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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 646 / 19.2.2019

FAQ. Noch Fragen?

Warum ist die Wirtschaft Venezuelas am Boden?

Wer allein auf westliche Medien angewiesen ist, kann nur den Kopf schütteln über den venezolanischen Präsidenten Nicolas Maduro. Der hat die Hilfslieferungen an Lebensmitteln und Medikamenten, die die Vereinigten Staaten für die notleidende Bevölkerung Venezuelas zur Verfügung stellt, als »politische Show« bezeichnet, hinter der sich geplante »interventionistische Aktionen« der USA verbergen. Dabei leugnet doch kaum einer, dass die Bevölkerung Venezuelas von sinkendem Lebensstandard betroffen ist, die Realeinkommen zurückgehen und die preisgestützt von der Regierung zur Verfügung gestellte Lebensmittel immer knapper werden. Dabei, so ist zu lesen, sei Venezuela eigentlich doch ein reiches Land, verfüge über fast unerschöpfliche Erdölquellen.

Die von den Medien gezogene Schlussfolgerung lautet: Schuld an der gegenwärtigen Misere sei die Misswirtschaft des Präsidenten Maduro, der seit 2013 uneingeschränkt herrscht. Eine verfehlte, Inflation hervorrufende Währungspolitik, Korruption, autokratische Strukturen und Polizeigewalt werden sicherlich zu Recht kritisiert. Dabei bekennt sich Maduro immer wieder zum »Sozialismus des 21. Jahrhunderts«, zur »Bolivarischen Revolution«, die sein charismatischer Vorgänger im Präsidentenamt, Hugo Chavez, bei seinem Regierungsantritt 1999 verkündet hatte und bis zu seinem Tode 2013 voranbrachte. Chávez' Sozialismus hatte der armen Bevölkerung in den venezolanischen Großstädten, in den Barrios, mannigfaltige Vorteile gebracht, von geringen Mieten bis zu subventionierten Lebensmitteln und spottbilligem Benzin. Kein Wunder, dass er in der Bevölkerung viele Anhänger besaß - die Chávistas. Doch hat Maduro, der unter Chavez Vizepräsident war, tatsächlich die Grundsätze der »bolivarischen Revolution« verraten?

Die Antwort lautet: Nein, er hat vielmehr die Wirtschaftspolitik seines Vorgängers fortgeführt, »nur« mit in vieler Hinsicht gegenteiligen Ergebnissen. Wenn man das erklären will, muss man sich vor Augen führen, dass die venezolanische Wirtschaft eine Ökonomie ist, die auf ein Produkt konzentriert ist - das Erdöl. Dank seit Mitte der 1980er Jahre konstant hoher Erdölpreise auf dem Weltmarkt war bereits unter Chávez der Anteil der aus dem Erdölexport gewonnenen an den gesamten Deviseneinnahmen Venezuelas auf über 80 Prozent gestiegen. Der im Juni 2014, kurz nach Maduros Amtsübernahme, einsetzende Absturz der Welterdölpreise von 120 auf 50 Dollar je Barrel zerstörte die ökonomischen Grundlagen für die von Chávez betriebene großzügige Sozialpolitik. Diese Umverteilungspolitik war der Grund dafür, warum die Masse der Bevölkerung Chávez zugejubelt und ihn immer wieder gewählt hatte. Nunmehr begann sie sich von der »Bolivarische Revolution« abzuwenden.

Das größte gegenwärtige Problem Venezuelas ist somit nicht die autokratische Regierungsweise Maduros, sondern die Abhängigkeit der Wirtschaft des Landes vom Erdölexport. Der Rohstoffsegen kann zum Rohstofffluch werden. Das hat auch mit dem zu tun, was die »holländische Krankheit« genannt wird. Durch das anschwellende Exportgeschäft von Staaten, die über riesige Rohstoffvorkommen verfügen, fließen vermehrt Devisen ins Land. Deren Umtausch führt zu einer realen Aufwertung der nationalen Währung, was wiederum Importe begünstigte. Damit entfallen Anreize für die Expansion der inländischen Industrie und die Steigerung der Agrarproduktion. Ein zunehmendes Defizit in der Zahlungsbilanz ist die Folge. Ein immer größerer Teil der Einnahmen aus dem Rohstoffsektor muss aufgebracht werden, um sie auszugleichen oder die Auslandsschulden in Grenzen zu halten.

Maduro hat dagegen nichts unternommen. Der wachsende Bedarf an Verbrauchsgütern wurde solange wie möglich durch mit Erdöl bezahlten Importen gedeckt. Aber auch Chávez Bemühungen um eine Diversifizierung der nationalen Wirtschaft - vor allem ging es ihm um die Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion durch Bildung von Agrarkollektiven - wurden offensichtlich nur halbherzig betrieben. Erst 2 von 100 Unternehmen sind heute Genossenschaften.

In Lateinamerika gibt es nicht wenige Länder, deren Wirtschaft von den internationalen Rohstoffpreisen abhängig ist. Man denke nur an die Rollen, die die Gewinnung von Kupfer in Chile, von Eisenerz in Brasilien, von Lithium in Bolivien und von Erdöl und Erdgas in Mexiko spielen. Daher sollten die Vorgänge in Venezuela den dortigen linken Bewegungen eine Lehre sein: Man kann Sozialismus nicht nur als Verteilungsfrage betrachten. Man muss sich auch sehr ernsthaft damit beschäftigen, wie die Produktion anders strukturiert werden kann.

Jörg Roesler