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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 647 / 19.3.2019

Bevor die Spuren verschwinden

Kultur Die Dokumentarfilmerinnen Pary El-Qalqili und Christiane Schmidt über Brandanschläge auf Geflüchtete und die Reaktionen von Anwohner_innen

Interview: Claudia Krieg

In den Jahren 2015 und 2016 werden deutschlandweit täglich Geflüchtete und ihre Unterkünfte angegriffen. Der Film »Nachbarn« erzählt das Verhältnis von Menschen, die in unmittelbarer Nähe von zwölf dieser Orte wohnen, zu den Verbrechen. ak hat mit Pary El-Qalqili und Christiane Schmidt über ihren Film gesprochen.

Ihr seid langjährige Filmemacherinnen. Was gab den Ausschlag für diesen Dokumentarfilm?

Pary El-Qalqili: Wir waren beide geschockt - wenn auch nicht überrascht angesichts der deutschen Geschichte und ihres strukturellen Rassismus -, als es deutschlandweit erneut flächendeckend und fast täglich Brandanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte gab. Das war Anfang, Mitte 2015.

Emotional und rational war der Gedanke schwer auszuhalten, dass genau die Orte, die den geflüchteten Menschen eigentlich Schutz bieten sollten, Ziel von Brandanschlägen wurden. Und dass gerade die Menschen, die eine oft traumatische Flucht, Krieg, Gewalt und Verluste erlebt hatten, nun in Deutschland erneut Angriffen auf ihr Leben ausgesetzt waren. Wir waren sehr irritiert, wie gesellschaftlich mit den Brandanschlägen umgegangen wurde: Es gab keinen großen öffentlichen Aufschrei und nur sehr wenige zivilgesellschaftliche Aktionen, mit denen sich klar gegen rassistische Gewalt positioniert wurde. Stattdessen beobachteten wir, wie die Anschläge schnell wieder aus den Medien verschwanden.

Wir wollten uns diese Orte genauer anschauen. Wo liegen sie, in was für Nachbarschaften? Warum wurde nur ein Bruchteil der Anschläge aufgeklärt, warum wurden so wenige Täter verurteilt? Wir haben beide bereits Filme gedreht, in denen Menschen, die geflüchtet sind, im Zentrum stehen. Diesmal interessierte uns, wie sich die unmittelbare »deutsche« Nachbarschaft der Tatorte zu den Anschlägen verhält.

Christiane Schmidt: Wir haben uns gefragt, wie die Atmosphäre dort ist. Und: In welcher filmischen Form können wir diese vermitteln? Wir haben uns für 360-Grad-Schwenks entschieden, um die Verbindung zwischen den Nachbarschaften und den jeweiligen angegriffenen Unterkünften zu erzählen, um so den Zuschauern und Zuschauerinnen Zeit zu geben, diesen Raum selbst zu erkunden und zu verstehen.

Der erste Ort, an dem wir gedreht haben, war Blankenfelde. In einem ehemaligen Kinderhort mitten in einem Wohngebiet war im Oktober 2015 ein Feuer gelegt worden. Als wir vor Ort waren, schneite es, und ein paar Jungs aus der Unterkunft machten eine Schneeballschlacht. Kaum jemand aus der Nachbarschaft wusste überhaupt von dem Anschlag. Bis heute wurde niemand dafür verurteilt.

Seid ihr immer direkt mit Menschen in Kontakt getreten?

P.E.: Es war ein Annäherungsprozess. Sobald wir ankamen, erkundeten wir den Ort. Wir wollten seine Topographie verstehen und den richtigen Standpunkt für unsere cinematographische Abzirkelung finden. Bei dieser Suche fühlten wir uns oft als Fremdkörper. Wir kamen von außen, bewegten uns anders als die Leute, die dort lebten und hatten eine Kamera dabei. Es hat uns einige Überwindung gekostet mit den Menschen vor Ort ins Gespräch zu kommen. Ich denke, es lag auch daran, dass uns bewusst war, dass wir ein Tabuthema ansprechen: Wer spricht schon gerne über die eigene Gewalt, die Gewalt der eigenen Nachbarschaft?

C.S.: Meistens waren wir zwei Tage an einem Ort. Wir haben Anwohnende nach dem Zufallsprinzip auf der Straße angesprochen. Auf die Frage, was sie von dem Brandanschlag auf die Flüchtlingsunterkunft mitbekommen haben, gab es häufig die Reaktion: »Darüber will ich nicht reden« oder »Das wollen Sie gar nicht wissen, was ich davon halte.« In Gesprächen ging es den Menschen primär um die Veränderung ihres eigenen Umfeldes: Weniger Platz in den Bussen, die rausgehängte Wäsche stört, die »Gassi-Runde« wurde verbaut, Sorge vor »Vereinnahmung« des Fussballfeldes oder des Spielplatzes. Eine Strategie des Umgangs mit den Brandanschlägen war die Verharmlosung: Vermutlich war es nur »ein Unfall«, »ein technischer Fehler« oder vielleicht einfach ein »Jungen-Streich«. Kaum eine Person fragte sich: Was lösen die Anschläge bei den Menschen aus, die in den Unterkünften leben? Sehr selten war Empathie zu spüren.

Ihr habt eine Person aus den Ermittlungsbehörden sehr prominent eingeführt?

C.S.: Wir haben eine Polizeisprecherin mit folgender Aussage an den Anfang gesetzt: »Ich kann nicht ausschliessen, dass es mal zu Übergriffen kommt. Die gab es auch schon. Aber wenn ich die ins Verhältnis setze zu nicht begangenen Straftaten, also dann kann sich bei uns jeder Asylbewerber eigentlich sicher fühlen«. Jeder und jede kann im Verlauf unseres Films eine eigene Haltung zu dieser Aussage zu Beginn entwickeln.

P.E.: Wir hatten eigentlich vor, auch mit den ermittelnden Polizeibeamten zu sprechen. Es hieß jedoch, dass ermittelnde Beamte sich während eines laufenden Ermittlungsverfahrens nicht äußern dürften. Unsere Ansprechpartner waren immer Pressesprecher oder Pressesprecherinnen, die sich häufig auf das noch laufende Verfahren beriefen und dass es ihnen leider nicht möglich sei, über Details zu sprechen.

Abwehr und kein besonders großes Interesse an Aufklärung?

C.S.: Es wirkte oft so. Immer wieder ging es primär um das Image der jeweiligen Stadt. Wir haben z.B. mit dem Bürgermeister von Salzhemmendorf gesprochen. Er wies von sich, dass es dort eine rechte Szene gibt. 2016 wurden hier drei Neonazis für den Anschlag auf eine bewohnte Unterkunft verurteilt. Aber er sagt: »Der Anschlag kam wie aus dem Nichts.«

P.E.: Aus den Statistiken, aber auch aus unserer eigenen Erfahrung während der Dreharbeiten ist abzulesen, dass es nur bei einer sehr geringen Zahl der Brandanschläge zu einer Aufklärung und zu einer strafrechtlichen Verfolgung der Täter kommt. Warum das so ist, kann mehrere Gründe haben. Wenn die ermittelnden Polizeibeamten die Tat zum Beispiel nicht als »fremdenfeindlich motiviert« einstufen, werden weniger Beamte für die Ermittlung vor Ort eingesetzt. Von der ersten Einstufung hängt auch ab, ob Spezialisten eingesetzt werden. Dann ist die Frage, wie Justiz und Politik mit den Brandanschlägen umgehen. Die Justiz hat einen Ermessensrahmen, kann Zeichen setzen mit dem Strafmaß. Einer unserer Protagonisten war brüskiert von der Entscheidung eines Gerichts in Sachsen, welches die Täter eines Brandanschlags mit einer sehr geringen Strafe hat davonkommen lassen. Und Politiker können selbstverständlich auch in der Art, wie sie über Brandanschläge sprechen oder auch nicht, eindeutige Botschaften senden.

Mir scheint, euer Film stellt nicht direkt, aber aus seiner atmosphärischen Dichte heraus, die Frage, ob die Anschläge aus der rechten Szene oder aus der Nachbarschaft selbst kommen. Beziehungsweise: Wenn es da keine offenkundigen Überschneidungen gibt - wie ist das rechte Gewaltpotential in das direkte Umfeld der Unterkünfte »eingesickert«?

C.S.: Wir trafen in unseren Gesprächen auf viele vorurteilsbeladene Personen. Eine Anwohnerin behauptete etwa, Geflüchtete bekämen Urlaubsgeld, um nach Syrien in den Urlaub zu fahren. Sie hatte aber weder Interesse zum Tag der offenen Tür in die Unterkunft gegenüber zu gehen, noch am gegenseitigen Kennenlernen. Wir fragten uns: Woher kommt soviel Missgunst, woher kommen diese Bilder im Kopf? Wie schnell kann aus dieser Atmosphäre ein Übergriff hervorgehen?

P.E.: Wir bewegten uns auf einem schmalen Grad. Was die Menschen über die Flüchtlingsunterkünfte und ihre damit verbundenen Ängste, Abneigungen und Projektionen erzählten, entsprach oft rassistischen Mustern. Wir interessierten uns aber für die Art und Weise der Erzählungen, also nicht dafür, was die Menschen sagten, sondern wie. Im Zusammenspiel mit der Bildebene entsteht dann etwas, das die verschiedenen Schichten von Landschaft, rassistischem Denken und Sprache aufblättert. Beim Betrachten der Bilder im Zusammenwirken mit dem Ton wird etwas porös in der Wahrnehmung.

Es wirkt so harmlos anfangs - Bilder von unterschiedlichen Nachbarschaften, dann sickert so langsam auf der Tonebene die Gewalt durch, die an diesen Orten verübt wurde. Erst allmählich sieht man die ersten Spuren von Brandanschlägen. Uns hat interessiert, was unsichtbar bleibt und was sichtbar wird.

Zum Beispiel die Art von Informationen, die rechte Netzwerke verbreiten?

C.S.: Ja. Der Großteil der Informationen, so haben die meisten angegeben, stammt von Facebook.

Seid ihr während des Drehs angegriffen worden?

C.S.: Nein. Es gab Menschen, die sagten, wir sollen mit unserer Arbeit nicht das Image ihres Ortes »beschmutzen«. In der Stadt Ascheberg haben wir keine Drehgenehmigung bekommen mit der Begründung, die Motivation der Tat sei noch ungeklärt, deshalb möchte die Stadt nicht in dem Kontext eines fremdenfeindlich motivierten Brandanschlags gezeigt werden.

Und die Reaktionen auf den fertigen Film?

C.S.: Auf der Duisburger Filmwoche waren die Reaktionen unterschiedlich. Manche forderten, man solle besser utopische Filme machen, als rechtem Gedankengut eine weitere Plattform zu bieten. Andere fanden unsere Form der Zustandsbeschreibung unserer Gesellschaft sehr wichtig.

Die Zitate, die wir ausgewählt haben, versuchen wir auf der Bildebene zu dekonstruieren. Ein Beispiel vielleicht: Während eine Anwohnerin erzählt, sie habe Angst, wenn geflüchtete junge Männer am Sportplatz untergebracht werden und dort junge Mädchen in »kurzen Hosen« Sport machen, zeigen wir dazu die gerade trainierenden Rugby-Spieler in voller Montur.

Bisher haben wir den Film noch nicht an den Orten gezeigt, an denen wir gedreht haben. Das planen wir noch. Der Film ist für alle. Neben Filmfestivals können wir uns vorstellen, an Schulen zu gehen, in Nachbarschaftshäuser oder Jugendzentren. Dort könnte der Film eine gute Diskussionsgrundlage sein. Das ist unsere Hoffnung.

Euer Film läuft als Kurzfilm?

C.S.: Ja. Wir hatten einen Langfilm geplant, aber haben bei allen Sender- und Fördermittel-Anfragen Ablehnungen bekommen. Es hieß dann: Zum Thema »Flüchtlinge« habe man schon so viel. Unser Ansatz wurde gar nicht wahrgenommen. Ursprünglich wollten wir an viel mehr Orten drehen und auch mit den Ermittlungsinstanzen, Justiz, lokalen Akteuren und den Stadtverwaltungen sprechen. Wir hatten ein Recherche-Stipendium, haben damit die Dreharbeiten bezahlt und mit einer Crowdfundingkampagne die Fertigstellung finanziert.

P.E.: Zwischendurch dachten wir auch, wir müssen ein fortlaufendes filmisches Archiv von den Orten der Übergriffe erstellen, damit das Wissen darum nicht verloren geht. In Bad Bevensen etwa wurde der als Unterkunft geplante Supermarkt komplett abgerissen. Die Ermittlungen wurden hier eingestellt. Oder in Nauen, da steht jetzt eine neue Turnhalle. Es gibt keine Hinweise mehr auf den Anschlag. Keine Spuren.

Ihr zeigt keine Gesichter - weil niemand gefilmt werden wollte?

P.E.: Die Entscheidung, dass wir im Film nur die Tatorte der Brandanschläge sehen, aber nicht die Gesichter der Menschen, die sprechen, fiel bereits am Anfang. Rassismus ist ein strukturelles gesellschaftliches Problem. Würde man im Film Gesichter sehen, könnte man die jeweilige rassistische Aussage sehr bequem nur dem oder derjenigen »in die Schuhe« schieben, der sie macht. So einfach ist es aber nicht. Die Frage ist doch eher, ob man sich, wenn man nur die Stimme hört, mehr auf den Inhalt des Gesprochenen einlässt und überlegt, ob das auch etwas mit einem selbst zu tun hat. Gesichter laden dazu ein, alles auf den jeweiligen Menschen zu übertragen. Sobald wir jedoch nur zuhören und die »Tatorte« der Brandanschläge sehen, geschieht etwas mit mir als Zuschauerin: Ich bin in einem anderen Wahrnehmungsprozess.

»Nachbarn« läuft im Rahmen der Hamburger Dokumentarfilmwoche am 5. April 2019.