Milde Urteile für Kriegsverbrechen
Deutschland Mit dem Rechtsstaat gegen die Rüstungsindustrie? Vom Sinn und Unsinn juristischer Verfahren wegen illegaler Waffenlieferungen
Von Sergio Bummelbaum und Kiano Möckel
Die Kleinwaffenproduzenten Heckler & Koch und SIG Sauer mussten sich in den vergangenen Monaten vor deutschen Gerichten verantworten. Angeklagt waren sie wegen Verstößen gegen das deutsche Außenwirtschafts- und das Kriegswaffenkontrollgesetz. Heckler & Koch hatte zwischen 2006 und 2009 etwa 4.500 Sturmgewehre, Munition und Zubehör in einige mexikanische Bundesstaaten geliefert, die das Auswärtige Amt aufgrund von Menschenrechtsverstößen nicht beliefert sehen wollte. Von SIG Sauer landeten zwischen 2009 und 2012 über den Umweg USA mehr als 38.000 Pistolen in Kolumbien. In beiden Fällen war den jeweiligen Mitarbeiter*innen bzw. Managern bewusst, dass gegen die sogenannte Endverbleibserklärung verstoßen würde. In dieser Erklärung versichert der Empfänger, die Waffen ohne eine Genehmigung der Bundesregierung nicht weiterzugeben.
Die Strafprozesse endeten mit Geldstrafen in Millionenhöhe für die Konzerne; die angeklagten ehemaligen Manager und Sachbearbeiter*innen wurden teils freigesprochen, teils zu Bewährungsstrafen verurteilt. Von Heckler & Koch mit Sitz in Oberndorf am Neckar wurden vom Gericht 3,7 Millionen Euro eingezogen. Von der Firmengruppe SIG Sauer sollen insgesamt mehr als 11 Millionen Euro eingezogen werden. Der Standort Eckernförde ist davon mit 7,4 Millionen Euro betroffen.
In der Bewertung der Urteile gehen die Meinungen weit auseinander. Kathrin Vogler, friedenspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, begrüßt das Urteil gegen Heckler & Koch, weil es zum ersten Mal gelungen sei, »ein deutsches Unternehmen für Verstöße gegen die Rüstungsexportrichtlinien zur Rechenschaft zu ziehen«. Dagegen kritisiert das internationale Kinderhilfswerk Terre des Hommes das Urteil im SIG-Sauer-Verfahren als »angesichts der Schwere der Tat kaum verständlich«.
Rheinmetall-Waffen gegen Jemens Zivilbevölkerung
Terre des Hommes verweist damit indirekt auf ein grundlegendes Problem dieser Prozesse: Gegenstand waren verwaltungstechnische Fragen. Im Verfahren gegen Heckler & Koch wurde beispielsweise verhandelt, ob die Endverbleibserklärung verbindlicher Bestandteil einer Exportgenehmigung ist. Um den eigentlichen und für alle offensichtlichen Straftatbestand - Beihilfe zum vielfachen Mord - ging es dabei nicht. Sehr wohl aber ist bekannt, dass 2014 bei der Erschießung und Verschleppung von Student*innen im mexikanischen Bundesstaat Guerrero G36-Gewehre von Heckler & Koch eingesetzt wurden.
Mit Sicherheit haben auch der Vorstand und die Justiziare von Rheinmetall diese Gerichtsverfahren genau beobachtet. Armin Papperger, Vorsitzender des Rheinmetall-Vorstands und des Bereichsvorstands Defence, weiß genau, dass auch er und sein Unternehmen einmal angeklagt werden können.
Das von Saudi-Arabien initiierte Militärbündnis führt - auch mit Waffen und Munition von Rheinmetall - Krieg im Jemen, der gezielt auch gegen die jemenitische Zivilbevölkerung geführt wird. Nach dem Völkerstrafrecht ist er ein »Verbrechen gegen die Menschlichkeit«. Im Oktober 2016 fanden sich nach einem Angriff auf eine sechsköpfige Familie im Dorf Deir Al-Hajari im Westen des Jemen am Tatort Waffenteile, die aus der Fabrik von RWM Italia in Sardinien stammen - einem Tochterunternehmen des deutschen Rüstungskonzerns. Das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) hat aufgrund dieses Falls mit Partnerorganisationen aus dem Jemen und Italien bei der Staatsanwaltschaft in Rom eine Strafanzeige eingereicht. Die italienische Justiz soll die Verantwortung der Geschäftsführer von RWM Italia und der zuständigen italienischen Waffenexportbehörde klären.
Die Anzeige liegt derzeit bei der italienischen Staatsanwaltschaft. Ob ein Verfahren eröffnet wird, ist derzeit noch offen. Wenn Anklage erhoben wird, wäre das eine Chance, auch in Deutschland den Konzern zur Rechenschaft zu ziehen. Die Unternehmensleitung um Papperger trägt Verantwortung für ihre Tochterunternehmen im Ausland, hat dort das Sagen und kennt die Auswirkungen der Rheinmetall-Exporte. Dass die Konzernzentrale an wichtigen Entscheidungen mitwirkt, müsste jedoch - beispielsweise durch einen Whistleblower - nachgewiesen werden.
Was bringen juristische Verfahren?
Klagen gegen Exportbehörden und Rüstungsunternehmen haben durchaus Konjunktur. Auch die breite Bewegung auf Sardinien gegen Militarisierung und für Konversion, die sich mit Aktionen des massenhaften Ungehorsams gegen Militärübungen und die Bombenproduktion auf der Insel wehrt, schlägt einen juristischen Weg ein, um den geplanten Ausbau der Rheinmetall-Fabrik zu verhindern. In Südafrika, wo die Tochterfirma Rheinmetall Denel Munition und der südafrikanische Denel-Konzern eine Bombenfabrik betreiben, ist eine Klage gegen die Genehmigungsbehörde der südafrikanischen Regierung in Planung. Geprüft werden soll, ob sie gegen südafrikanische Exportgesetze verstoßen hat.
Obwohl die beiden Strafverfahren in Deutschland eher verwaltungstechnischen Charakter besaßen und damit Waffenhandel nicht kriminalisiert wurde, haben sie trotzdem positive Effekte und eröffnen Handlungsoptionen für linke Bewegungen. Zum einen halten sie das Thema Waffenexporte im öffentlichen Diskurs und schaffen Detailwissen über Transportwege und interne Abläufe, zum Beispiel wie die Waffenhändler agieren und international zusammenarbeiten. Und letztendlich ziehen solche Prozesse die Rüstungskonzerne an die Öffentlichkeit. Ihre schmutzigen Machenschaften werden allseits publik. Das mögen die Chefs dieser Unternehmen ganz und gar nicht.
Gleichzeitig schränken solche Prozesse die Handlungsspielräume der Industrie etwas ein. Wenn die Führungsebene bei den Genehmigungsverfahren genau darauf achten muss, was sie tut, weil es bei Verstößen eine glaubhafte Strafandrohung gibt, dann wird sie vorsichtiger. Das heißt im Zweifelsfall, dass es ein paar Exportgeschäfte und Profite weniger geben wird.
Hinzu kommt, dass die Geldstrafen die Hersteller substanziell treffen. Heckler & Koch schreibt ohnehin seit zwei Jahren Verluste: 2017 waren es 13,4 Millionen, 2018 dann 8,1 Millionen Euro Defizit. Und eine Geldstrafe von 3,7 Millionen Euro ist bei etwa 200 Millionen Euro Umsatz ein großer Batzen. Die durch die illegalen Geschäfte erwirtschafteten Gewinne bleiben nicht beim Konzern. Insofern wirken die Gerichtsverfahren abschreckend und disziplinierend. Der juristische Weg ist also eine Möglichkeit, um Rüstungskonzerne mit dem bürgerlichen Recht anzugreifen. Gerade in friedensbewegungsarmen Zeiten ist er ein Baustein im Kampf gegen die Waffenindustrie und Rüstungsexporte.
Dem Sachverhalt, dass Rheinmetall an Kriegsverbrechen mitwirkt, sollten wir Rechnung tragen und die Vorstände des Rüstungskonzerns konsequent als das benennen, was sie sind: Kriegsverbrecher. Der kritische und strategische Dialog mit den Initiativen und NGOs, die diese Klagen anstrengen, ist auch für eine Bewegungslinke sinnvoll - und notwendig beim Aufbau einer neuen Antikriegsbewegung.
Am 28. Mai wird Armin Papperger in Berlin sein. Er muss dort auf der Rheinmetall-Aktionärsversammlung den Geschäftsbericht des Rüstungskonzerns vorstellen. Voraussichtlich wird er das Hotel in seiner Limousine durch die Tiefgarage betreten und verlassen. Vielleicht ist das die nächste Gelegenheit, ihn für sein Geschäft mit dem Tod zu konfrontieren.
Sergio Bummelbaum und Kiano Möckel sind in der Interventionistischen Linken (IL) organisiert.
Demo zur Rheinmetall-Hauptversammlung: Dienstag, 28. Mai 2019, 9 Uhr (pünktlich!), Start: Saudische Botschaft, Tiergartenstr. 33, Berlin.