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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 643 / 13.11.2018

»Sie zählen die Tage und warten auf den Tod«

International Der Krieg der saudischen Allianz gegen die jemenitischen Houthi-Rebellen ist der ideale Nährboden für eine Choleraepidemie

Von Edna Bonhomme

Ausländische Streitkräfte unter der Führung von Saudi-Arabien begannen 2015 einen blutigen Krieg gegen die Houthi-Rebellen. Die Zahl der Opfer ist seitdem stetig gestiegen. Rund 10.000 Menschen sind inzwischen umgekommen, zwei Millionen Menschen vertrieben worden. Und die Katastrophe setzt sich fort: Die Hälfte der Bevölkerung, 14 Millionen Menschen, ist vom Hungertod bedroht. Diese Verhältnisse werden vom saudischen Prinzen Mohammed verteidigt, der die Militärschläge rechtfertigt.

Doch nicht nur die jemenitischen Rebellen sind von diesen betroffen, sondern auch Bildungseinrichtungen oder Krankenhäuser. Im August zielte ein Luftangriff auf einen Schulbus - 51 Menschen, 40 davon Kinder, kamen ums Leben. Die Bombe war Saudi-Arabien von den USA geliefert worden. Die Vereinigten Staaten leisten zusammen mit Frankreich und Großbritannien logistische Hilfe beim Krieg der saudischen Allianz im Jemen. Die Entdeckung von US-Munition in den Trümmern ziviler Märkte, Häuser, Krankenhäuser und Hotels ist eine Konstante des mittlerweile mehr als vier Jahre andauernden Krieges im Jemen.

Auch wenn wir nicht alle Namen der Opfer kennen, wissen wir: Der Tod und seine Folgen haben sich in jeder Pore der jemenitischen Gesellschaft festgesetzt. Jemenit_innen sind alltäglich Bombenangriffen, Überfällen, Blockaden und prekären Zuständen ausgesetzt.

Zudem haben die massiven Vertreibungen zum Ausbruch der Cholera geführt - mit verheerenden Folgen. Die Krankheit, verursacht durch das Bakterium Vibrio Cholerae, ist im Jemen zu einer Travestie des 21. Jahrhunderts geworden. Der gegenwärtige Krieg ist ein idealer Nährboden für die Ausbreitung der jetzigen Choleraepidemie. Seit April 2017 wurden im Jemen bereits eine Million Fälle von Cholera gemeldet. Die Infektionsraten sind in nord- und westjemenitischen Städten wie Sanaa, Al Hudayah, Taizz, Ad Dali und Aden am höchsten. Aufgrund der geopolitischen Lage werden dem Land medizinische Infrastruktur, Sanitärprogramme und medizinische Behandlungen entzogen.

Dabei wäre der fundamentalen Gesundheitskrise eigentlich leicht beizukommen. Alles, was man bräuchte, wären sauberes Wasser, Rehydrationssalzlösungen und Handschuhe. Aber der Krieg hat dazu geführt, dass viele der heute im Jemen arbeitenden Ärzt_innen und Krankenpfleger_innen geflohen sind und die Hälfte der Krankenhäuser geschlossen wurde. In den restlichen Krankenhäusern kommt es aufgrund des anhaltenden Konflikts zu Personal- und Materialmangel. Sparmaßnahmen und Krieg haben das öffentliche Gesundheitssystem zerstört. 30.000 Ärzt_innen, Krankenpfleger_innen und anderes Gesundheitspersonal arbeiten seit zehn Monaten ohne Bezahlung.

Hinzu kommt: Die jemenitische Regierung stellte im März 2016, kurz nach Kriegsbeginn, die Auszahlung von Geld für das Gesundheitsministerium ein. Internationale Organisationen haben die Haupthilfe geleistet, aber der Umfang, den sie tun können, ist begrenzt durch die fehlenden Möglichkeiten, unter Bedingungen militärischer Belagerung Behandlungen durchzuführen. Matteo Bastianelli kommentierte für The National Geographic: »Sie sind im Jemen eingesperrt. Kein Land gibt ihnen Asyl oder richtet einen humanitären Korridor ein. Sie zählen die Tage und warten auf den Tod.«

So verhinderte der Krieg die fast erreichte vollständige Ausrottung der Cholera auf der Arabischen Halbinsel, die Fortschritte in der Medizin und internationale Gesundheitsorganisationen ermöglicht haben. Denn die Cholera war viele Jahrzehnte des vergangenen Jahrhunderts auf der Halbinsel verschwunden. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts grassierte sie noch mit Ausbrüchen in Mekka zwischen 1908 und 1912. Danach blieb die Arabische Halbinsel verschont, bis de Krankheit sich 1971 als Folge des letzten jemenitischen Bürgerkriegs erneut ausbreitete.

Mit der Vereinigung von Süd- und Nordjemen im Jahr 1990 begann eine politisch stabile Zeit. Doch Mitte der 1990er Jahre kam es zu Konflikten, die 1994 unter der Leitung von Ali Nasir Mohammed zu einer kurzzeitigen Sezession des Südens führten. Diese Spannungen und ihre Folgen sind eine der vielen historischen Ereignisse, die die jemenitische Zivilgesellschaft spalten.

Seit dem Sommer 2018 gibt es einen internationalen Aufschrei über den Krieg im Jemen. Viele sind von den Bildern der Zerstörung erschüttert und haben sie für einen Aufruf zum Handeln genutzt. Einst schrieb die jüdisch-amerikanische Schriftstellerin Susan Sontag in ihrem Essay »Über Fotografie«: »Leiden ist eine Sache; eine andere Sache ist es, mit der Fotografie des Leidens zu leben, was nicht unbedingt das Gewissen oder die Fähigkeit, mitzufühlen, stärkt. Es kann sie auch zerstören. Sobald man solche Bilder gesehen hat, hat man sich auf den Weg gemacht, noch mehr sehen zu können. Bilder lähmen. Bilder betäuben.«

Bilder waren auch Dreh- und Angelpunkt für eine Mobilisierung der internationalen Gemeinschaft zur Krise im Jemen. The National Geographic zeigte erschütternde Bilder von unterernährten Kindern und heruntergekommenen Gebäuden. Das Politmagazin Democracy Now hat die Kindersterblichkeit visuell dokumentiert und darauf hingewiesen, dass alle zehn Minuten ein Kind im Jemen stirbt. Diese Berichte sollen zeigen, wie sehr das Leben unter Krieg und Besatzung leidet. Der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen, Amnesty International und die jemenitische Bevölkerung haben ein Ende dieses Krieges gefordert. Doch ihre Stimmen werden nach wie vor nicht gehört.

Edna Bonhomme ist marxistische Aktivistin, Wissenschaftlerin und Journalistin.

Übersetzung : ak-Redaktion