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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 644 / 11.12.2018

Göttliches Geschlecht

Gender In den USA versucht die christliche Rechte, die Erfolge im Bereich der geschlechtlichen Selbstbestimmung rückgängig zu machen

Von Moritz Strickert

Am 21. Oktober 2018, kurz vor den Kongress- und Gouverneurswahlen, veröffentlichte die New York Times eine interne Mitteilung des Gesundheitsministeriums, die eine neue Konzeption von Geschlechtlichkeit vorsieht. Demnach soll das Geschlecht, das auf der Geburtsurkunde eingetragen wird und dessen Grundlage Genitalien sind, für den Rest des Lebens unveränderlich gültig bleiben. Geschlecht sei auf biologischer und wissenschaftlicher Grundlage ausschließlich weiblich oder männlich. Die einzige Ausnahme von dieser Regel wäre die Lieferung von »genetischen Gegenbeweisen«. Folge dieser Definition wäre, dass die Existenz von über einer Million US-amerikanischen trans und inter Menschen per Dekret negiert würde. Zur Zeit handelt es sich bei dem beschriebenen Papier um einen Vorschlag aus dem Gesundheitsministerium, zu dem es noch keine offizielle Verlautbarung der US-Regierung gibt. Ziel ist es jedoch, gemeinsam mit dem Bildungs-, Justiz- und Arbeitsministerium eine allgemeingültige restriktive Definition von Geschlecht zu etablieren. Im Zuge dieser Verlautbarungen kam es zu zahlreichen Protesten unter dem Slogan #WontBeErased.

Dieser Vorschlag ist Teil einer politischen Entwicklung, durch die der unter Obama erfolgte Ausbau von Rechten von trans Personen rückgängig gemacht werden soll. Geschlecht wurde dort mehr an eine individuelle Selbstdefinition gebunden und nicht vom zugeschriebenen Geburtsgeschlecht abgeleitet. Debatten über die Nutzung von Toiletten, Schlafräumen oder geschlechtsspezifischen Regierungsprogrammen (1) folgten auf Liberalisierungstendenzen in der Zeit der Obama-Regierung. Schon kurz nach Trumps Amtsantritt wurden Richtlinien aufgehoben, die es Schüler_innen ermöglichten, Toiletten zu besuchen, die zu ihrer Geschlechtsidentität passten. Die Aufhebung hatte zur Folge, dass das Bildungsministerium alle derzeitigen Diskriminierungsbeschwerden von trans Schüler_innen hinsichtlich des Zugangs zu Schuleinrichtungen abgewiesen hat. Auch andere Einrichtungen wie Gefängnisse oder Obdachlosenunterkünfte sind von den Änderungen betroffen. Im Hinblick auf den Diskriminierungsschutz von trans Menschen im Beruf oder deren Präsenz im Militär wurden Maßnahmen ergriffen, um die bereits erreichten Erfolge der Inklusion wieder zur Debatte zu stellen. Es wurde sogar versucht, Fragen, bei denen es um Geschlechtsidentität geht, aus der Zensusumfrage 2020 und einer nationalen Befragung von älteren Bürger_innen zu entfernen.

Gegen die »Genderideologie«

Insbesondere die christliche Rechte ist stark in dieses politische Feld involviert und versucht gegen die Erweiterung von Rechten von trans Menschen und alles, was in den Bereich der »Genderideologie« fällt, vorzugehen. Federführende Organisationen wie Focus on the Family, Family Research Council und Alliance Defending Freedom versuchen seit Jahren, bereits Erreichtes wieder rückgängig zu machen. Der Zugang zu juristischer, medizinischer, aber auch sozialer Unterstützung soll eingeschränkt, und ein Klima geschaffen werden, das jegliche Transition verunmöglicht. Grundtenor ist, dass Schutzmaßnahmen für trans Personen die religiöse Freiheit untergraben würden. Auf rechtlicher Ebene schufen die Organisationen Präzedenzfälle, die religiöse Ausnahmen bezüglich der Einführung von transinklusiven Gesetzesmaßnahmen an Schulen und Colleges beinhalten. In vier Bundesstaaten existieren Regelungen, die besagen, dass das medizinische Personal LGBTI-Personen die Behandlung verweigern darf. Auf Ebene der Bundesstaaten sind diese Organisationen ebenfalls aktiv. Mehrere rechte christliche Gruppen wie Keep Massachusetts Safe, die eng mit den oben genannten Organisationen verbandelt sind, strebten dort ein Referendum über die Abschaffung eines Antidiskriminierungsgesetzes für trans Menschen an. Dieses 2016 erlassene Gesetz sah einen Diskriminierungsschutz im Wohn- und Arbeitskontext sowie in öffentlichen Gebäuden, wie beispielsweise Büchereien und Restaurants, vor. Zumindest diese Einschränkung von Schutzrechten von trans Personen konnte abgewendet werden. Anfang November stimmten 67,8 Prozent der Wähler_innen für die Beibehaltung dieser Rechte.

Die christliche Rechte erzielte mit dem Thema Sicherheit von Kindern und Frauen auch außerhalb ihres eigenen Spektrums Mobilisierungs- und Debattenerfolge. Innerhalb der Kampagne wurde behauptet, dass Antidiskriminierungsgesetze Menschen schützen, die sich beispielsweise Zugang zu Toiletten verschaffen, um dort Mädchen und Frauen Schaden zuzufügen. Der Ausbau von Rechten und ein erhöhter Schutz für trans Menschen wäre gleichbedeutend mit einem Anstieg von (sexualisierter) Gewalt. Abgelenkt wird dabei von patriarchalen Strukturen und davon, wie zentral sie für die Existenz der christlichen Rechten sind. Zudem wird ausgeblendet, dass die christliche Rechte systematisch versucht, die Ahndung von sexualisierter Gewalt zu erschweren.

Gefahr für die traditionelle Familie

Dem christlichen Engagement gegen die Rechte von trans Personen liegt der Glauben zugrunde, Frauen und Männer wären von Gott unumstößlich als eben solche erschaffen worden. Ursprünglich als Kernargument für die Begrenzung der Ehe auf heterosexuelle Paare angewandt, wird erneut darauf gepocht, dass die spezifische Geschlechtlichkeit mit göttlichen Aufgaben und Sphären verbunden ist, die sich gegenseitig perfekt ergänzen. Eine Veränderung des zugeschriebenen Geschlechts versteht die christliche Rechte als Eingriff in die göttliche Schöpfung. Anerkennung und Rechte für trans Menschen würden außerdem, ähnlich wie bei Homosexuellen, die traditionelle Familie in Gefahr bringen. Die Begründungen sind jedoch nicht rein religiös: Auch wissenschaftliche Erkenntnisse würden zeigen, dass Frauen und Männer sehr unterschiedlich denken, was wiederum Einfluss auf das Verhalten hätte. Trans sein wäre in den meisten Fällen das Resultat von sexualisierter Gewalt im Kindesalter.

Die Einflussnahme reicht bis in die UN, wo die US-Delegation versucht, in Menschenrechtsdokumenten das Wort »Gender« durch »Woman« zu ersetzen. Auch hier wird kritisiert, dass Gender ein ideologischer Begriff sei, der trotz unveränderlichen biologischen Tatsachen suggeriere, dass Geschlechtlichkeit individuelle Wahl beinhalte. Zahlreiche Vertreter_innen dieser transfeindlichen Einstellungen sind nun in Machtpositionen und versuchen Schritt für Schritt, ihre Agenda umzusetzen. Klar ist, dass durch diese Entwicklungen ein noch gefährlicheres Klima für trans Menschen geschaffen wird.

Moritz Strickert lebt in Berlin und arbeitet zu Sexual- und Geschlechterpolitik.

Anmerkung:

1) Geschlechtsspezifische Regierungsprogramme sind beispielsweise Programme, die die Förderung von Frauen beinhalten.