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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 647 / 19.3.2019

Mit der Regierung zur sozialistischen Stadt?

Rebellische Städte Warum der »neue Munizipalismus« nicht weiterhilft

Von Philipp Esch, Lisa Lorenz, Stefan Romvari und Julia Wendheim

Als 2015 Ada Colau, eine Aktivistin aus der Bewegung gegen Zwangsräumungen, mit ihrer Wahlplattform Barcelona en Comú die Kommunalwahl gewann und Bürgermeisterin wurde, ging bei manchen Linken hierzulande das Träumen los: Könnte die Bewegung auch hier einzelne Städte übernDazuehmen und auf lokaler Ebene progressive Stadtpolitik machen?

Tatsächlich ist die Lage in vielen deutschen Städten nicht besonders rosig: Die Gentrifizierung schreitet voran, arme, geringverdienende und anderweitig benachteiligte Mieter_innen sind immer öfter komplett vom Wohnungsmarkt ausgeschlossen. Dagegen machen lokale Initiativen mobil, allerdings sind die Erfolge meist temporär (wie das Aussetzen einer Zwangsräumung) und kleinteilig (Mieterhöhungen oder Verdrängung von Kleingewerbe werden in Einzelfällen verhindert). Liegt es da nicht nahe, sich nach »starken Partner_innen« umzuschauen, um der kapitalistischen Verwertung der Städte durch die Kraft von Amt und Verordnung etwas entgegenzusetzen? Gerade dann, wenn wie in Berlin eine rot-rot-grüne Regierung gewählt wurde?

Für Teile der stadtpolitischen Linken lautet eine Antwort auf das Gefühl der Marginalität: »neuer Munizipalismus«. Der Begriff beschreibt den Versuch, den »gesellschaftlichen Aufbruch in die Institutionen zu tragen« (1) und »Inhalte, Strukturen und Personen sozialer Bewegungen auf lokale Institutionen und lokale Regierungen zu übertragen«. (2) Kommen munizipalistische Akteur_innen an die Macht, wandelt sich entsprechend dieser Vorstellung das Verhältnis von Bewegung zu Regierung von einem antagonistischen zu einem kooperativen.

Richtiges Regieren im falschen System?

Nachdem in Berlin 2015 mit dem Mietenvolksentscheid bereits Teile der stadtpolitischen Bewegung begannen, gesetzliche Formen der politischen Mitbestimmung auszuprobieren, geht die Idee des neuen Munizipalismus noch einen Schritt weiter: Progressive Kräfte sollen Regierungsfunktionen übernehmen. Oder, wie die bewegungsnahe Stadtforschungszeitschrift sub\urban schreibt: »von den Debatten des Munizipalismus lernen« und »Mut« haben, für etwas zu sein, statt mit »permanenter Dagegen-Attitüde« die Massen zu langweilen. (3)

Einer, von dem man sagen könnte, dass er in diesem Sinne Mut zeigt, ist Florian Schmidt. Der Baustadtrat des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg mit politischen Wurzeln bei Barcelona en Comù begreift sich auch in Berlin als Teil der Bewegung. Er hat seit seinem Amtsantritt 2016 vor allem die Rekommunalisierung in die Bezirkspolitik eingebracht. Mittels des Vorkaufsrechts, das ein Bezirk ausüben kann, wenn er vom bevorstehenden Verkauf eines Hauses erfährt, wurden in seiner Amtszeit bislang 19 Objekte aus dem privaten Immobilienmarkt in die städtischen Wohnungsbaugesellschaften rückgeführt. Diese Rückkäufe können für betroffene Mieter_innen, die bei neuen Eigentümer_innen zu Recht exorbitante Mietsteigerungen und Modernisierung fürchten, die Sicherung ihres Lebensraums bedeuten. Kann der unbarmherzige Mietmarkt also von unbeugsamen Baustadträt_innen bezwungen werden?

Schön wärs. Doch zum einen ist nicht genug Geld da. Seit 2015 haben die Berliner Bezirke 213,6 Millionen Euro für 39 Vorkäufe ausgegeben (Tagesspiegel, 23.2.2019), mit 19 liegt Friedrichshain-Kreuzberg an der Spitze. Das ist viel Geld, das nicht endlos fließen wird. Die Zahl der rückgekauften Objekte wird überschaubar bleiben. Außerdem lagen die Kaufpreise bei Rekommunalisierungen im Schnitt 20 Prozent über dem Marktwert, weil die Bezirke kaum Verhandlungsmacht gegenüber privaten Vermieter_innen haben - dafür sorgen eigentümerfreundliche Gesetze und der stetig steigende Mietspiegel, der hohe Gewinnerwartungen schürt. Die hohen Kaufpreise wirken sich nach dem Vorkauf auch auf die Mieten aus: Die stiegen im Schnitt um 16,6 Prozent. (Berliner Morgenpost, 22.2.2019) So bleibt es eine Frage des Einkommens, ob man es sich leisten kann, rekommunalisiert zu werden.

Dazu kommt, dass Vorkäufe ohnehin nur in begrenztem Umfang getätigt werden können: Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg kann nur acht Fälle gleichzeitig bearbeiten, und so ein Rekommunalisierungsprozess dauert. (taz, 26.11.2018) Das Vorkaufsrecht ist in seiner momentanen Form also kein langfristiges und soziales wohnungspolitisches Instrument - auch wenn »Mister Vorkaufsrecht« Florian Schmidt es gerne anders darstellt.

Durch Kooperation die Bewegung stärken?

Auf munizipalistischem Weg soll es aber nicht nur möglich sein, konkrete Verbesserungen gesetzlich zu verankern. Auch die stadtpolitische Bewegung soll dadurch in Schwung kommen, weil auf legalem Weg gezeigt wird, dass sich Widerstand lohnt. Doch ist die Hoffnung berechtigt? Woher soll der Druck kommen, den auch die Befürworter_innen munizipalistischer Strategien wichtig finden, wenn die stadtpolitische Bewegung nicht mehr gegen ihre Verbündeten aus dem Bezirksamt und der Landespolitik auf die Straße geht? Wenn Aktive Posten in Regierungen bekommen, fehlen sie in der Bewegung. Auch die Gefahr, dass die durch jahrelange Arbeit in Initiativen geschulten Fachkräfte nebenbei städtische Konflikte befrieden, wird nicht offen diskutiert. Die Veränderung der Gewählten durch Anpassungszwänge, die im Politikbetrieb vorherrschen, sind nicht zu unterschätzen. Den Straßenhändler_innen in Barcelona, die immer noch von der Polizei verjagt werden, hilft es wenig, wenn der Spruch über Ada Colaus Ratszimmer sagt: »Lasst uns niemals vergessen, wer wir sind und warum wir hier sind.«

In Berlin regiert seit gut zwei Jahren eine rot-rot-grüne Koalition. Bereits zuvor hat sich eine vielfältige stadtpolitische Bewegung entwickelt. Welche Spielräume haben sich seit dem Amtsantritt eröffnet? Die Bilanz ist dürftig. Ein Ende der Mietpreisexplosion ist nicht in Sicht. Immer mehr Menschen sind wohnungslos. Geflüchtete leben weiterhin in Containern und sollen langfristig in Substandardbauten untergebracht werden. Der Neubau oder Ankauf von Wohnraum wird den profitorientierten städtischen Wohnungsbaugesellschaften überlassen. Ein Aufbruch in Richtung eines sozialen Wohnungsbaus in vergesellschafteter Form ist nicht erkennbar. Der Kiezladen Friedel54 und ein besetztes Wohnhaus einer landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft wurden mit gewohnter Brutalität geräumt. Viele selbstverwaltete Jugend-, Kultur- und Wohnprojekte stehen vor dem Aus.

Bis auf punktuelle Eingriffe ist nicht erkennbar, dass es bei Rot-Rot-Grün den Willen gibt, wirklich etwas anders zu machen und dafür mit Kapitalinteressen und der politischen Rechten in den Konflikt zu gehen. Und das, obwohl die Koalition in der Mietenpolitik die Mehrheit der Stadtbevölkerung hinter sich hätte - selbst bei Enteignungen.

Diese Stagnation herrscht vor, obwohl einzelne Aktive und Initiativen Zugang zum rot-rot-grünen Machtzirkel erhalten haben. Die Kungelei mit einzelnen Initiativen ermöglicht es Grünen-, Linkspartei- und SPD-Politiker_innen, von der eigenen Verantwortung abzulenken und wahlweise auf die Landes-SPD oder die Regierung im Bund zu zeigen, an der ein stadtpolitischer Paradigmenwechsel angeblich scheitere.

Wir schlagen daher ein antagonistisches Verhältnis vor: Politiker_innen sollten wir mit unserer eigenen Agenda dazu bringen, progressive Politik zu machen - weil sie es müssen, nicht, weil sie aus unseren eigenen Reihen kommen. Je stärker unsere Verankerung in der gesamten Bevölkerung, desto realistischer wird die Idee, durch Druck von unten Verbesserungen zu erstreiten.

Wahlkampfhelfer_innen oder politische Subjekte

Munizipalistische Ansätze machen sich teils die Argumente der spanischen Wahlplattformen zu eigen. Der Ausgangspunkt in Spanien war eine Repräsentationskrise, die erkennbar wurde, als Tausende anfingen, erst auf Plätzen, dann in sozialen Zentren über ihre prekäre Lage, Zwangsräumungen und Perspektivlosigkeit zu reden und sich aktiv dagegen zu organisieren. Sie begannen, Subjekte in den Konflikten zu werden, die ihnen im Alltag aufgedrängt wurden. Ausgehend von diesen Erfahrungen entstanden die neuen munizipalistischen Strategien. Die Voraussetzungen in der BRD sind andere, aktuell haben wir hier keine vergleichbare Bewegung.

Munizipalistische Vorschläge, am parlamentarischen Betrieb und an Regierungen teilzunehmen, bergen die Gefahr, eine kontinuierliche Organisierung durch kurzfristige (Wahl-)Kampagnenpolitik zu verdrängen. Eine Politik der kollektiven Selbstermächtigung wird ersetzt durch Wahlkampftaktik, in der es darum geht, dass möglichst viele zur nächsten Demo, zum Volksentscheid oder eben zur Wahl gehen. So bauen wir keine dauerhaften solidarischen Strukturen auf. Unsere alltäglichen Konflikte sollten die Ausgangspunkte unseres politischen Kampfes sein - nicht, um »glaubwürdig« zu sein, sondern damit unsere Lebensbedingungen besser werden.

Zudem verbirgt sich hinter der »neuen« Munizipalismus-Debatte ein ziemlich alter Hut: Munizipalismus ist nichts anderes als sozialdemokratische bis linksliberale Politik, diesmal auf kommunaler Ebene und ergänzt um neue Beteiligungsformen für zivilgesellschaftliche Akteur_innen. Aus der alltäglichen Ohnmacht kommen wir nicht heraus, wenn wir auf Wahlbündnisse und Posten in der Lokalpolitik setzen, den Marsch durch die Institutionen antreten oder wie es neuerdings gern heißt: »die Institutionen stürmen«. Parlamentarismus ist keine Abkürzung, sondern die falsche Abzweigung.

Philipp Esch, Lisa Lorenz, Stefan Romvari und Julia Wendheim sind stadtpolitisch in Berlin-Neukölln und Kreuzberg aktiv und wünschen sich eine weitere Diskussion. Kontakt über ak.

Anmerkungen

1) So Raul Zelik in Heft 2/2016 von Luxemburg. Gesellschaftsanalyse und linke Praxis. Der Text ist auch online: www.zeitschrift-luxemburg.de/rebellische-staedte-erfolg-oder-frust.

2) Lisa Vollmer in sub\urban. zeitschrift für kritische stadtforschung im November 2017: www.zeitschrift-suburban.de/sys/index.php/suburban/article/view/305.

3) Siehe Anmerkung 2.