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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 645 / 15.1.2019

Aufgeblättert

Hirn und Herz

Auf 260 Seiten befindet sich Peter Birke im biografischen Gedankenaustausch mit dem Arbeits- und Gesundheitswissenschaftler Wolfgang Hien. Beide entstammen - zu verschiedenen Zeiten - Lehrlingsbewegungen, haben politische Betriebserfahrungen gesammelt und sich dann auf kritische Wissenschaft verlegt, ohne ihre Wurzeln zu vergessen. Einen wesentlichen Punkt dieser Biografien betont Peter Birke in Abgrenzung zu Didier Eribon: »Es ist möglich, seine Herkunft nicht als Stigma zu empfinden, sondern mit einem gewissen Stolz zu seiner Herkunft, seiner Geschichte und seiner Gewordenheit zu stehen«. Der Untertitel »68 und das Ringen um menschenwürdige Arbeit« ist dabei etwas irreführend, denn 1968 ist ein Startpunkt, das Ringen wird bis heute beschrieben: Wir erfahren von Hiens Zeit als Lehrling bei BASF in Ludwigshafen und der Lehrlingsbewegung, der politischen Atmosphäre am Speyer-Kolleg, dem ersten Schritt der »Klassenreise«, Betriebsinterventionen und verschiedenen Betriebsgruppen im Rhein-Neckar-Gebiet, Frankfurt, Bochum, Bremen und Hamburg bis in die 1990er Jahre. Hien erzählt vor allem auch die Geschichte seines anhaltenden gesundheitspolitischen Engagements und der damit verbundenen Konflikte mit und in Gewerkschaften. Das Ganze liest sich spannend wie ein Roman und wird abgerundet durch Hiens Aufsatz »Gesundheit als politische Kategorie«, der das Engagement in die Geschichte der sozialen Bewegungen (Arbeit, Gesundheit, Umwelt) einbettet.

Torsten Bewernitz

Wolfgang Hien und Peter Birke: Gegen die Zerstörung von Herz und Hirn. »68« und das Ringen um menschenwürdige Arbeit. VSA, Hamburg 2018. 263 Seiten, 22,80 EUR.

Staat und Protest

Die westdeutschen Proteste der 1970er und 1980er Jahre werden zusehends zum Gegenstand der Geschichtswissenschaft. Die Vorstellung, es habe nur zwei monolithische Seiten gegeben, wird dabei einer kritischen Würdigung unterzogen. Es gab eben nicht nur Repressionen verschiedener Art, sondern auch Dialog und Integrationsangebote - und selbst im Staatsapparat Sympathie für die Anliegen der sozialen Bewegungen. Die neueste Publikation in diesem akademischen Mini-Modetrend stellt zum einen Protestbewegungen und ihre Anliegen vor. Hier geht es um Jugendzentren, antirassistische Initiativen, linke Buchläden, Berufsverbote und die Friedens- und Anti-AKW-Bewegung. Der andere Strang ist die Reaktion »des Staates« auf den Protest. Hier geht es z.B. um die Rolle, die von den verschiedenen Akteuren wissenschaftlicher und planerischer Expertise zugeschrieben wurde, nutzten doch auch die Protestbewegungen akademisches Wissen oder gründeten selbst Institute, die Gegenwissen produzierten. Ein Beitrag untersucht die Entwicklung der Polizei zwischen Militarisierung und Reformansätzen. Bei Konflikten auf lokaler Ebene, etwa bei Jugendzentren oder in der Jugendhilfe, waren die Protestierenden sofort und unmittelbar mit der kommunalen Verwaltung konfrontiert. Bei größeren Konflikten konnten hingegen oft die - auch parteipolitischen - Differenzen zwischen Landesregierungen und dem Bund genutzt werden.

Bernd Hüttner

Alexandra Jaeger, Julia Kleinschmidt, David Templin (Hg.): Den Protest regieren. Staatliches Handeln, neue soziale Bewegungen und linke Organisationen in den 1970er und 1980er Jahren. Klartext Verlag, Essen 2018. 270 Seiten, 24,95 EUR.

Befreiung

Dass wir in einer Zeit massiver Umbrüche und Krisen leben, ist längst kein Geheimnis mehr, und doch scheint es kaum Strategien zu geben, wie wir ihnen langfristig politisch begegnen sollten. Der Gesprächsband der Selbsthilfegruppe Ei des Kommunismus (SEK), der in Anlehnung an Herbert Marcuse »Erneuter Versuch über die Befreiung« heißt, entwickelt zwar keine konkrete Strategie, steckt aber ziemlich beeindruckend den Problemhorizont kommunistischer Politik im 21. Jahrhundert ab. Dass die Antwort auf die längst eingetretene ökologische Katastrophe, den Rechtsruck und die extreme globale Ungleichheit nur die emanzipatorische Überwindung des Kapitalismus sein kann, eint die sieben Diskutant_innen, die sonst eher unterschiedliche Hintergründe haben. So wird im ersten Teil des Buches deutlich, dass einige an libertär-anarchistische Traditionen anknüpfen, währende andere eher »klassisch« marxistisch argumentieren. Hierin liegt auch eine Schwäche des Bandes, stehen die Antworten ab und an dann doch etwas unvermittelt nebeneinander. Stark sind die Beiträge vor allem da, wo sie den zeitgenössischen Kapitalismus in seinen komplexen Umbrüchen und globalen Widersprüchen analysieren. Hier beweisen die Diskutant_innen eine Weitsicht, von der die radikale Linke viel lernen kann. Auch über die am Ende des Bandes vorgeschlagene Vision eines sozialistischen Europaprojekts wäre eine weitere Diskussion wünschenswert.

Matthias Ubl

Selbsthilfegruppe Ei des Kommunismus (SEK): Erneuter Versuch über die Befreiung. Eine Debatte über Wege und Ziele der Emanzipation. Unrast Verlag, Münster, 2018. 84 Seiten, 8 EUR.

EU-Militarisierung

Für die wechselnden Bundesregierungen besteht zwischen »nationalen« und »europäischen« Interessen kein Gegensatz - man müsse nur bereit sein, beide durchzusetzen: »Die zur Verfügung stehenden Mitteln reichen von freundlichen Worten bis zu Marschflugkörpern.« Den Satz sagte Angela Merkel schon 2004. Er ist nur insoweit veraltet, als inzwischen neue Technologie hinzugekommen ist - Drohnen vor allem, für die amtierende Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen unverzichtbares Mittel militärgestützter Großmachtpolitik Deutschlands und der EU. In ihrem Buch »Die Militarisierung der EU« analysieren Claudia Haydt und Jürgen Wagner von der Informationsstelle Militarisierung (IMI) den »(un)aufhaltsamen Weg Europas zu militärischen Großmacht«. Strategiepapiere militaristischer Think Tanks berücksichtigen sie dabei genauso wie EU-Beschlüsse und Reden von Politiker_innen, die von Deutschland lauthals mehr internationales »Engagement« fordern und Kriegseinsätze meinen. Zugleich zeigen Haydt und Wagner, dass die europäischen Militarisierungsprozesse eben doch nicht unaufhaltsam sind. Denn es gibt auch mögliche »Stolpersteine für die Militärmacht Europa« - etwa die Differenzen zwischen Frankreich und Deutschland, der NATO und der EU, den kleineren EU-Staaten und dem deutsch-französischen Führungsduo. Mit ihrem auch für Laien verständlichen Buch leisten Haydt und Wagner einen wichtigen Beitrag zur oft vernachlässigten EU-Kritik - von links.

Jens Renner

Claudia Haydt und Jürgen Wagner: Die Militarisierung der EU. Der (un)aufhaltsame Weg Europas zur europäischen Großmacht. edition berolina, Berlin 2018, 304 Seiten, 14,99 EUR.