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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 640 / 21.8.2018

Wie Donauwörth ein furchterregender Ort wurde

Lagersystem Eine Chronologie der Ereignisse in der Erstaufnahmeeinrichtung

Von David Jassey

Im Erstaufnahmelager Donauwörth leben Menschen aus der Türkei, Georgien, Pakistan, Somalia und anderen Nationen. Zwischen November 2017 und März 2018 stellten Geflüchtete aus Gambia die Mehrheit der Bewohner_innen. Die meisten von uns Gambier_innen lernten sich erst im Lager kennen. Obwohl wir Asylsuchende mit vielen Schwierigkeiten konfrontiert waren, wussten wir, dass wir uns organisieren müssen, wenn wir in die deutsche Gesellschaft integriert werden wollen. Dafür mussten wir uns zunächst untereinander kennenlernen. Wir veranstalteten Tanzabende und Gesang, Hallensport und Fußball. Dann begannen wir, einmal im Monat, später einmal pro Woche eine Versammlung zu organisieren. Dies war die Geburtsstunde des gambischen Integrationskomitees in Donauwörth.

Auch der Gemeinde wollten wir uns vorstellen: durch ehrenamtliche gemeinnützige Arbeit, zum Beispiel Reinigung öffentlicher Plätze; durch einen Tag der Begegnung mit den Jugendlichen in der Berufsschule. Wir wollten zwei Kindergärten in der Stadt besuchen und einen öffentlichen Vortrag im Rathaus Donauwörth halten. Das alles, um die Einheimischen über uns zu informieren und uns mit der Zeit in die Gesellschaft zu integrieren.

Entrechtung, Gewalt, Schikane

All diese Vorhaben wurden jedoch zunichte gemacht durch Probleme, mit denen wir täglich konfrontiert waren. So blockierte das Sozialbüro unser Taschengeld, sobald jemand eine negative Antwort auf sein Asylgesuch erhielt. Das Gesundheitszentrum weigerte sich, unsere Kollegen mit Hepatitis B+ zu behandeln. Und wenn jemand Magen- oder Kopfschmerzen hatte, schrieb der Arzt ein Rezept, mit dem man Medikamente außerhalb des Lagers kaufen konnte. Wir haben aber nur ein Taschengeld von 90 Euro im Monat zur Verfügung, und wenn auch das gestrichen wird, wovon soll man dann die Medikamente bezahlen?

Die Security behandelte uns brutal: Wenn es ein Missverständnis mit einem Wachmann gab, kamen im Nu Sicherheitskräfte aus allen Winkeln des Lagers angelaufen und warfen den Flüchtling ohne weitere Fragen zu Boden, fixierten ihn, knieten sich auf seinen Kopf, seinen Körper, seine Beine. Auch die Polizei belästigte unsere Kolleg_innen auf dem Schulweg. Sie kontrollierte sie täglich, auch wenn andere Schüler_innen dabeistanden. Oft mussten sich unsere Schüler_innen demütigende Fragen anhören: »Was machst du in meinem Land?« Oder: »Warum gehst du nicht nach Hause?«

Am 23. Januar 2018 schrieb das gambische Integrationskomitee den ersten Brief an die Lagerleitung mit der Bitte um Gleichbehandlung aller Flüchtlinge unabhängig von ihrer Nationalität, um Freigabe unseres Taschengeldes und um Arbeitserlaubnis. Am 29. Januar 2018 schrieben wir einen Folgebrief.

Da die Lagerleitung keinen der Briefe beantwortete, stellten wir am 12. Februar die 80-Cent-Jobs ein. An diesem Tag suchten Vertreter_innen des Integrationskomitees auch das Gespräch mit der Lagerleitung. Ohne uns anzuhören, gab uns Frau Glass von der Lagerleitung ein Ultimatum von zwölf Minuten, um alle arbeitenden gambischen Flüchtlinge wieder an die Arbeit zu bringen, sonst würden sie überhaupt keine Arbeit mehr erhalten. Als wir am Nachmittag in der Kantine aßen, kam eine Küchenmitarbeiterin mit ihrem Smartphone heraus und begann, uns zu filmen. Wir forderten sie auf, das Video zu löschen, aber sie weigerte sich und rannte in die Küche.

Stell dir vor, am Ort, an dem du leben musst, verweigert man dir medizinische Behandlung, man behält dein Geld ein, die Security schlägt dich, die Polizei lauert dir auf. Wo bist du noch sicher? Wütend und traurig über die Situation im Lager beschlossen wir, zu Fuß nach Italien zurückzukehren. Am Bahnhof Donauwörth wurden wir von der Polizei gestoppt. Zum ersten Mal erfuhren wir, dass das Lager einen Direktor hat, der in Augsburg lebt. Wir erklärten ihm die Schwierigkeiten, mit denen wir im Lager konfrontiert waren, und er versprach, sich für eine Lösung einzusetzen, wenn wir ins Lager zurückkehrten. Am Folgetag fand ein Treffen statt, um über die Probleme zu sprechen, doch von den Versprechungen, die er am Vortag gemacht hatte, wollte der Lagerleiter nun nichts mehr wissen.

Nach diesem Ereignis wurde die Situation im Lager noch unfreundlicher. Es gab Verhandlungen mit den Behörden, bei denen auch der Direktor und die Polizei immer anwesend waren. Am 27. Februar 2018 formulierte das gambische Integrationskomitee acht Forderungen für ein geplantes Treffen am 1. März 2018, das vom Direktor des Lagers organisiert wurde. Alle acht Forderungen wurden bei jenem Treffen abgelehnt - mit Ausnahme einer, die eine Markierung auf den Ausweisen betraf. Doch als ein Mitglied des Integrationskomitees seinen Ausweis in Haus 47 ändern lassen wollte, wurde dies abgelehnt. Auch diese Vereinbarung war also wertlos.

Eine zufriedenstellende Erklärung gab es nicht. Am 7. März beschlossen wir daher, die Arbeiten im Camp einzustellen, die Schulbesuche ebenso. Dies sollte unsere Unzufriedenheit über die Missachtung unserer Vereinbarung zum Ausdruck bringen. So blieb die Situation zunächst: keine Arbeit, kein Schulbesuch.

Der Großeinsatz vom 14. März

Am 14. März erhielt die Polizei die Information, dass einer unserer Kollegen, der nach Italien abgeschoben werden sollte, in dieser Nacht im Lager sei. Gegen drei Uhr morgens kamen Polizist_innen, um den Mann zu verhaften, fanden ihn aber nicht vor. Sie klopften an Zimmertüren in Haus 11 und weckten andere Bewohner_innen im Erdgeschoss. Irgendwann ging der Feueralarm los, und Menschen aller Nationalitäten liefen ins Freie, auf der Suche nach einem sicheren Ort, so wie es uns die Lageverwaltung bei unserer Ankunft eingebläut hatte. Als die Polizeibeamt_innen die vielen Menschen sahen, fuhren sie weg.

Später behauptete die Polizei, die gambischen Flüchtlinge hätten die Abschiebung verhindert. Doch das ist falsch. Niemand hatte die Polizei daran gehindert, ins Lager zu fahren. Die meisten wussten nicht einmal, dass die Polizei in jener Nacht kommen würde, um einen Kollegen zu verhaften. Die Polizei fand den gesuchten Mann nicht, wahrscheinlich war er nicht im Lager. Es gab also keine Abschiebung, die jemand hätte verhindern können.

Der Rest des Tages verlief normal bis ca. 14 Uhr. Um 14 Uhr sahen wir etwa 60 Polizeiwagen sich dem Lager nähern. 200 Polizeibeamte liefen aufs Gelände, sicherten den Zaun rund ums Lager; jede Eingangstür in Haus 10 und Haus 11 wurde von jeweils mehreren Polizist_innen besetzt. Die Polizei war schwer bewaffnet mit Schusswaffen, Schlagstöcken, Tränengas, Pfefferspray, Handschellen und Kabelbindern, Hunden, Seilen und Schutzausrüstung (Helm, Handschuhe usw.) und trat sehr aggressiv auf.

Wir gambischen Flüchtlinge fragten, was los sei, als Antwort erhielten wir Pfefferspray ins Gesicht. Einer unserer Kollegen brach zusammen und musste ins Krankenhaus eingeliefert werden. Als Flüchtlinge wegen des Pfeffersprays in den Fluren keine Luft mehr bekamen, gingen zwei Fenster und eine Glastür zu Bruch. Wir bezeichnen die Aktion als Polizeigewalt, weil es absolut keinen Grund für den harten und gefährlichen Einsatz gab.

Die Polizeiaktion dauerte insgesamt vier Stunden. Der wegen Abschiebung Gesuchte war nirgends zu finden. Am Ende des Tages wurden 32 unserer Kollegen verhaftet; zwei von ihnen wurden am Abend freigelassen und in andere Heime gebracht. Am selben Abend veröffentlichte die Polizei eine Pressemitteilung darüber, wie gambische Flüchtlinge eine Abschiebung verhinderten hätten und wie aggressiv sie gewesen wären. Sie erklärten die Verhafteten öffentlich zu »Randalierern« und »Rädelsführern«.

An dieser Stelle möchte ich klarstellen: Es kommt äußerst selten vor, dass Schutzsuchende die Gesetze der Gesellschaft, von der sie sich Schutz erhoffen, infrage stellen. Vor diesem Hintergrund sind Aussagen, Flüchtlinge seien »aggressiv« oder »gefährlich«, unbegründet. Es sind politische Hilfsargumente, um Geflüchtete zu isolieren.

»Randalierer« und »Rädelsführer«

Am nächsten Tag kündigte der bayerische Innenminister Joachim Hermann (CSU) einen Besuch im Lager an. Wir dachten, wir hätten nun endlich die Möglichkeit, ihm unsere Version der Geschichte zu erzählen. Doch dann hörten wir, dass der Minister nicht mit Schwarzen sprechen wolle. Aus Respekt vor seinem Amt und den Menschen, die ihn gewählt haben, entschieden wir also, während seines Besuchs im Gebäude zu bleiben. Er kam ins Lager, hielt sein Treffen ab und fuhr wieder. Anschließend erfuhren wir, dass wegen unserer »Aggressivität« das Sicherheitspersonal verstärkt werden sollte.

Nach dem Besuch des Innenministers am 16. März beschloss das Integrationskomitee, eine Kampagne zu starten. Am 22. März hielten wir eine Pressekonferenz, auf der wir die Situation ausführlich schilderten. Am 26. März demonstrierten die gambischen Flüchtlinge in München für die Freilassung unserer Kollegen und für eine Begründung des Polizeieinsatzes vom 14. März. Am 29. März demonstrierten wir erneut, diesmal in Donauwörth. Wir wiederholten unsere Forderungen und baten die deutsche Regierung, uns Hoffnung zu geben, statt uns zu Unrecht hinter Gitter zu bringen. Wir gaben Interviews für Radio, Fernsehen und Onlinemedien. Leider gaben die Medien unsere Aussagen falsch wieder, so dass wir schließlich entschieden, keine weiteren Interviews zu geben.

Wir schrieben Briefe, damit Mitglieder des Integrationskomitees die Möglichkeit erhielten, unsere Kollegen im Gefängnis zu besuchen. Alle Anträge wurden abgelehnt. Mitte Mai ließ die Polizei unsere Kollegen nach und nach frei. Einige wurden direkt aus der Untersuchungshaft nach Italien abgeschoben, andere in andere Heime verlegt. Die Freigelassenen erhielten jeweils einen Strafbefehl wegen Landfriedensbruchs, einige zusätzlich wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte. Sieben Betroffene legten Einspruch gegen die Strafbefehle ein. Bis Mitte August sind bereits drei von ihnen nach Italien abgeschoben worden, die übrigen vier sind aufgrund des Dublin-Verfahrens ernsthaft bedroht.

Der Polizeiangriff in Donauwörth ließ die gambische Gemeinde in Angst und Schrecken versinken. Die Abschiebungen wurden seither immer häufiger und aggressiver, fast jede Nacht wurde um zwei oder drei Uhr morgens jemand zur Abschiebung abgeholt. Manche haben Deutschland inzwischen freiwillig verlassen, einfach, weil sie Angst hatten. Im Frühjahr lebten etwa 360 Menschen aus Gambia im Erstaufnahmelager in Donauwörth. Inzwischen sind es vielleicht noch 50 Menschen.

David Jassey war Mitglied des gambischen Integrationskomitees im Erstaufnahmezentrum in Donauwörth.

Übersetzung aus dem Englischen: Jan Ole Arps

Spenden für die Opfer des Polizeiangriffs

Die Unterstützung der Freigelassenen und die Einsprüche gegen die Strafbefehle sind mit hohen Kosten verbunden. Der Bayerische Flüchtlingsrat hat ein Spendenkonto eingerichtet:

Bayerischer Flüchtlingsrat

Bank für Sozialwirtschaft

IBAN: DE89 7002 0500 0008 8326 02

BIC: BFSWDE33MUE (München)

Verwendungszweck »Donauwörth«.