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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 641 / 18.9.2018

Queer Eye. Sich umeinander kümmern

Wenn deine Wohnung ein Schlachtfeld ist, es der Beziehung zur Familie, Freund_innen oder Parter_innen an Zärtlichkeit fehlt, du nicht weißt, ob und wie du dein Coming Out in der Kirchengemeinde eines kleinen Dorfes wagen kannst oder du einfach nicht den Mut findest, einer geliebten Person zu sagen wie gern du sie_ihn hast: Dann kommen die »Fab Five«, eine Gruppe von herzlichen nicht-hetero Männern aus dem Nichts, helfen dir auf die Beine und krempeln alles um - ohne dich dabei vorzuführen.

Der Plot der 2018 gestarteten Reality TV Serie »Queer Eye« ist zu schön um wahr zu sein; aber zumindest auf dem Bildschirm im Bereich des Möglichen. Die von Netflix produzierte Serie (ja, sorry, schon wieder Netflix) ist die Neuauflage des von 2003 bis 2007 ausgestrahlten Vorgängers »Queer Eye for the Straight Guy«.

Wie schon im 2007 abgesetzten Original geht es um fünf schwule Männer, die ganz im Sinne einer Make-Over-Serie einer Person die Wohnung neu einrichten, den Inhalt des Kleiderschranks umgestalten und vorführen, wie einfach es sein kann, leckeres Essen zu kochen. Wer jetzt an »Pimp My Ride« denkt und der Meinung ist, dass so ein Konsum huldigendes Format nichts für linke Menschen sei, betrügt sich selbst um mindestens einen schönen Abend und zwei aufschlussreiche Staffeln einer Serie, die mehr kann als Ersatzbefriedigung durch Konsum.

Obwohl ein neuer Badezimmerschrank natürlich nicht die befreite Gesellschaft herbeiführt, hat die Serie neben einem hohen Unterhaltungswert auch kritisches Potenzial. Immer wieder gibt es Momente, in denen Herrschaft reproduzierende Verhaltensmuster aufgebrochen werden. So spricht einer der »Fab Five«, Karamo Brown, mit einem weißen Polizisten darüber, wie er als Schwarzer von institutionellem Rassismus der Polizei betroffen ist. Er erklärt dem Polizisten, was rassistische Polizeigewalt für Betroffene bedeutet, und zunehmend wächst Verständnis für die Anliegen Browns, trotz der anfänglichen »blue live matters« Position seines Gegenübers; der als Polizist die Meinung der US-amerikanischen Organisation teilte, die sich einseitig für die Belange von Polizeibeamt_innen einsetzt. Außerdem spielt die Serie mit Geschlechterrollen und macht deutlich, dass es Liebe jenseits der (leider immer noch) als Standard geltenden Heterobeziehung gibt, dass die Verteilung von Carearbeit und der Bedürfnisse nach Nähe, Zärtlichkeit und Anerkennung alle etwas angehen.

Wer der Serie mehr als zwei Folgen lang seine Aufmerksamkeit schenkt, kommt nicht umhin festzustellen, dass von Männlichkeit im Singluar nicht die Rede sein kann. Vielmehr wird eine Vielzahl von verschiedenen Männlichkeiten gezeigt, sowie mögliche Praktiken, um zwischen vermeintlich festgeschriebenen sozialen Geschlechtern hin- und herzuspringen. Die »Fab Five« tauchen aber auch bei weiblich gelesenen Personen auf und zeigen so, dass fehlendes Selbstbewusstsein oder das Unvermögen Nähe zu zeigen kein Problem ist, das nur Männer betrifft. Auch dadurch schafft es die Serie, marginalisierte Menschen in den Mittelpunkt zu rücken ohne sie zu Freaks zu machen.

Die fünf Protagonisten versprühen zwar alle den Vibe gebildeter Mittelschichtsgroßstädter mit dazugehörigem kosmopolitischen Charme, aber sie besuchen oft Menschen wie den Mitdreißiger William, der fernab vom Schuss auf dem Land lebt und seinen Lebensunterhalt als Angestellter eines Discounters bestreitet. Eine rurale Lebenswelt, die sonst selten im Mittelpunkt von Serien steht; Formate, die das Landleben übermäßig romantisieren, einmal ausgenommen. Das alles passiert ohne melodramatische Wendepunktmomente - einfach, ehrlich und herzlich.

Was jedoch bleibt, ist das immer wiederkehrende Motiv individueller Probleme, die nicht kollektiv gelöst, sondern eben nur individuell bewältigt werden können. Trotz des subversiven Potenzials der Serie, kann sie nur selten als Versuch gedeutet werden, Möglichkeiten gesamtgesellschaftlicher Veränderung aufzuzeigen, die Interventionen durch die »Fab Five« überflüssig machen würden. Und selbst wenn das nicht der Mittelpunkt der für 2019 angekündigten dritten Staffel wird: Mit der heterosexistischen Normalität brechen sie schon jetzt.

Moritz Heinrich