Hoffnung statt Handschellen
Deutschland In Bayern kriminalisieren Polizei und Justiz Geflüchtete aus Gambia, die sich im Lager Donauwörth gegen ihre Entrechtung organisieren wollten
Von Aino Korvensyrjä
Spektakuläre Polizeigewalt gegen Asylsuchende prägte das deutsche Frühjahr 2018. Die massive Operation im Landeserstaufnahmezentrum im baden-württembergischen Ellwangen am 3. Mai führte zu einer bundesweiten rassistischen Medienkampagne, in der Schwarze Männer in Fesseln neben Bereitschaftspolizei als Bedrohung für den Staat und die öffentliche Ordnung inszeniert wurden. Die Folge waren politisch motivierte strafrechtliche Ermittlungen gegen die Opfer dieser Einsätze.
Diese Strategie der Kriminalisierung zeigte sich bereits im groß angelegten Polizeiangriff vom 14. März auf das Erstaufnahmezentrum im bayerischen Donauwörth. 32 gambische Asylbewerber wurden verhaftet, 30 von ihnen verbrachten zwei Monate in Untersuchungshaft. Der Vorwurf: kollektiver Widerstand gegen Abschiebung.
Die Geflüchteten widersprechen der Darstellung der Polizei. Nach der Haftentlassung gelang es einigen von ihnen, trotz vieler Hürden rechtzeitig Einspruch gegen die zweifelhaften Strafbefehle wegen Landfriedensbruch und anderer Delikte einzulegen. Die ersten Gerichtsverhandlungen stehen am 7. November beim Amtsgericht Augsburg an.
Der Polizeieinsatz vom 14. März 2018
Am Nachmittag des 14. März stürmten rund 200 Polizist_innen, darunter Bereitschaftspolizei und Hundeführer, das Erstaufnahmezentrum in Donauwörth, in dem neben anderen Asylbewerber_innen 350 Gambier_innen, untergebracht waren. Die Polizei war mit Stöcken, Handwaffen, Pfeffergas und Helmen bewaffnet. Bewohnern zufolge wurde das Lager umstellt, während andere Beamt_innen in das Lager vorrückten und die gambischen Bewohner_innen auf dem Weg einschüchterten und belästigten. Auf ihre schockierten Fragen nach dem Grund des Einsatzes, antworteten die Beamt_innen mit Pfefferspray und fingen an, Menschen zu verhaften.
Die Polizei rechtfertigte die Aktion später mit der Behauptung, dass in der Nacht zuvor eine Gruppe von Asylbewerbern gegen drei Uhr morgens die Abschiebung eines gambischen Asylbewerbers nach Italien gewaltsam verhindert habe. David Jassey, damals Sprecher der gambischen Gemeinde in Donauwörth, bezeichnet diesen Vorwurf als haltlos: Die Abschiebung sei einfach daran gescheitert, dass die Polizei die Person nicht habe finden können. Bewohner_innen wachten auf, als Polizei und Sicherheitspersonal von Zimmer zu Zimmer gingen. Bald gab es einen Feueralarm und damit wachten weitere Bewohner_innen auf. »Einige haben tatsächlich offen die Art und Weise kritisiert, wie die nächtliche Operation durchgeführt wurde. Aber Gewalt seitens der Bewohner gab es nicht«, sagt Jassey.
Trotzdem führte die Polizei am darauffolgenden Nachmittag eine Operation durch mit dem Ziel, »Rädelsführer« und »weitere Straftäter« zu identifizieren. 32 Gambier wurden wegen vermeintlichen Landfriedensbruch verhaftet. 30 von ihnen kamen später in Untersuchungshaft, da sie Teil einer »aufgebrachten und gewaltbereiten Meute« gewesen sein sollen, die angeblich in der besagten Nacht Polizei und Sicherheitsdienst angeschrien sowie »wild gestikuliert« habe. Einigen der Verhafteten warf man auch Widerstand, Beleidigung und Körperverletzung vor.
Am 29. März protestierten die gambischen Asylbewerber, die noch im Lager verblieben waren, auf den Straßen von Donauwörth, um Freiheit für ihre inhaftierten Freunde und »Hoffnung statt Handschellen« zu fordern. Zu dieser selbstorganisierten Demonstration gegen die Kriminalisierung kamen auch einzelne geflüchtete Aktivisten aus München und Stuttgart.
Verhaftungen nach rassistischem Muster
Musa D. hat Einspruch gegen seinen Strafbefehl eingelegt. Als er die Liste der inhaftierten Kollegen durchgeht, scheint er fassungslos: »Die sind alle unschuldig. Ich verstehe nicht, warum sie uns mitgenommen haben.« (1) Sein Freund Ousman S. hat die Ereignisse in der Nacht auf den 14. März gar nicht mitbekommen, gehörte aber trotzdem zu den Personen, die am Tag danach verhaftet wurden und zwei Monate unter extrem harten Bedingungen in Untersuchungshaft verbrachten. Ousman S. erinnert sich: »Ich war im Bett. Ich hörte den Feueralarm, schlief aber weiter. Warum soll ich mich darum gekümmert haben? Der Alarm ging an diesem Ort ja regelmäßig los.« Nach der Haftentlassung hat er ebenfalls Rechtsmittel gegen seine Kriminalisierung eingelegt. Seine Verhandlung findet noch in diesem Jahr statt.
Der Nürnberger Rechtsanwalt Yunus Ziyal, der einen gambischen Asylbewerber aus der Gruppe verteidigt, ist von den Methoden zur Identifizierung von Verdächtigten bei der Polizeiaktion nicht überzeugt. Die Polizei betrat das Lager am Nachmittag mit einem Haftbefehl für einen angeblichen »Rädelsführer«. Unterwegs wurden dann weitere Verdächtige identifiziert, angeblich mithilfe von Listen, die von Sicherheitskräften und von der Lagerleitung kamen. »Es wird in der Tat interessant sein, vor Gericht zu sehen, ob die Vorwürfe der Polizei und der Sicherheitskräfte zu halten sein werden«, sagt Ziyal.
In der besagten Nacht waren auch Geflüchtete anderer Nationalitäten vor Ort und äußerten Kritik an der Abschiebung. Dass die Polizei gezielt die gambischen Asylsuchenden ins Visier nahm, deutete die gambische Gemeinde in Donauwörth als Zeichen für ein rassistisches Vorgehen. Die Pressemitteilung der Polizei schrieb der gambischen Gemeinschaft eine »hohe kriminelle Energie« zu. Lokale und regionale Medien sprachen in rassistischer Weise von »Randalierern« und einem »Gambieraufstand«. Das Muster der Berichterstattung war ein ähnliches wie bei der zwei Monate später folgenden bundesweiten Hysterie über die Operation in Ellwangen. Die Medien verbreiteten die Darstellung der Polizei, dass sich gewaltbereite Asylsuchende mithilfe eines »Frühwarnsystems« durch SMS gegen nächtliche Abschiebungen organisiert hätten und so den Rechtsstaat bedrohten.
Die Festnahmen dienten der Abschiebungskampagne
Zwei Wochen nach der Operation in Donauwörth kam im baden-württembergischen Donaueschingen die gleiche Kriminalisierungsstrategie zum Einsatz: Sechs Asylsuchende wurden dort mit dem Vorwurf des »Landfriedensbruch in besonders schwerem Fall« verhaftet. Von Ende März bis zum Beginn ihrer Anhörungen im September 2018 befanden sie sich in Untersuchungshaft.
Die vielen Polizeieinsätze in süddeutschen Lagern sind nicht losgelöst vom bayerischen Wahlkampf zu betrachten. Seit Januar 2017 definiert das neue Polizeiaufgabengesetz (PAG) alle Asylheime als »gefährliche Orte«, an denen die Polizei willkürliche Personenkontrollen durchführen kann. (ak 639) Dass massive Polizeieinsätze in Lagern in der ersten Jahreshälfte 2018 zugenommen haben und medial sichtbar sind, fügt sich ein in die Anti-Asyl- und Abschiebungskampagne der bayerischen CSU vor den Landtagswahlen. Auch wenn der sichtbarste Polizeieinsatz in Ellwangen in Baden-Württemberg stattfand, hielt das Horst Seehofer nicht davon ab, den Angriff auf Geflüchtete für seine bayerische Agenda gegen Asylsuchende auf Bundesebene zu instrumentalisieren. Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann nutzte ebenfalls die Gelegenheit, um das Lager in Donauwörth zwei Tage nach dem Polizeieinsatz im Wahlkampfmodus zu besuchen.
Die Gambier_innen forderten Gleichbehandlung
Seit dem Sommer der Migration 2015 hat die Segregation innerhalb des deutschen Lagersystems immer weiter zugenommen. Asylbewerber_innen mit dem Stigma einer »schlechten Bleibeperspektive« in Bayern, darunter auch die meisten Afrikaner_innen, hatten besonderen Grund zum Protest. Ihre Selbstorganisierung und ihr Protest richteten sich vor allem gegen das bayerische Modell für Abschiebe- oder Transitlager, heute als »Ankerzentren« bekannt. Anders als die Polizei behauptet, handelte es sich dabei aber um gewaltfreie Mobilisierungen gegen die strukturelle Gewalt und Entrechtung.
Der Aktivist David Jassey engagierte sich seit Ende 2017 beim sogenannten Integrationskomitee, in dem sich die rund 350 Gambier_innen im Transitlager Donauwörth organisierten. Sie hielten wöchentliche Vollversammlungen ab und ein Kreis von Delegierten (die »executive«) verhandelte mit den Behörden, um eine menschenwürdige Behandlung im Lager zu erreichen. Jassey sieht den Polizeiangriff als Reaktion darauf: »Sie sahen unseren Organisierungsansatz, und das gefiel ihnen nicht, also haben sie uns in eine Falle gelockt.«. Er denkt, dass die Polizei Asylsuchende in anderen Lagern von ähnlichen Formen des friedlichen Widerstands abschrecken wollte. »Wir haben einfach das Minimum gefordert: Gleichstellung mit anderen Asylbewerbern beim Zugang zu sozialen Rechten, unabhängig von der Hautfarbe, und eine ausreichende Gesundheitsversorgung. Wir kritisierten die alltäglichen rassistischen Polizeikontrollen auf der Straße und die Annullierung unserer Aufenthaltsgestattungen.«
Der Polizeieinsatz ängstigte, demoralisierte und isolierte die Geflüchteten. Hinzu kam, dass nach dem Einsatz Abschiebungen zunahmen. Viele Mitglieder des Integrationskomitees waren inhaftiert, andere verließen eingeschüchtert das Lager. Bald waren in Donauwörth nur noch um die 50 der 350 Gambier_innen übrig. Als Donauwörth am 1. August 2018 in ein »Ankerzentrum« umbenannt wurde, schien die Erinnerung an den Widerstand fast ausgelöscht.
Nach der Wiedereröffnung als »Ankerzentrum« demonstrierte die Polizei den Bewohner_innen erneut ihre Macht: 250 bewaffnete Polizist_innen rückten an, um Butter- und Brotmesser, die angeblich durch die Hausordnung verboten waren, aus ein paar der Zimmer im Lager zu entfernen. Diese Operationen sollten wie die Einsätze gegen westafrikanische Asylsuchende im bayerischen Transitlager Deggendorf im Mai und in Waldkraiburg im Juni 2018 Signale an Asylbewerber_innen und Wähler_innen senden.
Inhaftiert, ohne zu wissen, warum
Insgesamt gab es 30 Strafverfahren wegen vermeintlichem Landfriedensbruch gegen Geflüchtete aus Donauwörth. Gegen alle über 20-Jährigen wurde Strafbefehl wegen Landfriedensbruch erlassen, in einigen Fällen auch wegen anderer Delikte.
Die Untersuchungshaft war hart: Viele hatten nur am Wochenende Hofgang; Arbeit, Studium, Besuche und Telefonate waren verboten. Am härtesten war jedoch, nicht zu verstehen, warum sie dort gelandet waren - und wann sie wieder entlassen werden würden. Yankuba N. hat wegen der Ereignisse mehrere Kilo verloren, es beschäftigt ihn weiterhin: »Es ist das erste Mal, dass mir so etwas passiert. In meinem Land kannte ich die Rechtslage, ich war Soldat. Aber in Deutschland gibt es anscheinend keinen Rechtsstaat.« Aus Angst vor einer Abschiebung kann er nachts immer noch nicht schlafen. Die Erfahrungen der gambischen Geflüchteten mit dem deutschen Rechtsstaat haben sie verbittert. Auch ihre Familien in Gambia können das Geschehen nicht fassen.
Um aus der Haft entlassen zu werden, sahen sich manche der inhaftierten Geflüchteten gezwungen, einen Verzicht auf Rechtsmittel gegen ihren Strafbefehl zu unterschreiben - ohne jedoch zu verstehen, was sie unterschrieben. Bei Anhörungen während der Haft wurde es abgelehnt, Dolmetscher_innen für die Muttersprache der Inhaftierten hinzuzuziehen. Rechtsanwalt Yunus Ziyal zufolge sind diese Praktiken manipulativ und rechtswidrig. Nach der Untersuchungshaft kamen die Geflüchteten häufig in unterschiedliche Lager, um sie voneinander zu trennen. Mindestens drei von ihnen wurden bereits aus der Haft nach Italien abgeschoben.
Assan F. gehörte zu den unter 21-Jährigen, die das Augsburger Amtsgericht im Mai nach zwei Monaten Untersuchungshaft ohne Strafbefehl entließ - mit der Begründung, dass dies als Lehre ausreiche. Direkt danach kam F. jedoch in ein Abschiebegefängnis und wurde nach einigen Wochen von dort aus nach Italien geschickt. »Dass die Polizei mich verhaftet hat, war ein mieser Trick. Als ich dann zwei Monate später vor Gericht geladen wurde, sagten sie mir, dass ich jetzt entlassen werden würde. Aber dann fingen sie an, über Dublin zu reden.« Für Assan F. sieht das Vorgehen wie eine Vermischung der Dublin-Abschiebung mit den Strafsachen aus.
Aus der Haft in die Obdachlosigkeit abgeschoben
Auf die willkürliche Verhaftung, Untersuchungshaft und ungerechte Strafbefehle wegen Landfriedensbruch folgte für viele der Gambier_innen aus Donauwörth die Abschiebung nach dem Dublin-System in ein Leben im Elend. So erging es auch Modou Camara. »Ich kann das nicht akzeptieren, weil ich nichts falsch gemacht habe. Ich brauche Gerechtigkeit. Ich würde mich auch einer Kampagne anschließen, um sie zu bekommen«, sagte Camara unmittelbar nach der Entlassung aus der Untersuchungshaft im Mai. Er gehörte zu den ersten, die gegen ihren Strafbefehl Rechtsmittel einlegten. Da seine Überstellungsfrist nach Italien wie bei den meisten Gambiern zum Zeitpunkt ihrer Verhaftung noch nicht abgelaufen war, wurde Camara kurz darauf im Juni nach Italien abgeschoben. Als er ohne seine persönlichen Sachen oder Geld in Mailand ankam, saß er fast zwei Tage lang am Flughafen fest, ohne sich auch nur einen Bus in die Stadt leisten oder Essen kaufen zu können. Unterstützer_innen und Freund_innen schickten ihm etwas Geld und die Sachen, die er im Lager in der Nähe von Augsburg zurücklassen musste. Heute lebt Camara ohne Dokumente und Unterkunft von gelegentlichen Erntearbeiten in Italien. Ein anderer Betroffener, der auch nach Italien abgeschoben wurde, ging nach Spanien, um dort ebenfalls Obst und Gemüse zu ernten, das wiederum eventuell in deutschen Supermärkten landet.
Am 7. November beginnen die Gerichtsverfahren der gambischen Geflüchteten, die ihren Strafbefehl nicht akzeptiert haben. Im Vorfeld hat sich aus einer bundesweiten antirassistischen Vernetzung heraus solidarische Unterstützung entwickelt. Die Beschuldigten, die ihre Kriminalisierung nicht akzeptieren, hoffen auf solidarische Prozessbeobachtung und Aufmerksamkeit für die Verfahren: »Schwarz oder weiß, wir sollten alle unter dem gleichen Gesetz stehen.«
Aino Korvensyrjä promoviert an der Universität Helsinki zum deutschen Abschieberegime und zur Kriminalisierung der Migration. Sie hat in der rechtlichen Unterstützung der Angeklagten in den Donauwörth-Verfahren mitgewirkt und ist aktiv bei Justizwatch und dem Free Movement Network. Sie veröffentlicht Videos und andere Materialien zur Migrationskontrolle auf der Website cultureofdeportation.org.
Anmerkung:
1) Die Namen der zitierten Betroffenen sind bis auf zwei geändert, um die Geflüchteten vor weiteren negativen Konsequenzen zu schützen.
Antirassistische Solidarität
Nach dem Angriff sind die Betroffenen auf Solidarität angewiesen. Um für die Opfer des Donauwörther Polizeiangriffs, inklusive Anwaltskosten, zu spenden, könnt ihr Geld an folgendes Konto überweisen:
Bayerischer Flüchtlingsrat, Bank für Sozialwirtschaft
IBAN: DE89 7002 0500 0008 8326 02, BIC: BFSWDE33MUE (München)
Verwendungszweck »Donauwoerth«.