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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 648 / 16.4.2019

Enteignet wird tagtäglich

Diskussion Einen Aufschrei gibt es nur, wenn es das große Kapital betrifft

Von Fabian Westhoven

Als die Initiative »Deutsche Wohnen & Co enteignen« Anfang April mit der Sammlung der Unterschriften für ihr Volksbegehren startete, sagte der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck, »notfalls« müssten Enteignungen erfolgen. Darauf hin nahm die Enteignungsdebatte volle Fahrt auf. Frank Schäffler (FDP) hatte schon zuvor getwittert: »Privateigentum muss privat bleiben«. Sein Vorsitzender Christian Lindner sprach von DDR-Ideen. Die harschen Reaktionen erweckten den Eindruck, als ob im Artikel 1 des Grundgesetzes nicht die Unantastbarkeit der Würde des Menschen, sondern des Eigentums festgeschrieben ist. Dabei sieht das Grundgesetz die Überführung von Grund und Boden, Naturschätzen und Produktionsmitteln ausdrücklich vor. Das geschieht in Deutschland nicht oft. Doch enteignet wird sehr wohl - in Deutschland wie global. Nur betreffen diese Expropriationen nicht die großen Kapitaleigner, sondern kleine Selbstständige, Bäuerinnen und Bauern sowie Indigene im Globalen Süden. Auch der Einstieg von institutionellen Anlegern in den Wohnungsmarkt kann als Teil einer globalen Enteignungsökonomie beschrieben werden.

Ohnehin ist die Geschichte des Kapitalismus auch als Historie der Enteignungen zu schreiben. Entstehen konnte diese Produktionsweise, weil die unmittelbaren Produzenten von ihren Arbeitsmitteln, von ihrem Grund und Boden, vertrieben wurden. Marx beschrieb das als ursprüngliche Akkumulation des Kapitals. Des Weiteren führen die Zentralisations- und Konzentrationsprozesse des Kapitals dazu, dass je ein Kapitalist viele totschlägt. Kapitalisten enteignen andere Kapitalisten. Auch der bürgerliche Staat expropriiert Kapitalisten. In der Finanzkrise von 2008 konnte das zuletzt eindrucksvoll beobachtet werden.

Enteignungen sind also nicht gleich Enteignungen. Die Frage ist, wer wird enteignet und wem nützt das? Und um welche Form des Eigentums handelt es sich, die expropriiert werden soll? Zu unterscheiden ist einerseits zwischen Eigentum an Wohnungen oder Produktionsmitteln und andererseits an Handtüchern, Hosen oder Handys. Das wird meist gleichgesetzt - mit gravierenden Folgen. Die Gleichsetzung von verschiedenen Formen des Privateigentums führt zur angstvollen Ablehnung jeder Kritik am Eigentum. Auf dieser Klaviatur spielen die bürgerlichen Politiker*innen. Politische Bewegungen, die die Vergesellschaftung eines besonderen Eigentums - beispielsweise von Immobilienunternehmen - anstreben, haben es somit schwer. Ihnen wird der Vorwurf gemacht, das Eigentum an sich in Frage zu stellen.

Die Enteignungsdebatte bietet die Chance, das und einiges mehr klar zu stellen. Zum Beispiel, dass das lateinische Wort privare rauben heißt. »Geraubtes Eigentum muss geraubt bleiben«, bedeutet die Aussage des FDP-Politikers Schäffler demnach. Das ist der Kern der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft. Gut, dass darüber gesprochen wird.