. Oder andersrum gefragt: Worin besteht eigentlich das Problem mit Sahra Wagenknecht? Erstens darin, dass sie sich kollektiven Debatten systematisch entzieht, für Fragen unerreichbar bleibt, ihren Kurs über die Massenmedien vermittelt und gegen kollektive Beschlüsse durchsetzt. Und zweitens verfolgt sie einen Kurs, der die Basis der extremen Rechten ansprechen will, indem sie migrationsfeindliche und antiemanzipatorische Ressentiments unwidersprochen lässt oder sogar aufgreift .

In dieser Debatte gibt es kein Raushalten. Aber was bedeutet das nun wiederum hinsichtlich #Aufstehen? Das Problem ist, dass es bei diesem Projekt auch um etwas anderes geht, nämlich um die gesellschaftliche Wahrnehmbarkeit von Neoliberalismus-Kritik. Liest man den Text, den Marco Bülow (SPD), Sevim Dagdelen (LINKE) und Antje Vollmer (Grüne) bei Spiegel Online veröffentlichten, könnte man meinen, er stamme aus dem Umfeld des Instituts für Solidarische Moderne (ISM) und sei ein Plädoyer für Rot-Rot-Grün. In diesem Sinne hat sich auch der Schriftsteller Ingo Schulze, der den nationalen Tonfall Wagenknechts nicht teilt, in der Süddeutschen Zeitung sehr freundlich zu #Aufstehen geäußert. Selbst die Kritik des ISM wirkte verhalten. Der Grund liegt auf der Hand: Das Anliegen, für einen Bruch mit dem Neoliberalismus zu werben, teilen wir alle. Man kann es vielleicht als naiv kritisieren, dass #Aufstehen für ein progressives Projekt mit SPD und Grünen wirbt. Aber es ist letztlich nichts anderes als das, was der Regierungsflügel der LINKEN seit Jahren befürwortet - und was die Anhänger_innen Sahra Wagenknechts in den Parteigremien immer scharf kritisiert haben.

Von außen Fakten schaffen

Die Frage lautet also, warum verbündet sich Wagenknecht nicht einfach mit dem Regierungsflügel in der LINKEN? Und das ist wohl der eigentliche Knackpunkt der Auseinandersetzung. #Aufstehen ist eben auch ein Projekt, um bestehende Beschlüsse in der LINKEN zu umgehen. Wagenknecht will mit einem anderen Migrationskurs und einem nationaleren Zuschnitt der Sozialpolitik punkten. Sprich: Sie will die LINKE dadurch stärken, dass sie Zugeständnisse, an das herrschende politische Klima macht. Weil sie jedoch weiß, dass die Parteibasis das nicht so einfach mitmacht, hat sie entsprechende Forderungen auf dem Parteitag gar nicht erst eingebracht. Der migrationsfreundliche, bewegungsorientierte und eher antiautoritäre Antrag der Parteivorsitzenden Kipping und Riexinger wurde fast einstimmig angenommen.

Wagenknecht will diese innerparteiliche Auseinandersetzung nun umgehen, indem sie von außen Fakten schafft; auch deshalb, weil sie ehrlich davon überzeugt ist, der neoliberale Kapitalismus schwäche den Nationalstaat und wolle die Überwindung von Grenzen und nationaler Identität. Das allerdings ist analytisch falsch. In der Krise ab 2008 hat sich gezeigt, wie sehr der globale Finanzkapitalismus den Nationalstaat benötigt und verteidigt. Auch neoliberale Pioniere wie US-Präsident Reagan verfolgten nie einen Angriff auf den Staat. Reagan jagte die Staatsausgaben in die Höhe, propagierte einen aggressiven Patriotismus und stärkte Armee, Polizei und Geheimdienste. Was er, Thatcher und andere wollten, war nicht etwa »No border, no nation«, sondern die Zurückdrängung der staatlich garantierten sozialen Rechte. Das Sozialsystem wurde demontiert, die Militär- und Repressionsapparate ausgebaut. Gefängnisse wurden privatisiert, nicht aber die Macht des Staates beschnitten, Millionen Afroamerikaner_innen hinter Gitter zu sperren.

Wenn Wagenknecht und andere jetzt undifferenziert »den Staat« stärken wollen und dabei immer wieder auch positiv auf Grenz- und Polizeipolitik Bezug nehmen, plädieren sie für ein Projekt, das zwar sozialdemokratische Aspekte hat, aber durchaus auch von der antiliberalen Rechten geteilt wird. Dass Wagenknecht den Errungenschaften feministischer, nichtweißer und schwullesbischer Bewegungen punktuell ihre Bedeutung abspricht, macht diese Orientierung hin zur antiliberalen Rechten noch klarer. Der Punkt ist nicht, dass eine Sammlungsbewegung gegen den Neoliberalismus schlecht oder dass es falsch wäre, verzweifelte, entwürdigte, weiße Unterklassen anzusprechen. Das Problem ist: Der Rechtsruck kann mit migrationsfeindlichen Statements, der Verharmlosung von Rassismus (den es überall in der Gesellschaft gibt, nicht nur bei Rechten) und der Denunziation von Emanzipationsbewegungen nicht bekämpft werden.

Es geht eben nicht nur darum, die AfD zu stoppen, sondern auch den Rollback abzuwehren, der als Liberalenkritik daherkommt, aber eigentlich Frauen, Nichtweiße und Nichthetero meint. Und es muss darum gehen, einem falschen Staatsbegriff zu widersprechen. Der Staat war nie das Bollwerk gegen das Kapital, wie Sozialdemokrat_innen behaupteten. Der Staat war und ist eine Herrschaftseinrichtung des Kapitals, dem durch soziale und demokratische Kämpfe allerdings auch Forderungen der unteren Klassen eingeschrieben wurden. Unser Aufgabe ist es, diese Rechte zu verteidigen und auszubauen - innerhalb und außerhalb der Institutionen; lokal, in nationalstaatlichem Rahmen, aber auch auf europäischer Ebene und darüber hinaus.

Raul Zelik ist Mitglied des Parteivorstands der LINKEN. Er veröffentlichte zuletzt das Buch »Spanien - eine politische Geschichte der Gegenwart« (Bertz & Fischer).