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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 642 / 16.10.2018

Absprachen auf geheimer Leitung

Geschichte Revolution und Gegenrevolution: Deutschland im Herbst 1918

Von Jens Renner

Rosa Luxemburg hatte recht - trotz alledem: Die Revolution ist großartig, alles andere ist Quark! Nicht großartig, sondern tragisch ist ihr Scheitern. Die Novemberrevolution war eine antimilitaristische und eine demokratische Revolution. Die Monarchie abzuschaffen und mit ihr den preußischen Militarismus, das war der Minimalkonsens derer, die ab Herbst 1918 gegen die alte Ordnung rebellierten. Einen großen Teil der Verantwortung dafür, dass die Errungenschaft der Novemberrevolution, die bürgerlich-parlamentarische Demokratie, schon 1933 wieder zerschlagen werden konnte, tragen die Konterrevolutionäre von 1918/19. Dazu gehören auch diejenigen, die weder eine antimilitaristische noch eine sozialistische Revolution wollten und sich an die Spitze der Bewegung setzten, um ihren Elan zu bremsen. »Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten!« - was als allzu platte Parole erscheinen mag, enthält gleichwohl viel Wahres.

Im Frühherbst 1918 war das Deutsche Reich de facto eine Militärdiktatur. Das Machtzentrum war die Oberste Heeresleitung (OHL) mit Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg und seinem Stabschef Erich Ludendorff an der Spitze. Nach schweren deutschen Niederlagen an der Westfront überzeugte Ludendorff seinen Vorgesetzten Hindenburg und Kaiser Wilhelm II. davon, dem Feind ein Waffenstillstandsangebot zu machen. Zugleich forderte er eine Umbildung der Regierung durch Einbeziehung der Sozialdemokratie. Sein Kalkül, das er bei der Unterrichtung des Stabs der OHL offen aussprach: Es gehe darum, »auch diejenigen Kreise an die Regierung zu bringen, denen wir es in der Hauptsache zu verdanken haben, dass wir so weit gekommen sind. Wir werden also diese Herren jetzt in die Ministerien einziehen sehen. Die sollen nun den Frieden schließen, der jetzt geschlossen werden muss. Sie sollen die Suppe jetzt essen, die sie uns eingebrockt haben.«

Der Ebert-Groener-Pakt

Damit war der Grundstein gelegt für die Legende von der »im Felde unbesiegten« Armee, die durch einen »Dolchstoß« in den Rücken am »Siegfrieden« gehindert worden sei. Als die Revolution Ende Oktober mit Meutereien der Matrosen begann und am 9. November den Kaiser verjagte, galt es aus Sicht der alten Eliten, das Schlimmste zu verhindern. Schon am Abend des 10. November meldete sich aus dem OHL-Quartier im belgischen Spa General Wilhelm Groener telefonisch bei Friedrich Ebert, inzwischen Vorsitzender des Rats der Volksbeauftragten, einer Koalitionsregierung der Mehrheitssozialdemokratie (MSPD) mit den Unabhängigen Sozialdemokraten (USPD).

Sebastian Haffner schreibt über das später »legendenumwobene Telefongespräch«: »Der General bot loyale Zusammenarbeit an - und stellte Forderungen: Kampf gegen Radikalismus und Bolschewismus, schnellste Beendigung des Räteunwesens, Nationalversammlung, Rückkehr zu geordneten Zuständen. Dem allem konnte Ebert aus vollem Herzen zustimmen; es war genau das, was er selber wollte.«

In späteren Aufzeichnungen schrieb Groener: »Ebert ging auf meinen Bündnisvorschlag ein. Von da ab besprachen wir uns täglich abends auf einer geheimen Leitung zwischen der Reichskanzlei und der Heeresleitung über die notwendigen Maßnahmen. Das Bündnis hat sich bewährt.«

Ebert hat sich zum Inhalt dieser Gespräche nie geäußert. Der Fortgang der Ereignisse zeigt die enge Zusammenarbeit der beiden Protagonisten - gegen die Revolution, die Ebert nach eigenem Bekunden verhindern wollte. »Wenn der Kaiser nicht abdankt, dann ist die soziale Revolution unvermeidlich. Ich aber will sie nicht, ja, ich hasse sie wie die Sünde«, hatte er am 6. November 1918 dem amtierenden Reichskanzler Prinz Max von Baden gestanden. Danach handelte er auch, als der Prinz ihm am 9. November die Kanzlerschaft übertrug. Sein erster Aufruf vom selben Tag endete mit den Worten: »Mitbürger! Ich bitte Euch alle dringend: Verlasst die Straßen! Sorgt für Ruhe und Ordnung!«

Die Straßen verlassen haben die »Mitbürger« - die revolutionären Arbeiter_innen und Soldaten - zwar nicht. Aber Ordnung wollten die allermeisten von ihnen schon - und vor allem Versöhnung: »Kein Bruderkampf!« war einer der populärsten Slogans der Revolutionstage. So auch am 10. November, als im Berliner Zirkus Krone als provisorische Regierung ein »Rat der Volksbeauftragten« aus je drei Männern der MSPD und der USPD gebildet wurde. Gleichberechtigte Vorsitzende wurden Ebert und der Unabhängige Sozialdemokrat Hugo Haase; auch der Spartakist Karl Liebknecht wäre Ebert, wie er sich ausdrückte, als Koalitionspartner »angenehm« gewesen - bis auf weiteres.

Die Selbstentmachtung der Räte

Denn für die blutige Unterdrückung der Revolution war die Zeit noch nicht reif. Erste Versuche wurden von revolutionären Arbeitern zurückgeschlagen. So am 6. Dezember in Berlin, als konterrevolutionäre Truppen den Vollzugsrat der Arbeiter- und Soldatenräte verhaften wollten. Beim bewaffneten Widerstand starben 16 Arbeiter. Vier Tage später scheiterte ein weiterer konterrevolutionärer Putschversuch. Ebert hatte die nach Berlin zurückkehrenden Felddivisionen am Brandenburger Tor mit einer patriotischen Rede empfangen: »Kein Feind hat euch überwunden! Nun liegt Deutschlands Einheit in eurer Hand!«

Es half nichts: »Die Truppe entwickelte einen derartigen Drang nach Hause«, schrieb General Groener später, »dass mit diesen zehn Divisionen absolut nichts anzufangen war und das ganze Programm der Säuberung Berlins von bolschewistischen Elementen ... überhaupt nicht ausgeführt werden konnte.«

Auf dem Reichsrätekongress, der vom 16. bis 21. Dezember in Berlin stattfand, waren dann die Kräfteverhältnisse eindeutig. Von 489 stimmberechtigten Delegierten gehörten 289 der SPD und 90 der USPD an, darunter zehn Spartakisten. Die Räte beschlossen ihre Selbstentmachtung: Wahl zur Nationalversammlung am 19. Januar 1919 und bis dahin die Übertragung der legislativen und exekutiven Gewalt an den Rat der Volksbeauftragten. Dieser konnte allerdings nicht verhindern, dass sich am 23. und 24. Dezember die revolutionäre Volksmarinedivision, unterstützt von bewaffneten Arbeitern, in Kämpfen um das Berliner Schloss und den Marstall gegen Regierungstruppen behauptete, denen Ebert den Schießbefehl erteilt hatte. 56 regierungstreue Soldaten und elf Matrosen starben. Die Rote Fahne, das Zentralorgan des Spartakusbundes, geißelte »Eberts Blutweihnacht«.

Aus Protest dagegen traten die drei USPD-Mitglieder aus dem Rat der Volksbeauftragten aus. Ab dem 29. Dezember nannte sich das Gremium Reichsregierung - mit Reichskanzler Ebert an der Spitze. Kooptiert wurde der rechte Sozialdemokrat Gustav Noske. Er war schon Anfang November vom Parteivorstand nach Kiel geschickt worden, um den Aufruhr der roten Matrosen in geordnete Bahnen zu lenken. Seine Hauptaufgabe wurde nun die Organisierung von Freikorps »zum Schutz der Heimat« vor der Revolution.

Die unmittelbar folgenden Ereignisse sind weitgehend bekannt: die Januarrevolte in Berlin, die immer noch häufig fälschlich »Spartakusaufstand« genannt wird; die Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg; ein opferreicher Bürgerkrieg. Die von den Linken erhoffte sozialistische Revolution blieb aus; in der am 19. Januar 1919 gewählten Nationalversammlung hatten die bürgerlichen Parteien die Mehrheit.

Noch schlimmer waren die Spätfolgen der Niederlage. Denn Eberts Mehrheitssozialdemokraten verbündeten sich nicht mit irgendwelchen versprengten Monarchisten, sondern mit den unmittelbaren Vorläufern der Nazis - für die sie nur nützliche Idioten waren. Laut Margarete Ludendorff, der ersten Frau des militärischen und politischen Strategen Erich Ludendorff, wunderte sich dieser über die zögerlichen Revolutionäre. Wiederholt habe er gesagt: »Die größte Dummheit der Revolutionäre war es, dass sie uns alle am Leben ließen. Na, komme ich mal wieder zur Macht, dann gibt's kein Pardon. Mit ruhigem Gewissen würde ich Ebert, Scheidemann und Genossen aufknüpfen und baumeln sehen!« Ludendorff selbst kam dann nicht mehr »zur Macht«, sondern Hitler, an dessen Seite er am 9. November 1923 am Putschversuch in München teilnahm.

Auch Sebastian Haffner findet die »eigentümliche Gutmütigkeit« der deutschen Revolutionäre bemerkenswert, vor allem aber bedauerlich: »Der siegreichen Masse hilft es wenig, gutmütig zu sein; die besiegten Herren verzeihen ihr den Sieg nicht.« Den »Patrioten« Ebert verachtet er. In ihm sieht er den »Typ des deutschen Handwerksmeisters: gediegen, gewissenhaft, von beschränktem Horizont«. Dass Haffners Buch (1), erstmals 1969 erschienen, im Jubiläumsjahr 2018 noch einmal neu herausgegeben wird, ist zu begrüßen - ein wichtiger Kontrapunkt zur dominanten Sicht auf die sozialdemokratische Politik zur Jahreswende 1918/19, wie sie Deutschlands inoffizieller Nationalhistoriker Heinrich August Winkler vertritt. Verständnis für die rechtslastige Politik Eberts und der MSPD kombiniert er mit dezenter Kritik: »Sicher ist, dass die Volksbeauftragten um eine gewisse Zusammenarbeit mit den alten Eliten nicht herumkamen. (...) Doch das Ausmaß der Zusammenarbeit und der Verzicht auf Veränderungen gingen weiter, als es die Verhältnisse erforderten«, schreibt er in seinem Buch, das über die Bundeszentrale für politische Bildung als Standardwerk vertrieben wird. (2)

Der Beschützer der Demokratie

Die SPD, immerhin die Partei vieler vor 100 Jahren handelnder Personen, will sich heute aus dem Wettstreit um die Deutung der damaligen Ereignisse ganz zurückziehen. Wozu, fragen Andrea Nahles und der Parteivorstand, braucht die SPD noch eine Historische Kommission? Weg damit! Zuständig für politische Bildung aus sozialdemokratischer Sicht bleibt ja noch die Friedrich-Ebert-Stiftung. Über den Namensgeber liest man Erbauliches auf der Website: »Er schaffte es, ein Rätesystem nach russischem Vorbild zu verhindern, und setzte die Wahl einer demokratischen Nationalversammlung durch. (...) Um die parlamentarische Staatsform zu beschützen, traf Ebert auch unpopuläre Entscheidungen und nahm dafür sogar persönliche Verleumdungen in Kauf.«

Harte Zeiten! Im Rat der Volksbeauftragten hatte es Ebert, der Beschützer der Demokratie, mit den Radikalinskis von der USPD zu tun. »Gleichzeitig war er in dieser Umbruchsituation bereit, mit den größtenteils antidemokratischen Machteliten des Kaiserreichs in Militär, Polizei, Justiz und Beamtenschaft zusammenzuarbeiten. Wilhelm Groener, General der Obersten Heeresleitung, versprach Unterstützung im Fall linksradikaler Angriffe. Im Gegenzug sicherte ihm Ebert die Autonomie der militärischen Führung zu.« (3) Über die katastrophalen Langzeitfolgen dieses Bündnisses schweigt sich die Friedrich-Ebert-Stiftung aus.

Anmerkungen:

1) Sebastian Haffner: Die deutsche Revolution 1918/19. Rowohlt Berlin 2018.

2) Heinrich August Winkler: Deutsche Geschichte vom Ende des Alten Reiches bis zum Untergang der Weimarer Republik. Bundeszentrale für politische Bildung. C.H. Beck, München 2000.

3) www.fes.de