Rechter Terror als Sexspielzeug
Kultur Der Spielfilm »Wintermärchen« will einen politischen Beitrag zur Erklärung der NSU-Morde leisten - scheitert aber gnadenlos
Von Maria Breczinski und Juliane Lang
Ab Mitte März dämmert der Spielfilm »Wintermärchen« von Jan Bonny (Buch und Regie) und Jan Eichberg (Buch) von deutschen Programmkino-Leinwänden herunter. Die Filmemacher haben sich wahrlich bemüht gezeigt, mit dem über zwei Stunden langen »Wintermärchen« Provokation, Kunst und politisches Kino miteinander zu verbinden. Manche wussten das zu schätzen. So hat Produzentin Bettina Brokemper den »Filmpreis NRW« für den Besten Spielfilm abgeräumt. Im internationalen Filmwettbewerb von Locarno rauschte »Wintermärchen« lautstark durch polarisierende Kritiken, galt mal als »Tiefpunkt« des Festivals, mal als Filmerlebnis voller erzählerischer Kraft und betäubender Ausdrucksstärke. Wie auch immer die Außenperspektive aus der Kinokritik sein mag: Den eigenen Ansprüchen werden die Filmschaffenden um Regisseur Bonny nicht gerecht.
Die Handlung ist schnell erzählt: Eine Frau und ein Mann verbringen ihre Zeit pleite, betrunken und aggressiv im »Untergrund«, wie sie sagen. Warum und ob sie überhaupt gesucht werden, ist unklar. Einzig Schießübungen auf der Waldlichtung oder Sex im grauen Appartement scheinen noch eine beinahe mechanische Befriedigungskraft für die Beiden zu haben. Alles ändert sich jedoch als der Dritte hinzutritt: Gemeinsam ziehen sie fortan etwa los, um im Raub- und Mordrausch Mitarbeiter eines türkischen Supermarktes zu erschießen und schließlich den parkenden Pkw einer Polizeistreife mit Projektilen zu durchsieben. Alkohol und rassistische Verbalexzesse schließen sich den Morden jeweils an.
In ihrer Dreierkonstellation drehen sie dann auch in nahezu jeder zweiten Szene in ihrer sexuellen Performance auf: Zunächst penetriert der Neue sie, einvernehmlich aber nicht minder massiv und unter demonstrativem Leiden des Dritten. Später feiern die beiden Männer ihre Enthemmung im gewaltaffinen Sexakt als Befreiungsschlag, ohne sie, die ihnen zuvor ihre Schlappschwänzigkeit vorwarf - als Sexpartner sowie als Nazis. Am Ende folgt die Kamera den drei Figuren beim Sex im Trio. Bei all dem sind die rassistischen Morde inszeniert wie ein am Rande gezeigtes Beiwerk im Spiel aus Erniedrigung, Triebabfuhr und der Macht vermeintlich potenter Körper.
Mit seiner Provokation bewegt sich »Wintermärchen« in der Tradition der bisherigen Auseinandersetzungen mit Rechtsterrorismus: Wie oft wird der mediale Blick auf monströse oder verführte Zschäpes oder auf brutale Stiefelnazis in enthemmter Gemeinschaft gelenkt? Wie selten ist das Handeln von Behörden, struktureller Rassismus und die rassistische Grundierung der bundesdeutschen »Sommermärchen«-Gesellschaft der 2000er Jahre im Fokus der Betrachtung? Wann rücken die Perspektiven von Überlebenden rechter und rassistischer Gewalt in den Vordergrund?
Wo der Film etwa auf jeglichen Dialog, der die rassistischen Mordtaten als Teil eines rechten Terrorkonzeptes einordnen würde, verzichtet, bedient er sich eben jener Kommunikationsstruktur und -ästhetik, um die es rechter Gewalt im Kern geht: »Taten statt Worte«. Der rassistische Mord ist Botschaft und Überwältigung »der Anderen«, ist Selbsterhebung weißer Rassist_innen. Hier macht der Film einen schwerwiegenden Fehler, den auch sein künstlerischer Anspruch, dem minimalistischen Umgang mit Sprache Raum geben zu wollen, nicht ausräumen kann.
Auf welche Weise »Wintermärchen« seine Protagonistin zeichnet, ist einer der wenigen positiven Punkte in dieser Konstellation. Ist die weibliche Figur in Bonnys Film doch durch und durch überzeugte Täterin. Aber nicht nur hier hätte es dem Regisseur und Drehbuchautor sicher gut getan, einige Prozesstage länger im Saal des Oberlandesgerichts in München zu verbringen, um zu begreifen: Wo Neonazis morden geht es um eine planvolle Demonstration weißer, rassistischer Hegemonie - nicht darum, mit (rassistischen) Morden für Triebabfuhr oder die Wiederherstellung kaputter Körper- und Rollenkonzepte in einer allzu langweiligen, grauen Welt zu sorgen. Das Trio in »Wintermärchen« will berühmt werden - das ist sein erklärtes Ziel. Nicht zuletzt an dieser Stelle banalisiert »Wintermärchen« rechte und rassistische Gewalt, reduziert sie auf eine fast motivlose, gesellschaftlich nur zaghaft geächtete Ausdrucksform. Aus dieser Perspektive verbietet es sich, rechten Terror als soziopathischen Gemütszustand zu beschreiben, der mit ein bisschen Totschlag zum beruhigenden Höhepunkt kommen kann.
Maria Breczinski und Juliane Lang sind Teil der unabhängigen Recherche- und Dokumentationsstruktur NSU Watch.