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Geistiges Eigentum im Kapitalismus
Ende März hat die EU eine Änderung des Urheberrechts beschlossen. Es sollte an das digitale Zeitalter angepasst und innerhalb der Union »harmonisiert« werden. Hunderttausende hatten europaweit im Vorfeld dagegen protestiert, insbesondere der Artikel 13 (jetzt 17) stand im Fokus. Warum? Große Plattformen, zum Beispiel Youtube, müssen von nun an dafür Sorge tragen, dass Nutzer*innen keine urheberrechtlich geschützten Inhalte mehr hochladen können. Dies, so die Befürchtung der Gegner*innen, ginge aber nur mit Uploadfiltern, die erkennen, wenn ein geschützter Film hochgeladen wird, und diesen dann blocken. Das Problem: Zitate, Memes, illustrierende Satire, also genau das, was die kreative Vielfalt der nutzergenerierten Inhalte ausmacht und auch erlaubt wäre, ist dann nicht mehr möglich - so schlau sind Algorithmen auch wieder nicht. Daher wurde von einem »Overblocking« gewarnt. Ein Ende des Internets, wie wir es kennen, sei die Folge, die Meinungsfreiheit in Gefahr, sogar von Zensur war die Rede. Die Befürworter*innen der Reform argumentieren hingegen, endlich würden Urheber*innen für die Früchte ihrer Arbeit gewürdigt, deren Schöpfungen nicht mehr länger unbezahlt hochgeladen würden.
Stille Beobachter*innen rieben sich erstaunt die Augen, mit welch harten Bandagen hier gekämpft wurde, man warf sich gegenseitig Falschinformationen, Manipulation und Unkenntnis des Internets vor. Das erinnerte an eine Debatte um die Jahrtausendwende, als Musiktauschbörsen in die Schlagzeilen gerieten. Damals wurde über Kopierschutztechnologien gestritten, um das Verbot, diese zu umgehen. Es wurde verboten. Mittlerweile ist der Kauf von Musik oder Film im Netz per Stream Normalität.
Die Kämpfe um das Urheberrecht sind kein Novum des Internetzeitalters. Sie begleiten seit jeher die Mühen, geistig-kreative Arbeit nach der Logik kapitalistischer Ökonomien zu organisieren. Ein Aspekt davon ist, dass diese Schöpfung als Ware handelbar sein muss, sie muss gegen Geld getauscht werden können, abgrenzbar, beweglich und transportierbar sein. Außerdem muss sie einer Person zugeordnet werden können. Aber vor allem muss es Möglichkeiten des Ausschlusses geben. Etwas, wozu alle kostenlos Zugang haben, kann keine Ware sein. Bei immateriellen Gütern ist das eine besondere Herausforderung: Wenn ich einen Apfel gekauft und aufgegessen habe, ist er weg oder hat sich transformiert in etwas anderes. Wenn ich ein Lied gekauft und gehört habe, ist es immer noch da. Es verschwindet nicht, ich muss es daher ganz besonders »schützen«. Die adäquate Form, Geistiges handelbar zu machen, ist daher nicht der Verkauf eines Lieds, einer Software oder eines Gedichts, sondern der Verkauf des Rechts, es zu nutzen: Lizenzierung.
Geistig-kreative Schöpfung ist überdies nur konsumierbar, sofern sie auf einem materiellen Träger gebannt ist. Verändern sich die Trägertechnologien, verändert das auch die Art und Weise der Verbreitung und des Konsums. Die Digitalisierung und die Entstehung des Internets waren besonders einschneidend, was die erbitterten seither geführten Kämpfe erklärt: Die Inhalte können nunmehr ohne Qualitätsverlust vervielfältigt werden, mit dem Internet wurde den Nutzer*innen weltweit plötzlich eine riesige Vervielfältigungsmaschine ins Wohnzimmer gestellt. Eigentlich prima. Aber in einer Gesellschaft, die den Zugang zu Gütern nur über den Ausschluss aller anderen zu organisieren weiß, ein großes Dilemma.
Im römischen Altertum oder im Mittelalter kannte man übrigens kein Recht an etwas allein Geistigem. Buch und sein Inhalt wurden nicht getrennt voneinander wahrgenommen, auch das Auftreten einer Person als Schöpfer, das Konzept des Autors, hat sich erst über viele Jahrhunderte hinweg herausgebildet. So war beispielsweise der Schriftkultur vor dem 12. Jahrhundert das Individuum fremd, das als Ich aus sich heraus schöpft. Mönche kopierten, kompilierten und kommentierten Texte, um den Bestand heiliger Schriften zu wahren. Sie taten das im Namen einer höheren, göttlichen Wahrheit. Sie waren Medium, nicht Schöpfer.
Geistiges Eigentum setzte sich erst mit der langsamen Verbreitung und Normalisierung der kapitalistischen Produktionsweise durch, gegen Ende des 18. Jahrhunderts. Der Streit um Uploadfilter ist daher nur Ausdruck einer rechtlichen Neujustierung angesichts neuer Technologien, ein Kampffeld, auf dem alte und neue Akteure jedes Mal aufs Neue miteinander um ihren Anteil am Kuchen ringen. Dies wird solange so bleiben, bis irgendwann jemand auf die Idee kommt, einen Uploadfilter für den Kapitalismus zu programmieren. Dann wird es spannend.
Sabine Nuss