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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 640 / 21.8.2018

Sommerthema Faschisierung

Diskussion Es wird wieder über Faschismus diskutiert. Leider kaum über seine ökonomischen Bedingungen

Von Jan Ole Arps

Angesichts des anhaltenden Rechtstrends diskutieren nicht nur linke Medien die Frage, ob der Faschismus zurückkommen kann. Auch in bürgerlichen Zeitungen liest man das F-Wort. Im Tagesspiegel-Interview sprach die Migrationsforscherin Naika Fouroutan von »präfaschistischen Zuständen«; die ZEIT griff die Warnung auf und fragte: »Der Eindruck, dass Kultur und Staat verfallen, hat schon einmal zur politischen Verrohung beigetragen. Geschieht das jetzt wieder?«

Die Diagnosen kreisen angesichts rassistischer Mobilisierungen und Wahlerfolge und einer erschreckenden Brutalisierung des öffentlichen Diskurses um den Verlust bürgerlich-liberaler Werte und die Verachtung der Demokratie in Teilen der Gesellschaft. Wenn die Menschen das Vertrauen in die Demokratie und ihre Institutionen verlören, würden sie empfänglich für autoritäre Lösungen.

Diese Diagnosen beschreiben einen Stimmungswandel, die Frage nach den ökonomischen Bedingungen für die beobachtete Faschisierung sparen sie aus. In marxistisch inspirierten Faschismustheorien ist das Verhältnis von sozioökonomischen Triebkräften und Bewegungsdynamik des Faschismus eine zentrale Streitfrage. Einigkeit besteht darin, dass die Krisen nach dem Ersten Weltkrieg den faschistischen Parteien den Weg ebneten. Die meisten Theorien räumen ein, dass das Programm der faschistischen Bewegungen nicht deckungsgleich mit den Interessen der mächtigsten Kapitalfraktionen war, verweisen aber darauf, dass sie ohne deren Unterstützung nicht die politische Macht hätten erobern können. Das Kapital setzte in Italien und Deutschland zunächst auf die bürgerlichen Parteien. Erst als diese die ökonomische Krise nicht mehr in den Griff bekamen und die Angst vor einer kommunistischen Revolution wuchs, ging die Bourgeoisie das Bündnis mit dem Faschismus ein. Er war als Bündnispartner attraktiv, weil er mit nationalistischen Sehnsüchten und scheinrevolutionärem Gestus klassenübergreifend mobilisierte, das Privateigentum aber nicht antastete. Propagandistisch an die Mittelschichten gerichtet, bedienten die faschistischen Parteien, einmal an der Macht, vor allem die Interessen des Großkapitals und Militärs, schalteten die Arbeiterbewegung aus, organisierten die Umverteilung zugunsten der Unternehmen und setzten ein gigantisches imperialistisches Expansionsprogramm in Gang.

Allerdings drängte sich schon damals die Frage auf, wieso der Faschismus eine soziale Basis gewinnen konnte, gegen deren ökonomische Interessen er sich richtete (Kleinbürgertum, Teile der Arbeiterklasse). Psychologisch argumentierende Faschismusanalysen wie die von Wilhelm Reich und dem Frankfurter Institut für Sozialforschung bringen hier den autoritären Charakter und Revolutionsangst bzw. die »Furcht vor der Freiheit« (Erich Fromm) ins Spiel, Klaus Theweleit ergänzt den Hinweis auf eine bedrohte Männlichkeit, die durch militärischen Drill und patriarchale Gewalt stabilisiert wurde. Das Versprechen von Einschluss in Nation und Volksgemeinschaft, das der antisemitische und rassistische Ausschluss der Anderen macht, hat großes Integrationspotenzial.

Auch wenn nur Teile der heutigen rechten Bewegungen den gängigen Faschismusdefinitionen genügen, haben sich vormals rechtspopulistisch genannte Parteien für eine faschistische Rhetorik geöffnet. Ihrer Popularität hat das nicht geschadet - im Gegenteil haben sie auch das bürgerliche Lager nach rechts radikalisiert. Die soziale Basis der heutigen Rechten besteht vorwiegend aus Bevölkerungsteilen, die Privilegienverlust befürchten: Selbstständige, Teile der männlichen Arbeiterklasse, Angestellte. Die Schwierigkeiten des Kapitals, stabile Verhältnisse zu organisieren, wurden in der Weltwirtschaftskrise ab 2008 offenkundig. Die Zustimmung selbst in den kapitalistischen Zentren schwindet; auch dies weckt Assoziationen zur Situation in der Weimarer Republik. Allerdings sind auch die Unterschiede gravierend. Der realsozialistische Teil der Welt existiert nicht mehr, eine revolutionäre Arbeiterbewegung, die die Herrschaft des Kapitals herausfordert, gibt es derzeit nicht. Wo sich, wie zuletzt in Griechenland, Opposition gegen die Interessen der mächtigsten europäischen Kapitalinteressen formierte, reichte die finanzpolitische Erpressung durch EU-Kommission, IWF und EZB, um diesen Bestrebungen den Garaus zu machen.

Achim Szepanski bietet im nebenstehenden Artikel den Gedanken an, dass die Tendenz zur Faschisierung vor allem einer sicherheitspolitischen Logik der Krisenprävention innerhalb der Staatsapparate entspringt. Das klingt angesichts der rassistischen Bürgermobilisierungen in Europa zunächst nicht unmittelbar einleuchtend. Allerdings ergeben sich interessante Fragen, wenn man beide Tendenzen übereinanderlegt.

Das Comeback faschistischer Sehnsüchte fällt in eine Zeit, die einerseits durch wachsende ökonomische Konkurrenz auf dem Weltmarkt bei gleichzeitig stagnierenden Profiten gekennzeichnet ist, andererseits durch die sich zuspitzende Klimakrise. Die extreme Rechte verspricht, den erreichten Wohlstand abzusichern, indem sie ihn militärisch gegen jene Menschen abschottet, die vor den Verheerungen der herrschenden Produktionsweise fliehen. Dass sie die Ursachen des Klimawandels leugnet und die »Flüchtlingsfrage« ins Zentrum der rechten Mobilisierungen stellt, ist nur folgerichtig.

Die aktuelle mörderische Migrationspolitik könne als Notstandsübung für die Fluchtbewegungen der Zukunft verstanden werden, schrieb Tomas Konicz kürzlich auf telepolis. Eine Übung auch in Verrohung, die notwendig ist, um die für die Abschottung Europas erforderliche Gewalt zu mobilisieren. Die Hetze gegen Geflüchtete dient auch der Abwehr und Verdrängung des Wissens um die Gewalt, die zur Durchsetzung der Privilegien einer imperialen Lebensweise notwendig ist.

Über diese Interessenkonvergenz zwischen faschistoider Bewegung und Kapital weiter nachzudenken, könnte sich lohnen. Vielleicht muss das europäische Kapital derzeit keine revolutionäre einheimische Arbeiterbewegung fürchten. Aber die Folgen der Widersprüche, die aus der Verwüstung der Erde durch den kapitalistischen Wachstumszwang entstehen, dürften mindestens ebenso bedrohlich sein.