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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 645 / 15.1.2019

»Rechte Gewalt wird verleugnet«

Deutschland Rola Saleh über die politische Stimmung in Ostdeutschland und ihren Umgang mit Rassismus

Protokoll: Claudia Krieg

Rola Saleh lebt seit vielen Jahren in Chemnitz. Sie ist als Sozialarbeiterin in der Antirassismusarbeit tätig und in der sächsischen Gruppe von Jugendliche ohne Grenzen (JOG) engagiert, einem bundesweiten Zusammenschluss, der sich für die Rechte junger Migrant_innen einsetzt. In der Woche nach dem 26. August 2018, als rassistische Hetzjagden und Ausschreitungen der Welle rechter Mobilisierung neuen Auftrieb gaben, wehrt sie sich auf der Straße, filmt die rassistischen Hetzjagden und protestiert allein an der Haltestelle vor dem Chemnitzer Zentralstadion gegen Rechte, die am sogenannten Sachsengespräch mit dem Ministerpräsident Michael Kretschmer teilnehmen.

»Wir haben uns nach dem, was hier in Chemnitz Ende August letzten Jahres passiert ist, nur noch auf den Demonstrationen gegen rechts getroffen. Wir sprechen nicht viel darüber. Es fällt uns schwer. Eine Freundin hat mir vor kurzem gesagt: Man müsste weggehen, es ist ekelhaft hier, es ist schlimm. Beim Treffen in der bundesweiten Gruppe von JOG berichten wir von der Situation in den Bundesländern. Alle spüren, dass wir ungeschützt sind, dass wir auf uns allein gestellt sind. Wer spricht mit den Personen, die betroffen sind? Ich meine nicht die sogenannten besorgten Bürger, sondern die Migranten, die all dies aushalten müssen - wer gibt ihnen Zuversicht, dass sie hier weiterleben und ihre Zukunft planen können? Das macht niemand.«

»Wir haben in Sachsen eine besondere Situation. Bist Du hier als Migrant, wirst Du in der Regel beschuldigt. Es gibt solche Fälle wie den, in dem ein Ehepaar von einem Rechten angegriffen wurde und das erste, was die eintreffende Polizei macht, ist, dem Mann, der attackiert wurde, Handschellen anzulegen. Wie soll man der Polizei vertrauen? Es ist bekannt, dass es Rechte bei der Polizei gibt, besonders hier in Sachsen und zudem viele, die mit ihnen sympathisieren. Wenn dir etwas passiert und du die Polizei rufst, weißt du nicht, ob dein Freund oder dein Feind kommt. Viele rechte Angriffe werden deshalb gar nicht erst angezeigt.«

»Ich spüre, wie sich hier in Chemnitz eine Botschaft verstärkt, die an die Migranten geht und nicht an die, die sie angreifen. Sie lautet: Ihr habt Pflichten, es gibt hier so viele Integrationsmaßnahmen, geht arbeiten, wir haben euch schon genug unter die Arme gegriffen. Für mich hat Integration drei Aspekte. Ich als Person muss mich bemühen, versuchen, die Sprache zu lernen, mich auch anzupassen. Aber während ich das mache, und damit ich das schaffe, brauche ich die gleichen politischen Rechte und Chancen. Und ich brauche gesellschaftliche Akzeptanz.

Zu mir kommen Menschen in die Beratung und erzählen mir, wie sie jeden Tag zur Arbeit gehen und jeden Abend weinend nach Hause zurückkommen, weil sie dort rassistisch beschimpft und diskriminiert werden. Aber sie halten es aus, weil sie arbeiten und ein gutes Vorbild sein wollen. Einer kommt und erzählt: Jeden Tag haben meine Kollegen in der Pause sogenannte private Sachen zu besprechen und ich sitze allein und keiner spricht mit mir. Da kann man doch Integration forcieren wie man will! Nur weil jemand arbeitet und die Sprache spricht, ist das ja noch keine gelungene Integration. Du brauchst Menschen, die dich akzeptieren, so wie du bist, und dich als Teil dieser Gesellschaft annehmen. Stattdessen sendet die Politik Signale, die Ressentiments verschärfen. An wen ist zum Beispiel diese Rückkehr-Kampagne gerichtet? In dieser Zeit ist doch eine solche Art von Umgang mit Geflüchteten von der Regierung, vom Innenministerium, hochgefährlich. Es signalisiert Geflüchteten: Haut ab, ihr seid hier nicht willkommen! Und die, die diese Meinung schon haben, bestärkt es darin noch. Genauso absurd ist es, einen vorübergehenden Schutz zu gewähren, der vermittelt: Du sollst dir hier nichts aufbauen, du gehst wieder zurück - und dann gleichzeitig Integration zu fordern. Das passt doch nicht zusammen. Alles stärkt die Position der Rechten, alles, und selbst wenn man sich an die Rhetorik von Seehofer gewöhnt hat: Die Politik darf das nicht hinnehmen.«

»Ich bin 2015 viele Male auf Versammlungen derjenigen aufgetreten, die sich von der Erstaufnahmeeinrichtung in Chemnitz gestört fühlten. Ich habe versucht, als gutes Beispiel für Integration aufzutreten, habe erzählt, wie mein Leben hier seit vielen Jahren aussieht. Und am Ende kommen Leute und fragen mich, wann ich gedenke, wieder nach Hause zu gehen. Es gibt so viele Ängste und Probleme in der Pflege, der Bildung, der Wohnungsversorgung in Deutschland, und all dies wird auf andere Menschen projiziert, anstatt dafür zu kämpfen, dass sich etwas verbessert - warum? Und andersherum: Es gäbe doch den Reichtum in Europa nicht ohne die koloniale Ausbeutung und Aufteilung des afrikanischen Kontinents. Noch immer wird der globale Süden dafür ausgebeutet, dass hier das T-Shirt nur vier Euro kostet. Die Menschen, die hier um ihren Wohlstand fürchten, wollen nicht verstehen, dass er auf genau diesem Mist gewachsen ist. Und während von Deutschland aus Waffen exportiert werden, um Diktaturen aufrechtzuerhalten, sagt man den Menschen, die aus den Kriegsländern kommen: Geh doch dort auf die Straße und kämpfe für deine Rechte und eine Verbesserung. Solange diese Ausbeutung und diese Kriege fortgesetzt werden, hat niemand, der dafür mitverantwortlich ist, ein Recht zu sagen: Ihr dürft nicht hierherkommen. Ich hoffe immer noch, dass die Menschen das begreifen.«

»Hier im Osten gibt es so wenige Migranten, aber die sogenannte Angst wird auf etwas gerichtet, was statistisch überhaupt kein Problem für irgendwas und irgendwen darstellt. Ich dachte immer, die 1990er Jahre wären vorbei. Aber die Erwartung, der Osten würde auf das Niveau des Westens gebracht werden, hat sich nur in Ansätzen erfüllt. Es braucht ja auch eine Veränderung über die wirtschaftliche hinaus, eine Veränderung hin zu Demokratie, ein politisches Lernen. Die Mentalität in der ostdeutschen Gesellschaft ist von einer starker Unterdrückungserfahrung geprägt und das merkt man heute. Die Gesellschaft in Sachsen ist so gespalten. Wenn die Politik sagt, die Zivilgesellschaft muss sich engagieren, dann muss sie all die Menschen, Gruppen, Vereine, die sich gegen Rassismus einsetzen, nachhaltig fördern und unterstützen. Das ist die Zivilgesellschaft. Aber wenn die Politik in Sachsen so bleibt und wenn die Verantwortung auf Sachsen beschränkt bleibt, dann sind all diejenigen, die sich engagieren, schon zu spät damit, sich zu wappnen gegen eine Regierung, an der die AfD beteiligt sein wird. Aber währenddessen redet das sächsische Innenministerium über Linksextremismus und Islamismus. Rechte Gewalt wird verleugnet. Seit 30 Jahren herrscht die CDU hier so. Realitätsfern, aber erfolgreich. Menschen gehen unterdessen auf die Straße und nehmen sich die Freiheit, anderen Menschen die Freiheit zu rauben. Aber wer dies tut, dürfte Freiheit eigentlich nicht für sich in Anspruch nehmen.«

»Ich habe es satt, mich auseinandersetzen zu müssen, immer öfter habe ich keine Lust mehr, zu diskutieren. Ideologisches Denken legt man nicht eben ab. Dem möchte ich mich nicht mehr aussetzen. Erst am 9. November letzten Jahres, als wir mit einem Team von der Deutschen Welle in Chemnitz unterwegs waren, ist einfach jemand auf mich zugegangen und hat sich vor mir aufgebaut und gesagt: Ich kenne dich von der Zentralhaltestelle. Menschen sind gewaltbereit, verherrlichen Gewalt und schrecken nicht davor zurück, dich dafür zu benutzen. Ob ich das von mir weghalten kann, ist situationsbedingt. Als ich zu einer Diskussionsrunde eingeladen wurde, in dem ein AfD-Sprecher saß, wusste ich lange nicht, ob ich dorthin gehen soll. Ich habe mich vorbereitet und habe es dann doch gemacht, aber ich habe ihm nicht die Hand gegeben und meine Meinung gesagt. Aber ob ich das öfter machen würde? Ich habe schon genug damit zu kämpfen, dass meine Steuern eine Partei mitfinanzieren, die gegen mich hetzt.«