Feindbild Antifa
Aktion Jan, Lotte und Luis von der Antifa Altona Ost über den Konflikt zwischen der Hamburger Schulbehörde, der Ida Ehre Schule und der AfD
Interview: Maike Zimmermann
Hamburg war das erste Bundesland, in dem die AfD mit ihrem Meldeportal »Neutrale Schulen« online ging. Und es ist auch das erste Bundesland, in dem die Schulbehörde die Wünsche der AfD erfüllt: In den Märzferien rückte die Schulaufsicht aus, um Vorwürfen nachzugehen, die Antifa Altona Ost verbreite an der Ida Ehre Schule im Hamburger Stadtteil Hoheluft linksradikale Propaganda. (siehe Kasten) Jan, Lotte und Luis sind zwischen 18 und 20 Jahre alt und in der Antifa Altona Ost aktiv.
Neben FCK-AFD-Aufklebern ist es vor allem die Antifa Altona Ost, die in der Debatte um die Ida Ehre Schule als Beweis für deren »linksextremistische Tendenzen« auftaucht. Warum? Was ist so anstößig an euch?
Luis: Es gibt viele linke Gruppen, die ähnliche Arbeit machen wie wir. Aber weil wir selber jung sind, erreichen wir vor allem junge Menschen. So etwas findet die AfD gefährlich, weil da Menschen aktiv werden, die sie überhaupt nicht erreichen können - denn die AfD hat einen total schlechten Zugang zu jungen Leuten.
Lotte: Außerdem sind wir sehr aktiv in sozialen Medien und haben dadurch gerade bei jüngeren Leuten eine große Reichweite.
Seit wann gibt es euch denn überhaupt?
Luis: Wir haben vor Kurzem unseren ersten Geburtstag gefeiert.
Und was habt ihr mit der Ida Ehre Schule zu tun?
Jan: Ich sag mal so: Ich bin mir ziemlich sicher, dass in fast allen Hamburger Schulen solche beziehungsweise unsere Aufkleber zu finden sind. Das finden wir auch richtig so, und wir freuen uns darüber, wenn an vielen Schulen unsere Sticker hängen.
Lotte: Ja, die Ida Ehre Schule ist da kein Ausnahmefall.
Jan: Gleichzeitig war sie ein geeignetes Angriffsobjekt für die AfD, weil es dort diese Ecke mit massiv vielen Stickern gab. Ich glaube zwar, dass da ein gewisses Maß an Zufall dabei war, aber es ist nun mal eine Schule, die sehr aktiv ist und sich in der Vergangenheit immer wieder antifaschistisch positioniert hat.
Ihr seid eine Antifagruppe - aber worin genau besteht eure politische Arbeit? Was macht ihr so?
Luis: Wir haben viele Schwerpunkte, wir heißen Antifa, aber wir haben uns schon von Anfang an in unterschiedliche AGs aufgeteilt. Wir haben Leute, die Umweltpolitik machen, wir haben eine Antifa-AG, die sich viel mit der AfD und anderen Rechten auseinandersetzt, wir haben eine AG Soziales, den Mietenmove haben wir mit organisiert - das war eine unserer ersten großen Aktionen. Auch wenn sich unsere Politik nicht explizit an junge Leute richtet, besteht ein großer Teil unserer Arbeit darin, Anlaufstelle für Menschen zu sein, die in Politik einsteigen wollen.
Lotte: Ein wichtiger Aspekt unserer Arbeit ist das Thema Feminismus. Darüber hinaus wechseln unsere Schwerpunkte. Aber wir versuchen, ein möglichst breites thematisches Spektrum abzudecken.
Jan: Ich denke, wir sind auch deswegen für junge Leute attraktiv, weil wir eher aktionistisch arbeiten und weniger theoretisch. Das macht für viele den Einstieg leichter.
Könnt ihr ein oder zwei Beispiele nennen?
Jan: Ein Beispiel wäre der Holocaust-Gedenktag, da standen wir mit einem Tisch bei uns im Viertel und haben Kerzen und Blumen verteilt und auch einen kleinen Text. Oder wir haben einmal mit einem Bündnis zusammen eine Aufklärungsaktion zu diesen rechten Demos in Hamburg gemacht, den »Merkel muss Weg«-Demos. Wir haben uns öffentlichkeitswirksam an den Ort des Geschehens gestellt und darüber aufgeklärt, was das überhaupt für Leute sind, die da auf die Straße gehen.
Lotte: Auffällig ist auf jeden Fall, dass wir an relativ vielen Demonstrationen beteiligt sind, in unterschiedlichen thematischen Bereichen.
Zurück zur AfD: Das ist ja eine astreine Diffamierungskampagne. Und das eigentliche Ziel des Angriffs seid ja nicht ihr, sondern die Ida Ehre Schule. Man könnte behaupten, ihr seid das Instrument, mit dem die Ida Ehre Schule als linksextrem diffamiert werden soll. Wie seht ihr das?
Luis: Das hat ja alles schon viel früher begonnen. Es gab eine krasse Diskussion über dieses Petzportal in Hamburg, das die AfD eingerichtet hat. Außerdem nutzt die AfD in Hamburg verstärkt das parlamentarische Mittel der Kleinen Anfrage. Daran lässt sich erkennen, worauf sie abzielen, und da ist die vermeintliche Indoktrinierung an Schulen ziemlich zentral. Es gab auch schon Anfragen zu anderen Schulen wegen irgendwelchen FCK-AFD-T-Shirts. Das andere Feld ist der sogenannte Linksextremismus. In diesem Fall war es natürlich ein gefundenes Fressen für die AfD, weil beides zusammenkam. Ich denke auch, dass es in erster Linie ein Angriff auf die Schule war, auf die Lehrerinnen und Lehrer, auf die Schülerinnen und Schüler. Aber indirekt war es auch ein Angriff auf uns, weil sie eben beides verbunden haben.
Wie geht ihr mit dieser Rolle um, die euch die AfD zuweist?
Luis: Ich denke, dass sich die AfD ein eher schlechtes Beispiel herausgesucht hat. Wir werden zwar vom Verfassungsschutz beobachtet und wurden von ihm als »linksextremistisch« eingestuft, aber auf sehr dünner Grundlage - zumindest wenn man danach geht, was der Verfassungsschutz bisher so geäußert hat. Wer sich ein bisschen mit uns befasst, sieht, dass die meisten Leute unsere Arbeit ziemlich unterstützenswert finden.
Lotte: Diese ganze Geschichte ist ein gutes Beispiel dafür, dass die AfD sofort versucht, einen Zusammenhang zwischen Antifaschismus und linker Gewalt herzustellen, um dadurch antifaschistische Arbeit generell zu stigmatisieren. Die Vorwürfe, die von der AfD der Ida Ehre Schule gemacht wurden, waren komplett unbegründet und zeigen eine völlig falsche Wahrnehmung von antifaschistischer Arbeit in unserer Gesellschaft.
Jan: Alles, was die AfD und der Verfassungsschutz tatsächlich von uns wissen, ist, dass wir Antifa heißen. Aber das genügt den Leuten leider, um uns irgendwie als Linksextremisten und Gewalttäter zu bezeichnen. Das hat auch gereicht, um die Ida Ehre so darzustellen. Das ist sehr krass, und uns wird allen gerade ein bisschen mehr klar, wie stark ein solches Denken verankert ist.
Dieses Vorgehen der AfD - die Verkopplung von vermeintlichem Linksextremismus und Gewalt - verfängt ja leider nur zu oft. Da stellt sich die Frage, ob man gegen diese Strategie argumentieren sollte. »Linksextremismus« ist ja in diesem Zusammenhang ein rechter Kampfbegriff.
Jan: Das macht nicht nur die AfD. Das Problem ist eine Behörde wie der Verfassungsschutz, der einfach mal behaupten kann, dass jemand linksextremistisch oder gewalttätig ist. Das wird dann nicht nur von der AfD, sondern auch von den Mainstream-Medien komplett so übernommen.
Wie versucht ihr, dem entgegenzuwirken?
Luis: Wenn Leute sehen oder hören, was wir machen, finden die das oft erstmal gut. Und dann hören sie irgendwo: Das sind die Antifas Altona Ost, und dann sind sie verunsichert oder reagieren negativ. Wir versuchen dem durch unsere Arbeit entgegenzuwirken.
Lotte: Dabei nützen uns die sozialen Medien, weil wir dadurch eine sehr große Reichweite haben und die Menschen erkennen, was antifaschistische Arbeit eigentlich bedeutet und dass das eben nicht dieser negativ konnotierte Begriff ist, sondern dass es wirklich um inhaltliche Sachen geht.
Wie sind denn seitdem die Reaktionen auf euch und eure Arbeit?
Lotte: Von anderen politischen Gruppen haben wir viel Solidarität erfahren, das war wirklich schön. Es gab auch ansonsten viele positive Reaktionen. Es gab natürlich auch relativ viele Menschen, die von diesem Bericht des Verfassungsschutzes abgeschreckt waren. Wir selbst haben gemerkt, dass wir wirklich reell überwacht werden - auch darauf gab es negative Reaktionen.
Luis: Die Angelegenheit hat sehr viele Schülerinnen und Schüler aktiviert. An mehreren Schulen in Hamburg haben sich Schülerinnen und Schüler zusammengetan und eine Soli-Aktion gestartet. Das ist natürlich total genial. Das haben sie von sich aus auf die Beine gestellt, weil sie gemerkt haben, dass das hier ein Angriff auf uns alle ist. Dass sie anfangen, sich zu solidarisieren und sich zu organisieren - das ist so ziemlich die positivste Folge von dem Ganzen. Das war mein Highlight in den letzten zwei Wochen.
Im besten Fall hat also die AfD dafür gesorgt, dass sich mehr Menschen antifaschistisch organisieren.
Jan: Im besten Fall schon. Allerdings ist es schwer einzuschätzen, wie sich das in der rechten Wählerschaft oder unter rechten Leuten ausgewirkt hat.
Sind denn im Laufe dieser Geschichte vermehrt Leute auf euch zugekommen?
Luis: Ja, viele Medienvertreterinnen und -vertreter wollten mit uns sprechen. Allerdings hat sich das Presse-Echo durchaus verändert: Nachdem zunächst alle großen Boulevardzeitungen eins zu eins die Position der AfD übernommen haben, haben später viele Zeitungen reflektierter berichtet. Abgesehen davon wollten verschiedene Parteien mit uns darüber reden, was passiert ist.
Jan: Es gibt schon Menschen in meinem persönlichen Umfeld, die vorher nicht unbedingt wussten, was ich so in meiner Freizeit mache. Die Leute lesen Zeitung, und deswegen erreicht das auch nochmal ganz andere Kreise als wir mit unserer Arbeit über Social Media.
Was steht denn bei euch jetzt an?
Jan: Ja, was steht jetzt an? Es geht auf jeden Fall weiter, und langsam kehrt wieder Normalität ein. Als nächste große Sache kommt zum Beispiel der Mietenmove 2019.
Luis: Und am 1. Mai trifft man uns!
Jan: Es können sowieso alle verfolgen, was wir machen: auf Facebook, Twitter, Instagram - Antifa Altona Ost, da kann man sich gerne anschauen, was »die Antifa« so macht.
Kulturkampf von rechts
Seit Monaten stellt die AfD-Fraktion in der Hamburger Bürgerschaft eine Kleine Anfrage nach der nächsten. Die Feinde in diesem Kulturkampf von rechts: Schulen, Theater, Vereine und Initiativen. Die AfD stellte unter anderem Anfragen zu Anti-AfD-Demonstrationen, zur Erklärung der Vielen, zum Bundesprogramm »Demokratie leben!« - und zu angeblichen Verstößen gegen das Neutralitätsgebot an Hamburger Schulen: der Geschwister-Scholl-Stadtteilschule, der Stadtteilschule Helmuth Hübener und eben der Ida Ehre Schule. In letztere schickte die Schulbehörde im März tatsächlich die Schulaufsicht und ließ linke Aufkleber entfernen, unter anderem solche, die zu dem Schulprojekt »Kunst als kulturelle Kompetenz« gehörten. Das Hamburger Abendblatt verhalf der Debatte durch eine anfängliche Übernahme von AfD-Positionen zu einer gewissen Dynamik. Am 25. März gingen 3.000 Menschen unter dem Motto »Antifaschismus ist kein Verbrechen« auf die Straße. Einen Tag später kam raus: Die Schulbehörde hatte für einen Projekttag am Helene-Lange-Gymnasium ausgerechnet den Initiator des AfD-Portals und Alten Herrn der extrem rechten Burschenschaft Danubia, Alexander Wolf, als »Extremismus-Experten« vermittelt.