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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 646 / 19.2.2019

Pose. Queere Realness?

Die Erwartungen waren hoch, als »Pose« Anfang 2018 als revolutionäre neue Serie von Autor, Produzent und Regisseur Ryan Murphy (u.a. Nip/Tuck, Glee, American Horror Story) über die legendäre Ballroom-Kultur im New York der 1980er Jahre angekündigt wurde. Anfang 2019 ist die vom US-Pay-TV-Network FX produzierte Serie auch in Europa auf Netflix erschienen.

Neben den spektakulären Drag-Bällen der mehrheitlich Schwarzen und Latinx trans und schwulen Community erzählt Pose von der HIV-Epidemie, Homo- und Transphobie, Sexarbeit, Obdachlosigkeit und Armut. Aber auch von selbstgewählter Familie (den »Houses«, die in den Bällen gegeneinander antreten), Zusammenhalt und dem Streben der Protagonist_innen nach Respekt und Anerkennung. Dem werden die Emporkömmlinge der Reagan-Ära, Yuppie-Manager im Trump Tower, gegenübergestellt. Die zwei Welten treffen aufeinander, als sich der Geschäftsmann Stan in die Sexarbeiterin Angel verliebt.

»Pose« wird unter anderem deswegen als revolutionäre Serie gefeiert, weil - Achtung, Repräsentationspolitik! - sie für eine Fernsehproduktion dieser Größenordnung den Cast mit den bisher meisten trans Schauspielerinnen hat: Die Hauptrollen sind nicht nur in der Serie transgender, sie werden auch von trans Frauen gespielt. Viele weitere Rollen vor und hinter der Kamera sind mit Personen aus der Schwarzen und Latinx LGBTQ-Community besetzt. Eine der Serienautor_innen ist die Schwarze trans Aktivistin Janet Mock.

Vorlage für »Pose« ist unter anderem der Dokumentarfilm »Paris is Burning« (1990), über den unter anderem bell hooks und Judith Butler Fragen von Repräsentation, Aneignung, Gender und Race rauf- und runterdiskutierten. Heute, fast 30 Jahre später, sind Drag und Voguing vollständig in die Mainstream-Popkultur eingegangen, und »Pose« serviert uns dazu Netflix-Realness.

Realness (mit »Echtheit« bestimmte Gender-, Klassen-, Race-Performances zu imitieren und sie damit auch als solche zu entlarven) und Passing (aus eigenem Wunsch oder Notwendigkeit als »echte_r« Frau/Mann oder als weiß, hetero usw. durchzugehen) sind die zentralen Bewertungskriterien der DraBälle, aber es sind auch Überlebensstrategien. Während »Paris is Burning« mit der realen Begrenztheit dieser Strategien endet - Venus Xtravaganza, eine der interviewten trans Frauen, die als Sexarbeiterin arbeitet, wird ermordet aufgefunden - vermeidet Pose bewusst die Darstellung von Gewalt gegen die Sexarbeiterin Angel. »Pose«-Autorin Janet Mock beschreibt das in einem Interview als ihren Einfluss auf die Serie: »Im Internet zu lesen, wie Menschen darauf warten, dass Angel etwas Schlimmes zustößt, zeigt, wie sehr in unserer Gesellschaft Trauma und Gewalt in die Körper von trans Frauen of Color verwurzelt sind. Es gibt einen Teil von mir, der das rückgängig machen will. Wir haben so oft die Bilder in »Law & Order« gesehen, in denen wir Gewalt erfahren und vergewaltigt werden, aber wir haben keine Bilder gesehen, in denen wir uns versammeln und uns gegenseitig feiern, verstehen, ermutigen und bestätigen. Ich dachte, na schön, lasst uns ein Märchen erschaffen. Aber ich habe nicht das Gefühl, dass es unrealistisch ist. Wenn diese Serie ein Misserfolg wäre, müsste ich trotzdem in meine Community zurückkehren und würde zur Verantwortung gezogen werden.« (1) (»We did something revolutionary.« Vulture. 2018) Hat die weiße lesbische cis Filmemacherin Jennie Livingston 1993 noch über die Kritik an ihrer Autorinnenschaft an »Paris is Burning« gesagt: »Wenn die Queens einen Film über sich selbst machen wollen würden, wäre ihnen das gar nicht möglich« (2) (»Paris Has Burned.« New York Times. 1993), zeigt sich an »Pose«, wie viel sich in den letzten 30 Jahren, on- und off-screen, verändert hat: Dass, neben dem Aspekt der Selbstrepräsentation, der Community durch die Serienproduktion Zugang zu Jobs und Geld verschafft wird, ist nicht selbstverständlich.

Die Themen, die »Pose« behandelt, sind radikal, aber die filmische Umsetzung ist so konventionell wie nur irgendwie möglich. Sind die glatte Ästhetik und der teilweise recht erzieherische Duktus der »woke soap« notwendig, um das Anrecht von LGBTQs of Color auf Liebe, Familie, Sicherheit und Anerkennung filmisch zu untermauern und in den Mainstream zu bringen? Und sind sie in Zeiten des rechten Backlash als Mittel gerechtfertigt? Donald Trump wird in der Serie als unsichtbarer Held der Yuppies so oft angerufen, dass man nicht mehr sicher ist, ob die Gegenwart durch die Vergangenheit besser verstanden werden soll oder die Vergangenheit durch die Gegenwart.

Kornelia Kugler

Anmerkung:

1) und 2) Übersetzung der Redaktion.