Aufgeblättert
Türkische Linke
Ein Partisan ist laut Lexikon eine Person, »die sich außerhalb einer offiziellen militärischen Organisation an einem bewaffneten Konflikt beteiligt«. Es ist kein Zufall, dass das erste Überblickswerk zur Geschichte der Linken und der Arbeiterbewegung in der Türkei Partisanen im Titel trägt; Gewalt ist der sich durch diese Geschichte ziehende rote Faden. Nicht nur, weil in der türkischen 68er-Bewegung alle Spielarten des Maoismus einflussreich waren. Sondern auch, weil die Linke in der Türkei mit brutaler Repression konfrontiert war, seit sie ihre ersten Schritte tat: So fiel die Gründungsmannschaft der bald verbotenen Kommunistischen Partei der Türkei (TKP) 1921 einem politischen Mordanschlag zum Opfer. Auch in den 1970er Jahren - nach einem gegen die selbstbewusste Linke und streikfreudige Arbeiterschaft gerichteten Militärputsch - war Gewalt allgegenwärtig. Junge Aktivist_innen wurden hingerichtet; bei der Istanbuler Demonstration zum 1. Mai 1977 starben mehr als 30 Menschen. In dieser Zeit hatten sich aber auch linke Gruppen in mit Waffengewalt ausgetragene Machtkämpfe ineinander verkeilt. Sie taumelten so - den Zahlen nach zwar stark, aber letztlich mit sich selbst beschäftigt - der Katastrophe entgegen: der Militärdiktatur der 1980er Jahre. Die Autoren erzählen detail- und kenntnisreich, empathisch, ohne dabei auf begründete Kritik zu verzichten, von einer Linken, die über die Diaspora auch ein bedeutender Teil der Linken in Deutschland ist.
Nelli Tügel
Nikolaus Brauns und Murat Çakir (Hg.): Partisanen einer neuen Welt - Eine Geschichte der Linken und Arbeiterbewegung in der Türkei. Die Buchmacherei, Berlin 2018. 525 Seiten, 20 EUR.
Fluchtgeschichten
Der zweite Band der Science-Fiction-Reihe erzählt zwei ineinander verwobene futuristische Fluchtgeschichten: Einerseits wird das Überleben einer jungen Frau beschrieben, die auf einem Planeten aufwächst, der von faschistisch-autoritären Genverbesserern bevölkert wird. Alle, die nicht für ein würdiges Leben vorgesehen sind oder bei denen die genetische Programmierung misslingt, müssen auf der unwirtlichen Seite des Planeten in Arbeitslagern ihr Dasein fristen. Andererseits erzählt uns das Buch von den alltäglichen Erfahrungen einer Künstlichen Intelligenz (KI), die statt als Betriebssystem auf einem Raumschiff in einem künstlichen menschlichen Körper installiert wurde. Sie will einfach ein friedliches Leben führen, sieht sich dabei aber dem radikalen gesellschaftlichen Ausschluss ihrer eigenen Existenz gegenüber. Denn in der zwar demokratisch verfassten Galaktischen Union, in der sich die vernunftbegabten Spezies der Galaxis zusammengeschlossen haben, sind KIs in künstlichen Körpern verboten. Sie und eventuelle Unterstützer_innen werden verfolgt und die KIs zerstört. Der Roman ist besonders lesenswert, weil neben den fernen Welten und fantastischen Wesen die progressiv-utopischen Potenziale von Science-Fiction annähernd ausgeschöpft werden: Die Konzepte von Liebe, Körpern und Geschlechtern, die Beziehungsformen und Familienkonstellationen in dem Science-Fiction-Universum eröffnen immer einen Blick über das heute Bestehende hinaus.
Tim Schumacher
Becky Chambers: Zwischen zwei Sternen. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2018. 464 Seiten, 9,99 EUR.
Spanische Revolution
Buenaventura Durutti ist vielen als spanischer Anarchist bekannt. Doch wer kennt Amparo Poch y Gascón? Über die Mitbegründerin der libertären Frauenorganisation Mujeres Libres hat Martin Baxmeyer jetzt eine Biografie herausgeben, die sich auch kritisch mit dem Umgang der spanischen Anarchist_innen mit selbstbewussten Frauen auseinandersetzt. Baxmeyer erwähnt den militanten Antifeminismus Proudhons, der auch unter spanischen Anarchist_innen Anhänger_innen fand. Doch er beschreibt auch Strömungen im Anarchismus, die sich für die Rechte der Frauen einsetzten. Den Feminismus lehnten allerdings auch sie ab, weil er im damaligen Spanien als Bewegung wohlhabender Frauen aus dem Bürgertum galt. Kritisch geht Baxmeyer mit dem anarchistischen Mythos der bewaffnet kämpfenden Frau um. Auf den während der Spanischen Revolution verbreiteten Fotos seien Models in Uniform abgebildet gewesen; mit der Realität innerhalb der libertären Milizen habe das nur wenig zu tun gehabt. Baxmeyer hat mit seinem Buch über Amparo von Poch y Gascón auch eine kritische Auseinandersetzung mit Mythos und Realität der libertären Bewegung in Spanien vorgelegt - ganz im Sinne von Poch y Gascón, die auch in den eigenen Reihen nicht mit Kritik und Spott sparte. Das belegen ihre am Schluss des Buches dokumentierten Artikel, in denen sie sich über bürokratischen Leerlauf und den Drang, Probleme in irgendwelche Komitees abzuschieben, lustig machte.
Peter Nowak
Martin Baxmeyer (Hg.): Amparo Poch y Gascón. Biographie und Erzählungen aus der spanischen Revolution. Verlag Graswurzelrevolution, Heidelberg 2018. 152 Seiten, 13, 90 EUR.
Judenhass vor 1933
»Die Geschichte der Judenfeindschaft ist auch eine Geschichte der Unterschätzung der Bedeutung der Judenfeindschaft seitens der revolutionären und kommunistischen Kräfte«, schreibt ein Kollektiv von Autorinnen und Autoren in der Einleitung einer Studie über Hetze und Terror gegen Jüdinnen und Juden in Deutschland vor 1933. Das darin zusammengetragene Material stammt aus der C.V.-Zeitung, dem Organ des Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens. Es zeigt die ganze Bandbreite antisemitischer Taten, von Beleidigungen über Boykottkampagnen, Gesetzesinitiativen der NSDAP bis hin zu Überfällen und Terror. In einem wegweisenden Urteil verfügte das Reichsgericht, die jüdische Bevölkerung in Deutschland genieße als »eine Gesamtheit oder Personengesamtheit« keinen Rechtsschutz gegen Beleidigungen. Die Täter_innen kamen oft mit geringen Geldstrafen davon. Die Vertreibung einer jüdischen Familie aus Dolgesheim bei Worms im August 1930 kommentierte die C.V.-Zeitung hellsichtig: »Heute noch ein Einzelfall - aber im Dritten Reich ...?« Nach dem Mord an dem nichtjüdischen kommunistischen Abgeordneten Ernst Henning und einem Anschlag auf den jüdischen Beamten Oswald Lassally im März 1931 in Hamburg rief der C.V. zur »Solidarität aller ethisch empfindenden Menschen« auf. Genau daran hat es gefehlt.
Jens Renner
Kollektiv von Autorinnen und Autoren: Hetze und Terror gegen Jüdinnen und Juden in Deutschland von 1929 bis Januar 1933. Eine Analyse im Spiegel der C.V.-Zeitung, Organ des Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens. Verlag Olga Benario und Herbert Baum, Offenbach 2017. 214 Seiten, 14 EUR.