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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 648 / 16.4.2019

Aufgeblättert

Geschlecht und Klasse

Bereits 2004 in Argentinien auf Spanisch veröffentlicht, erscheint »Brot und Rosen«, 2013 überarbeitet und ergänzt, erstmals in deutscher Übersetzung. Andrea D'Atri führt durch die Französische Revolution, die Pariser Kommune, die Russische Revolution, die Sowjetunion unter Stalin, die westliche Frauenbewegung ab Ende der 1960er Jahre und umreißt post-strukturalistische und post-feministische Debatten der 1980er Jahre. Einzelne Frauenbiografien bilden den Rahmen tieferer Auseinandersetzungen. Lesende werden spielerisch abgeholt, was die marxistisch-feministischen Analysen zugänglicher macht. In aufeinander bauenden Schritten, vermittelt D'Atri nicht nur eine Art Geschichte von unten, sondern zeigt auch auf, warum Frauenkämpfe nicht immer Klassenkämpfe sind, jedoch Klassenkämpfe niemals das revolutionäre Subjekt »Frau« außer acht lassen dürfen. Leider verschweigt der Untertitel des Buches, dass sich ihre feministische Erzählung auf die westliche Frauenbewegung (inklusive Siedlungskolonien wie Argentinien) beschränkt. Eine Besprechung der für Länder des Globalen Südens wichtigen Erfahrungen der Guerillabewegungen fehlt. So bleibt ein eurozentrischer Beigeschmack. Auch wenn D'Atris Argumente einleuchten, warum Postmodernismus und Postmarxismus keine Perspektive der kollektiven Organisierung bieten, zeigt ihre Auseinandersetzung z.B. mit Judith Butler Interpretationsfehler. Die grundlegenden Argumente im Sinne eines Feminismus, der zu einer Massenbewegung werden kann, überzeugen trotzdem.

Eleonora Roldán Mendívil

Andrea D'Atri: Brot und Rosen. Geschlecht und Klasse im Kapitalismus. Deutsch von Lilly Schön. Argument Verlag, Hamburg 2019. 253 Seiten, 15 EUR.

Anthroposophie

Nicht viel Neues bieten zu können ist nicht die Schuld des Kritikers der Anthroposophie, sondern ihres seit 100 Jahren erstarrten Weltbildes. Es gibt ausreichend Literatur zur Kritik dieser Speerspitze der Esoterik mit ihren bekanntesten Praxisfeldern Waldorfpädagogik, biodynamische Landwirtschaft und anthroposophische Medizin. Trotzdem lohnt sich die Lektüre von André Sebastianis Buch, dessen Eigenheit in ihrem flachen Einstieg liegt. So erklärt er sogar Begriffe wie Empirie und strukturiert seinen Text in kurze Leseabschnitte. Rudolf Steiner, der die Anthroposophie zu Anfang des 20. Jahrhunderts mit hellseherischen Kräften kosmischen Quellen abgerungen haben will, hat ein umfassendes Werk hinterlassen, das - egal, wo man es aufschlägt - Okkultismus und Irrationalismus enthält. Ausführlich zitiert Sebastiani die Originaltexte, etwa: »Menschen, welche beim Tode in Ahrimans Gewalt sind, werden als Egoisten wiedergeboren«; oder in Bezug auf die Waldorfpädagogik: Die Lehrer »haben die göttlichen Pläne mit der Welt zu verwirklichen«, »die Intentionen der Götter auszuführen«. Wo Anthroposoph*innen wirken, beziehen sie sich noch heute auf Steiner, da dieser aufgrund seines Status des obersten Lehrers eines spirituellen Erkenntnisweges als unfehlbar verehrt wird. Wie Steiners Esoterik aufgebaut ist und in der heutigen anthroposophischen Praxis wirkt, zeigt Sebastiani dem Untertitel angemessen und dem Konzept der Reihe Kritikpunkt.e entsprechend: von den Grundlagen her einführend.

Christoph Horst

André Sebastiani: Anthroposophie. Eine kurze Kritik. Reihe Kritikpunkt.e. Alibri Verlag, Aschaffenburg 2019. 176 Seiten, 10 EUR.

Die Zukunft des Sex

Wie wird sich Sexualität, Körperlichkeit und Liebe zukünftig ausgestalten und was waren diesbezüglich historische Vorstellungen? Georg Seeßlen geht dieser Frage nach und betrachtet in seinem, an einigen Stellen recht anspruchsvollen, bebilderten Buch insbesondere die Welt der Popkultur. Er beschreibt die Geschichte von Sexmaschinen und -puppen und deren historische Einbettung in ein bürgerliches Wertesystem. Sexualität ohne Fortpflanzung und das lustvolle Überschreiten der Geschlechterordnung galten lange als Gefahr für die gesellschaftliche Ordnung. Fragen der Körperlichkeit und das Verhältnis zwischen Mensch und Maschine spielen eine wichtige Rolle. Seeßlen zeigt, welche Verbindungen beide eingehen und welche Versprechungen sowie Ängste damit verbunden sind. Dies reicht von Gebärmaschinen, über die Cyborgisierung in Form der Erweiterung des Menschen durch Maschinen bis hin zu Entkörperung und räumlicher Entgrenzung durch Avatare in Onlinewelten. Deutlich wird, dass Maschinen ebenfalls vergeschlechtlicht werden und sich somit nicht in einem geschlechtslosen Vakuum befinden. Auch der menschliche Körper ist nicht nur ein gegebener, sondern eingebettet in widersprüchliche vergeschlechtlichte Anforderungen an das Subjekt. Beispielreich arbeitet Seeßlen gerade dies heraus und zeigt das bis heute widersprüchliche Verhältnis zwischen Kontrolle und Selbstkontrolle, zwischen Natürlichkeit und technischer Verbesserung und mit welchen Praktiken dies gegenwärtig und zukünftig einhergeht

Moritz Strickert

Georg Seeßlen: Liebe und Sex im 21. Jahrhundert - Streifzüge durch die populäre Kultur. Bertz+Fischer Verlag, Berlin 2018. 378 Seiten, 18 EUR.

Linke Militanz

Anne Reiche hat ein Buch geschrieben, das die Biografie einer militanten Linken erzählt, das berührt, gerade weil es so ehrlich ist, weil es Trauer und Niederlagen nicht verschweigt. Reiche beschreibt, wie sie in den späten 1960er Jahren ihr Studium zugunsten des Engagements in der radikalen Linken aufgeben hat. Sie hatte Freund*innen, die zum Blues gehörten, der radikalen Westberliner Linken, die damals Tausende umfasste. Durch die Aussage eines Kronzeugen wurde sie zu einer langen Gefängnisstrafe verurteilt. Dort schloss sie sich dem Gefangenenkollektiv der RAF an. Reiche beschreibt anschaulich Kämpfe und Niederlagen unter Isolationshaftbedingungen. Nach ihrer Freilassung 1982 nach zehn Jahren Knast engagierte sich Reiche in den besetzten Häusern der Hamburger Hafenstraße. Sehr anschaulich beschreibt die Autorin, wie sich um die Häuser eine linksautonome Szene entwickelte, in der sie am radikalen Flügel aktiv war. Sie beschreibt die Euphorie nach einer erfolgreichen linken Kundgebung genauso wie die Niederlagen. Dabei verschweigt Reiche auch nicht die Narben, die ihr die eigenen Genoss*innen beigebracht haben, beispielsweise in der Genossenschaft der Hafenstraßen-Häuser nach deren Legalisierung. Das Buch kann auch als Widmung an den Sänger Rio Reiser gelesen werden, mit dem sie eine langjährige Freundschaft verband. Es ist ein sehr trauriges und sogleich sehr kämpferisches Buch, so wie Rios Songs oft traurig und gerade deshalb extrem kraftvoll waren.

Peter Nowak

Anne Reiche: Auf der Spur. Edition Cimarron, Neu-Ulm 2019. 271 Seiten, 15 EUR.