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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 643 / 13.11.2018

»Es müssen viel mehr Omas auf die Straße gehen«

International Samara Velte über die Mobilisierung für einen feministischen Streik 2018 und 2019 in Spanien

Interview: Hannah Schultes

Über fünf Millionen waren im spanischen Staat am 8. März 2018 zum feministischen Streik auf der Straße. Für 2019 haben Feminist_innen erneut einen »feministischen Generalstreik« angekündigt. Auch die baskische Frauenbewegung ruft auf. Samara Velte ist Teil der feministischen Bewegung des Baskenlandes und Redakteurin bei Berria, der einzigen baskischsprachigen Tageszeitung. Gemeinsam mit den anderen um die 100 Mitarbeiterinnen der Zeitung hat sie dieses Jahr am 8. März die Arbeit niedergelegt.

Wie sah der Frauenstreik konkret an deinem Arbeitsplatz aus?

Samara Velte: Eines der wichtigsten Elemente des Streiks war die Flexibilität. Hier im Baskenland wurde zuerst nur zu einem Zweistundenstreik am Mittag aufgerufen, und der wurde von den wichtigsten Gewerkschaften unterstützt. Dadurch konnten viele Frauen an den beiden zentralen Versammlungen an diesem Tag teilnehmen: mittags bei den lokalen Kundgebungen, abends an den Demonstrationen in den größeren Städten. Das war praktisch für Frauen, die in Achtstundenschichten arbeiten. In der Zeitung, bei der ich arbeite, haben wir aber schnell festgestellt, dass der Zweistundenstreik für uns nicht funktioniert: Wenn wir am Ende des Tages wie immer eine Zeitungsseite abgeben, hätte der Streik nicht viel gebracht - wir hätten dann einfach die gleiche Arbeit in kürzerer Zeit gemacht. Wenn Generalstreiktage sind - und davon hatten wir im spanischen Staat mehrere in den letzten Jahren -, streiken wir Journalistinnen und Journalisten normalerweise am Tag davor. So gibt es erstens am Streiktag keine Zeitung zu kaufen - der Kiosk sollte ja sowieso zu sein -, und zweitens können wir dann selbst darüber berichten. Diesmal haben wir aber entschieden, am Tag selbst zu streiken.

Am Schluss blieb die Hälfte der Seiten leer.

Ziemlich spontan hat sich in den Wochen vor dem 8. März eine Frauenversammlung im Betrieb gebildet. Selbst die Geschäftsführung hat den Streik unterstützt. Es wäre auch möglich gewesen, dass unsere männlichen Mitarbeiter die Arbeit übernehmen. Da kam natürlich die Frage auf: Soll die Zeitung am 9. März regulär, aber nur mit Artikeln von Männern rauskommen? Wird so überhaupt jemand merken, dass wir nicht da waren? Nach langen Diskussionen haben wir uns dazu entschieden, die Hälfte der Seiten mit einem Stempel zu versehen: »Die Frauen von Berria im Streik«.

Wie habt ihr euch mit anderen Frauen organisiert?

In den Wochen vor dem Streik haben wir mit Angestellten aus anderen Firmen in unserem Gewerbegebiet kommuniziert, die ihre eigenen Versammlungen hatten. Am 8. März sind wir mit ihnen vom Arbeitsplatz aus zusammen zu den größeren Demonstrationen gegangen. Alle Frauen, die in unserer Firma direkt angestellt sind, haben gestreikt. Ein paar Verteilerinnen haben sich dagegen entschieden. Allerdings weiß ich nicht, wie es mit Arbeiterinnen aus der Reinigung war, da das normalerweise ausgelagerte Arbeitsplätze sind. Unser Fall war nur einer von vielen, wo Frauen sich zusammengesetzt haben und den Streik an ihre Bedürfnisse angepasst haben. Alle Arten, am Streik teilzunehmen, waren willkommen. Das ist auch die einzige Möglichkeit, auch Frauen, die keiner Lohnarbeit nachgehen oder in der Pflege tätig sind, einzubeziehen. Viele Migrantinnen arbeiten in Privathaushalten als sogenannte Internas, zum Beispiel als Pflegerinnen. Sie wohnen auch in diesen Haushalten, haben oft keine richtigen Arbeitsverträge und generell wenig oder gar keine Arbeitsrechte. In vielen Fällen haben sie sich für symbolischere Streikformen entschieden, zum Beispiel, indem sie lilafarbene Tücher an ihre Balkons gehängt haben.

Welche Sektoren hat der Streik getroffen?

Die Mobilisierung war vor allem in den Bereichen erfolgreich, in denen die wichtigsten Gewerkschaften stark sind und genug Frauen da sind, um sich zu organisieren: im Bildungssektor und im Privatsektor. Um die Idee eines feministischen Streiks richtig zu verstehen, muss man allerdings über den Arbeitsmarkt hinausgehen. Dieser Streik geht weiter als die traditionelle Idee vom Streik, wie wir ihn im 20. Jahrhundert verstanden haben. Es ist kein Streik, der sich nur auf die produktive Sphäre konzentriert, in dem oft Männer den Ton angeben und der als Erfolgsbeweis Zahlen braucht: Wie viele Arbeiter sind auf die Straße gegangen? Wie hohe Verluste hatten die Firmen? In unserem Fall geht die Kritik viel weiter: Wir streiken nicht nur gegen das Kapital, sondern auch gegen das ganze System, das uns ausbeutet, indem es Pflegearbeit und andere Sorgearbeiten an uns auslagert. Da sprechen wir davon, dass man den Streik jeden Tag neu denken muss und dass der Ort für diesen Konflikt auch das eigene Haus ist. Deshalb ist die wichtige Frage in diesem Fall nicht so sehr die nach dem »Wie viel?«, sondern die nach dem Wie: wie wir uns organisiert haben, die Strukturen, die sich für den Streik gebildet haben, die Themen, die in den Wochen davor diskutiert wurden, und die Art und Weise, wie wir kollektiv den öffentlichen Raum besetzt haben.

Nach welchen Prinzipien hat sich der Frauenstreik organisiert?

Der Streik hatte vier Schwerpunkte: Arbeit im Betrieb, Sorgearbeiten - bezahlte und unbezahlte -, Bildung und Konsum. Wir sehen diesen Streik als eine »enmienda a la totalidad«, eine Gegenstellungnahme zu Kapitalismus, Heteropatriarchat und Rassismus. Also war die Frage nicht nur »Wie werden wir am Arbeitsplatz ausgebeutet?«, sondern auch: Wer übernimmt die meisten Pflegearbeiten in unserer Gesellschaft, und welchen Wert haben diese? Welche Folgen haben unsere Konsumgewohnheiten im internationalen Maßstab? Uns lag viel daran, zu verhindern, dass sich Institutionen, Machtstrukturen oder andere Eliten, die im Alltag keine feministische Politik betreiben, den Streik aneignen. Feminismus ist in den letzten Jahren en vogue geworden, auch das rechte und das neoliberale Lager haben mittlerweile eigene Interpretationen davon. Das wird auch im kommenden Jahr einer der Schwerpunkte des Streiks: diese Aneignung so schwer wie möglich zu machen, indem wir die Kritik am Kapitalismus stärken.

Wie haben Männer auf den Streik reagiert?

In den Wochen vor dem 8. März gab es viel Paternalismus, Kommentare wie »Ich weiß nicht, ob ihr das richtig macht«, »Habt ihr auch mit den Gewerkschaften geredet?« oder: »Das mit den vier Schwerpunkten versteht man nicht so richtig, das solltet ihr besser kommunizieren«. Im Grunde stand da eine riesige Selbstbefragung dahinter. In vielen Betrieben gab es unter den Männern lange Diskussionen darüber, was sie am Streiktag mit den Kindern machen sollten, manche beschwerten sich über die zusätzliche Arbeitsbelastung, die ihnen an diesem Tag drohte. An manchen Orten wurden kollektive Kindergärten organisiert, bei denen Männer mitgemacht haben, die keine anderen Sorgearbeiten zu erledigen hatten. Oft blieb die Arbeit aber auch an den Großmüttern hängen -- was wirklich nicht der Sinn der Sache war. Wenn sich die Gedanken, die sich manche Männer vor dem Streik gemacht haben, am 8. März in die Übernahme der Sorgearbeit übersetzt hätten, dann hätten noch viel mehr Omas auf die Straße gehen können.

Die Vorbereitungszeit dieses Jahr war anscheinend sehr kurz. Warum hat der Streik dennoch funktioniert?

Wichtig waren der Schneeballeffekt und die dezentrale Vorbereitung. Mit dem Schneeballeffekt meine ich, dass der Feminismus in den letzten Jahren ziemlich stark geworden ist. Feministische Politik und Kritik ist auch für den Alltag relevant - das mobilisiert. Zumindest hier im Baskenland ist der Feminismus aber auch deshalb sehr einflussreich, weil er sich zu Themen wie der Krise des Kapitalismus und der Reproduktion, Migration oder der Entwaffnung der ETA und den Folgen des baskischen Konfliktes positioniert. Hinzu kommt, dass wir in den Dörfern, Bezirken und Städten starke lokale feministische Strukturen haben. An der Gesamtkoordinierung waren eigentlich nicht viele Frauen beteiligt, die Leute organisierten sich im Prinzip in ihrem Betrieb, ihrem Viertel oder in ihrer Stadt. Diese lokalen Strukturen und die Freiheit, die lokale Versammlungen hatten, waren unglaublich wichtig während der Vorbereitungsphase - dadurch kam diese große Beteiligung zustande.

Nächstes Jahr soll es wieder einen Streik geben - wie kam es zu dieser Entscheidung?

So wirklich koordiniert wurde das, soweit ich weiß, nicht. Die Idee kam aus lokalen und regionalen Frauenversammlungen, die sahen, dass die Schlagkraft vom letzten Jahr noch da war und dass man da noch mehr mobilisieren kann. Dieses Jahr wird es voraussichtlich einen Aufruf für einen 24-Stunden-Streik geben. Alle haben Lust, wieder das Gefühl vom letzten Jahr zu haben, als wir nach wochenlangem Überlegen und Diskutieren zusammen auf die Straße gingen und gemerkt haben, dass wir uns vor lauter Leuten kaum bewegen konnten.

Du kennst auch Deutschland gut - welche Bedingungen gibt es in Spanien und im Baskenland, die hier fehlen?

In Spanien sind die Möglichkeiten zum politischen Streik nicht so stark eingeschränkt wie in Deutschland. Die Gewerkschaften spielen bei uns generell eine politischere Rolle, und in vielen haben vor einigen Jahren feministische Prozesse begonnen. Die Kommunikation zwischen der feministischen Bewegung und den Gewerkschaften hatte nicht nur das Ziel, dass angestellte Arbeiterinnen die Sicherheit haben, zum Streik gehen zu können, sondern auch, dass die Gewerkschaften akzeptieren, dass sie zwar Teil des Streiks sind, die feministische Bewegung aber die zentrale Rolle spielt. Das hat man verstanden, und so hat der Streik selbst auch die Denkweise innerhalb der Gewerkschaften verändert. Vielleicht wird im nächsten Generalstreik dann auch mehr über Pflege geredet. Für mich war dieser Streik vor allem ein Instrument, um aufzuklären und Netzwerke zu bilden. Er hat es geschafft, dass die Leute viel hinterfragt haben. In Cafés, im Bus hörte man immer wieder: »Gehst du zum Streik? Ich habe gehört, dass bei der Firma die Frauen zwei Stunden lang streiken«. Die Menschen haben sich gefragt, was an solchen Tagen mit den Kindern und den pflegebedürftigen Erwachsenen passiert. Und viele der lokalen Strukturen, die sich zur Vorbereitung des Streiks gebildet haben, organisieren weiterhin feministische Versammlungen. Deshalb sagen wir, dass das Wichtigste ist, wie wir uns mobilisiert haben.

Reaktionen aus der Rechten

Einer repräsentativen El-País-Umfrage zufolge waren nur wenige Tage vor dem Streik 82 Prozent aller Spanier_innen der Meinung, es gebe gute Gründe zu streiken. Auch der Kardinal und Erzbischof von Madrid beeilte sich, mitzuteilen, dass er die Frauen, die zum Streik aufrufen, verstehe: »Ihre Rechte müssen verteidigt werden. Auch die Heilige Jungfrau Maria würde es tun- und tut das in der Tat«. Der Bischof von Donostia/San Sebastián stellte in diesem Zusammenhang fest, dass das Christentum sich gegen »radikalen Feminismus« richte. Auf Radio María unterschied er zwischen einem gesunden Feminismus, der die rechtliche Gleichstellung der Frau erwirkt habe, und einem Feminismus, der durch die »Genderideologie« beeinflusst sei. Die rechte Regierungspartei PP kritisierte den Frauenstreik als eine »Aktion feministischer Eliten, nicht der realen Frauen«. Die neoliberale Ciudadanos-Partei positionierte sich Anfang März dagegen: »Wir sind gegen den Streik, denn wir sind keine Antikapitalisten.«