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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 641 / 18.9.2018

Aufgeblättert

Manotti-Krimi

Eine der besten Krimiautorinnen Europas ist wieder da. In ihrem aktuellen Roman verarbeitet Dominique Manotti die Übernahme des französischen Unternehmens Alstom durch den US-Konzern General Electric literarisch. Analytisch wie sprachlich ist Manotti in diesem Wirtschaftskrimi mal wieder präzise wie kaum eine Zweite: Wie das Getriebe der Macht von toxischen Männerfreundschaften und Korruption angekurbelt wird, zeichnet sie detailliert nach, ohne dabei in Verschwörungstheorien abzugleiten. Anschaulich zeigt sie die Absicherung der wirtschaftlichen und politischen Macht an dem Außenseitercharakter Nicolas Barrot. Auch die Darstellung von männlicher Sexualität und Gewalt im Kontext der Machtausübung, eines von Manottis dauerpräsenten Themen, findet Raum. Zu kritisieren bleibt dennoch einiges. Da ist zum einen die geringe Komplexität des Plots, der zugunsten der übersichtlich dargestellten Wirtschaftsabläufe und trotz einiger eleganter Verknüpfungen allzu vorhersehbar und relativ monoton erscheint. Oder die Charaktere, die bis auf einige Ausnahmen ungewohnt blass und eindimensional erscheinen, was besonders bei der aus Algerien stammenden Hauptfigur, der Kommissarin Noria Ghozali, schade ist. Zudem fragt man sich, ob es tatsächlich realistisch ist, die Abteilung für Wirtschaft beim französischen Geheimdienst als eine Bastion des Widerstands gegen Konzernmacht darzustellen. All dies führt dazu, dass dieser solide Wirtschaftskrimi hinter anderen Manotti-Werken zurückbleibt.

Theresa Hartmann und Jonathan Welker

Dominique Manotti: Kesseltreiben. Argument Verlag, Hamburg 2018. 397 Seiten, 20 EUR.

Transmoderne

Die Transmoderne ist die Bezeichnung »einer dekolonialen Kraft« (Christian Kravagna) innerhalb der globalen Moderne. Mit Moderne ist ein bestimmter, westlich geprägter Teil der Kunstgeschichte gemeint. Moderne bezieht sich aber auch auf die Entwicklung des Kapitalismus. Der Wiener Kunsthistoriker Christian Kravagna spürt in seinem Buch transmoderne Praktiken im frühen 20. Jahrhundert auf. Dabei geht es nicht nur darum, wie sich künstlerische Arbeiten gegenseitig beeinflusst haben. Transmoderne Praktiken sind vielmehr »in den antikolonialen und antirassistischen Bewegungen des 20. Jahrhunderts verortet«. Die gesammelten Aufsätze führen zu Kontakten zwischen indischen und westeuropäischen Kunstfeldakteur_innen, in die lateinamerikanische Ethnologie der 1940er Jahre und in die US-amerikanische Bürgerrechtsbewegung. Und sie stellen Grundsatzfragen kunsthistorischer Forschung. Die gewagteste These des Buches ist zweifellos die, dass die vom Modernismus geforderte Reinheit der Kunst untrennbar mit der Vorstellung von kultureller Reinheit verknüpft sei. Denn das bedeutet, dass die Befreiung der Kunst von allerlei moralischen, politischen und sonstigen Ansprüchen einhergeht mit Rassismus. Mit ihrer Betonung einer »rein optischen Erfahrung« blendeten die Modernist_innen die sozialen Erfahrungen Marginalisierter aus. Diese Erfahrungen und einige ihrer künstlerischen Ausdrucksformen in den Blick zu nehmen, und zwar nicht als glorifiziertes Anderes, darin liegt das Verdienst des Buches.

Jens Kastner

Christian Kravagna: Transmoderne. Eine Kunstgeschichte des Kontakts. b_books, Berlin 2017. 340 Seiten, 24,80 EUR.

Polnisches 68

Die polnischen Märzunruhen zählen zu den vielen Schauplätzen, die sowohl zu ihrer Ereigniszeit selbst wie auch im laufenden »Jubiläumsjahr« meist nebensächlich bearbeitet wurden und werden. Am 8. März 1968 protestierten in Warschau Student_innen gegen die polnische Staatsführung. Viele der jungen Oppositionellen kamen aus jüdischen Familien und organisierten sich im »Klub der Widerspruchsuchenden«. Der Historiker David Kowalski widmet sich in seiner Dissertation »Polens letzte Juden« diesem Kapitel linker Dissidenz, das auch Teil seiner eigenen Familiengeschichte ist. Wie viele Beteiligte emigrierten seine Eltern nach der den Protesten folgenden antisemitischen Propagandakampagne der Parteiführung nach Deutschland - das Land der Mörder vieler ihrer Familienangehörigen. Kowalski untersucht die Zusammenhänge von staatskommunistischer Parteipolitik und Orthodoxie, Polentum und jüdischer Identität, Herkunft und Zugehörigkeit und hält fest: »Die hohe Beteiligung von Studenten jüdischer Herkunft an den Warschauer Protesten war (...) Anzeichen eines letzten Aufbäumens der jüdischen Hoffnung in den Kommunismus.« Dass der Autor dicht an den Geschichten der Beteiligten schreibt, mit denen er zahlreiche Interviews geführt hat, macht die wissenschaftliche Schrift zu einem angenehm lesbaren und zugleich gehaltvollen Text. Er ließe sich auch zum Anlass nehmen, die Frage zu erörtern, warum das »polnische 68« linke Aktivist_innen in den meisten Ländern so viel weniger bewegte als andere Ereignisse.

Johannes Spohr

David Kowalski: Polens letzte Juden. Herkunft und Dissidenz um 1968. Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2018. 256 Seiten, 45 EUR.

Stadt für alle!

Um alte Vorstellungen und Selbstverständlichkeiten ins Wanken zu bringen, braucht es griffige und offensive Konzepte - »Lockerungsübungen«, die Anderes vorstellbar machen. In den letzten Jahren ist der Slogan »Stadt für alle!« immer häufiger anzutreffen, nicht zuletzt als Reaktion auf die verstärkten Ausschlüsse der neoliberalen Stadt und das repressiver werdende Grenzregime, dass sich vor allem auch in der Stadt ausdrückt. »Alle die hier sind, sind von hier« - das ist die Basis, auf der für Teilhabe und Zugang aller zu (städtischen) Ressourcen gestritten wird. Als frischer Wind für Kämpfe der Recht-auf-Stadt-Bewegungen bildet dieser Slogan Rahmen für Bündnisse und strategische Interventionen. Notwendigerweise müssen diese Perspektiven auf Stadt vielschichtig sein - in der Theorie wie auch in der Praxis. Durch die Vielfalt an thematischen Zugängen und Positionen der Aktivist_innen werden die Beiträge dieses kompakten Sammelbandes dem gerecht. Sie sind konkret, spannend und einzigartig. Geteilt werden Erfahrungen aus (post-)migrantischen, queer-feministischen, antirassistischen und dekolonialen Kämpfen, aber auch etwa aus der offenen Jugendarbeit. Die Kraft und Beschränkung von Konzepten wie Urban Citizenship wird ausgelotet, Interventionsstrategien werden diskutiert. Auch für jene, die sich schon länger mit dem Thema beschäftigen, werden sich so neue Einsichten und Ideen gewinnen lassen. Damit ist das Buch lesenswert für alle, die Stadt und Demokratie neu denken wollen.

Raphael Kiczka

Heidrun Aigner und Sarah Kumnig (Hg.): Stadt für alle! Analysen und Aneignungen. Mandelbaumverlag, Wien/ Berlin 2018. 260 Seiten, 17 EUR.