Male Detox
Gender Toxische Männlichkeit und die Rolle der Männer zwischen Reform und Revolution
Von Paul Hentze und Kim Posster
Männer sind unsicher und haben Angst. Angst, nicht männlich genug zu sein, Angst, den Anforderungen, die ihr Leben bestimmen, nicht zu genügen, Angst. den vorherrschenden Idealen nicht zu entsprechen. Um ihre bedrohte Männlichkeit zu stabilisieren bzw. zu beweisen, greifen sie auf dominantes und gewaltvolles Verhalten zurück. Am stärksten betroffen davon sind, neben ihnen selbst und anderen Männern, FLTI. (1)
So oder so ähnlich funktionieren die meisten Analysen zu gewaltvollem und (selbst-)verletzendem Verhalten von Männern. Von diesem prinzipiell richtigen Ausgangspunkt gibt es zwei beliebte Ableitungen: Die »maskulinistische« skandalisiert den Mangel an Männlichkeit, der durch »schreckliche« gesellschaftliche Entwicklungen, wie den Abbau männlicher Privilegien, den Feminismus, die »Verweiblichung der Kultur« entstehe, und will Männer stärken. Männliche Gewalt erscheint hier als vielleicht fehlgeleitete, aber berechtigte »Notwehr« oder als »Hilferuf«, der zu Unrecht beschränkten und verurteilten Männlichkeit. Die linksliberale Deutung erscheint um einiges fortschrittlicher: Sie verzeiht die Gewalt nicht vorschnell und kritisiert die Männlichkeitsideale, zu denen Männer sich verhalten müssen. Sie schließt daraus jedoch lediglich, dass es dann eben ein anderes, besseres Männlichkeitsideal brauche und keine Kritik ums Ganze.
Aktuell stehen Auseinandersetzung um Männer, Männlichkeitsideale und ihre Deutungen wieder verstärkt auf dem Programm: Die alte und neue Rechte verbindet ein zunehmend aggressiv auftretender Antifeminismus, der mitunter ganz offen patriarchale und völkische Ideologien mit Forderungen nach »Souveränität« und »Wehrhaftigkeit« miteinander verknüpft. Hier wird die neue Umsetzung einer soldatischen Männlichkeit und einer verstärkt hierarchischen Geschlechterordnung herbeigesehnt.
»Boys don't Cry«
Gleichzeitig hat vor allem beständige feministische Kritik, beispielsweise durch #metoo, die Problematisierung von Männlichkeit wieder mehr in das öffentliche Bewusstsein gerückt. Auch in der radikalen Linken gibt es wieder mehr kritische Auseinandersetzungen mit dem Thema, die über feministische Zusammenhänge im engen Sinne hinaus gehen: Die Beschäftigung mit sogenannter kritischer Männlichkeit findet nicht oft, aber immer häufiger in Workshops und in seltenen Fällen in organisierten Gruppen statt. Dies ist eine erfreuliche Entwicklung in Anbetracht dessen, dass die meisten cis Männer auch in der radikalen Linken höchstens eine rhetorische Aufgeschlossenheit gegenüber feministischer Kritik und den Anliegen von FLTI pflegen und sich sonst in ihre herrschaftliche Ignoranz zurückziehen. Abgesehen von einigen wenigen feministischen Gruppen wird weder theoretisch noch praktisch eine radikal-emanzipatorische Perspektive formuliert, die sich in die von rechts dominierten Verhandlungen des Themas einbringen könnte. Denn auch progressive Ansätze der Auseinandersetzung mit Männlichkeit verbleiben oft innerhalb der vorgezeichneten linksliberalen Ableitung.
Das lässt sich am Begriff der toxischen Männlichkeit zeigen. Der Begriff »toxic masculinity«, zu deutsch »toxische Männlichkeit«, ist besonders seit #metoo im Aufschwung und beschreibt das Konglomerat an männlichen Eigenschaften, Verhaltensweisen und Stereotypen, die »toxisch«, also schädlich, auf Männer und ihr Umfeld wirken. Damit sind (sexualisierte) Gewalt, Dominanzstreben, Machismen und die Diskriminierung von Frauen und Queers ebenso gemeint wie emotionale Verelendung und »Risikoverhalten«. Vorteilhaft an dem Begriff ist, dass er an den (Leid-)Erfahrungen von Männern ansetzt, ohne ihr gewaltvolles Verhalten zu entschuldigen. Außerdem kann er auf ein eigenes Interesse von Männern verweisen, sich mit patriarchalen Geschlechterrollen und Sexismus auseinanderzusetzen.
Damit kann die Verbreitung des Begriffs erklärt werden, der mittlerweile auch von Männern und sogar nicht-feministischen Akteuren aufgegriffen wird. Der britische Journalist Jack Urwin konnte mit seiner Nautilus Flugschrift »Boys don't Cry« einiges an Aufmerksamkeit gewinnen; der Männerforscher Thomas Gesterkamp greift das Konzept gern auf, um gesundheitspolitische Männerthemen mit Antidiskriminierung zu verbinden; und in den USA thematisiert der Schauspieler Terry Crews schon seit 2014 »toxic masculinity« öffentlichkeitswirksam. Crews, der auch ein Buch über »manhood« geschrieben hat, erzählte als einer der ersten Männer im Zuge von #metoo von erlebten sexuellen Übergriffen, ohne dabei das feministische Grundanliegen des Hashtags in Frage zu stellen. Der Ex-Football-Profi, der mittlerweile in Talkshows und auf Podien eingeladen wird, ist bemerkenswert, weil er mittlerweile nicht mehr nur als Profisportler, sondern auch als Actionheld und Comedian bekannt ist. Ein Mann, der sich einerseits kritisch gegenüber klassischen Konzepten von Männlichkeit äußert und andererseits gleich drei der klassischen Betätigungsfelder männlicher Selbstdisziplin und (lässiger) Unangreifbarkeit verkörpert.
So bewundernswert die Handlungen eines Terry Crews tatsächlich sein mögen - dass er als neues männliches Vorbild und vor allem als ultimativer Vater gefeiert wird, sollte zu denken geben. Das Konzept toxische Männlichkeit zeigt sich nämlich allzu oft als oberflächliche Spaltung des männlichen Habitus in »gute« und »schlechte« Anteile und bedient darüber hinaus ein Grundbedürfnis jeglicher Männlichkeitskonstitution, das sich schon im Untertitel von Crews Buch »How to be a better man« ausdrückt.
Entgiftungskur für Männer
Nach Raewyn Conell, der Ikone der kritischen Männlichkeitsforschung, besteht eine Hauptfunktion hegemonialer Männlichkeit darin, dem Patriarchat Legitimität zu verleihen. Deshalb ist es mehr als verdächtig, dass die Diskussionen um toxische und kritische Männlichkeit in linksliberalen und mittelständischen Milieus stattfinden, wo sich in den letzten Jahrzehnten das patriarchale Geschlechterverhältnis stark modernisiert hat. Bekenntnisse zu Geschlechtergerechtigkeit gehören hier mittlerweile zum guten Ton. Klassisch vergeschlechtlichte Arbeitsteilung hat sich zu einem Adult-Worker-Modell gewandelt, wodurch eine leichte Angleichung der Geschlechterrollen stattgefunden hat. Hier werden außerdem die idealtypischen Eigenschaften des spätkapitalistischen Subjekts besonders stark angeeignet: kommunikativ, emotional intelligent, selbstsorgend und asketisch-gesundheitsbewusst im eigenen Hedonismus. Es ist aber wichtig und absolut begrüßenswert, wenn sich auch cis Männer mit ihrer eigenen Männlichkeit und Position im Patriarchat ernsthaft auseinandersetzen. Nur laufen besonders sie Gefahr, damit nur einen Reformprozess anzustoßen, der im Endeffekt auf eine Resouveränisierung von Männlichkeit hinausläuft.
Die Kritik an rape culture und männlicher Gewalt, die die Diskussionen um toxische Männlichkeit maßgeblich geprägt haben, drohen deshalb zu einem Projekt der schlichten Modernisierung des Männlichkeitsideals zu werden. Männlichkeit kann so »entgiftet« werden und gestärkt wieder auferstehen. Eine radikale Männlichkeitskritik, die auch praktisch in der Lage wäre, auf real existierende cis Männer einzugehen, bzw. die auch von ihnen betrieben werden kann, ist hier nicht zu finden.
Es ist deshalb bedenklich, dass Slogans wie »Real Men are Feminists« auch in der radikalen Linken verbreitet sind oder das Label kritische Männlichkeit die Vorstellung zulässt, dass hier die Männlichkeit eine kritische, eine gute sein könnte. Dass es so wenig Möglichkeiten gibt, männliche (Leidens-)Erfahrungen emanzipatorisch mit feministischer Kritik zu vermitteln, ist nicht die Schuld des Feminismus, aber sein Problem. Das heißt nicht, dass Feminist_innen sich endlich der bedauernswerten cis Männer annehmen sollten, sondern verweist vor allem auf die Verantwortung besagter Männer.
Plenum gegen das Patriarchat
Für diese widersprüchliche Aufgabe gibt es kein Patentrezept, aber einiges an historischen und einzelnen aktuellen Versuchen. Die letzte Ausgabe der »Streitschrift gegen sexistische Zustände« des Antisexismusbündnis Berlin und das Fantifa-Buch der Edition Assemblage thematisieren beide eine feministische Auseinandersetzung von cis Männern mit Männlichkeit innerhalb der linksradikalen Szene, die über Lippenbekenntnisse und Stellvertreterbetroffenheit hinausgeht. Und seit diesem Jahr gibt es auch ein komplett digitalisiertes Archiv des historischen Vernetzungs- und Diskursorgans Profeministischer Männerrundbrief, das Theorie und Praxis der autonomen Männerbewegung von 1993 bis 2002 dokumentiert.
Gerade ein Blick in die Geschichte verweist nämlich auf eine Praxis, die über den sporadisch stattfindenden Workshop oder Vortrag weit hinaus geht: Regelmäßig stattfindende Männlichkeits- oder sogenannte Männerplena beschäftigten sich mit der Realität und den Voraussetzungen von männlicher Gewalt und Dominanz im eigenen Umfeld; Supportstrukturen für FLTI-Gruppen wurden aufgebaut und Räume für Selbsterfahrung und Austausch geschaffen. Gerade hier sollte eine tiefergehende Reflexion des männlichen Habitus ermöglicht werden, die von Verletzlichkeit, (Selbst-)Kritik und Sorge umeinander geprägt war -- auch abseits von emotionaler Arbeit von FLTI.
Zugegeben: Auch damals war diese Praxis marginal und auch der Wunsch nach einer »guten«, anti-patriarchalen Männlichkeit schlich sich immer wieder ein. Wie damals geht es deshalb auch heute darum, die Widersprüche zwischen (eigener) gelebter Männlichkeit und radikal-feministischem Anspruch nicht einseitig aufzulösen, sondern stattdessen zum Ausgangspunkt zu nehmen. Angetrieben würden Männer dann nicht mehr nur von Angst und Unsicherheit, sondern von echter Solidarität und einem revolutionären Begehren, das zwar auch aus dem Leiden des eigenen Geschlechts entspringt, aber es letztlich überwinden will -- und das macht den zentralen Unterschied aus.
Paul Hentze und Kim Posster sind cis Männer und betreiben mit anderen zusammen einen Blog zur Verbreitung und Vernetzung von kritischen Auseinandersetzungen mit (eigener) Männlichkeit: www.kritmaen.noblogs.org
Anmerkung:
1) Frauen, Lesben, trans* und inter* Personen