Faschisten provozieren, Italiens Regierung wiegelt ab
International Gegen die Lega und ihre ultrarechten Partner wächst aber auch der Widerstand
Von Jens Renner
Verherrlichung des Faschismus steht in Italien unter Strafe - zum Alltag gehört sie dennoch. Über den rechten Aufmarsch auf dem Friedhof von Predappio, wo Benito Mussolini begraben liegt, berichteten am 28. April, dem 74. Todestag des Duce, auch die Regionalnachrichten der öffentlich rechtlichen RAI. Zwei Minuten lang zeigte der TV-Sender Faschist*innen mit Tränen in den Augen und mit zum »römischen Gruß« erhobenen Armen - und ließ einige auch ohne Kommentar oder kritische Nachfragen zu Wort kommen. Die durch die kostenlose Werbesendung ausgelöste landesweite Empörung fand Predappios sozialdemokratischer Bürgermeister unangemessen: Durch den Filmbericht sei nur »sichtbar geworden, was hier jedes Jahr passiert«.
Hörbar wurde darüber hinaus, wo Berührungspunkte bestehen zwischen dem faschistischen Ideal der Schwarzhemden und dem autoritären Staatsverständnis der regierenden Koalition und ihres starken Mannes, des Lega-Anführers Matteo Salvini. Es gebe zwei Arten von Demokratie, dozierte einer der interviewten Trauergäste: »eine anarchische, die Auflösung bringt, und eine organische, die Ordnung und Disziplin schafft. Wir wollen letztere, die Mussolini Faschismus nannte.«
Ordnung und Disziplin in einem Italien, das allein »den Italienern« gehört, will auch Salvini. Von Faschismus spricht er allerdings nicht. Vielmehr legt er Wert darauf, sich von allen politischen »Extremen« abzugrenzen. So auch im Vorfeld des diesjährigen Nationalfeiertages am 25. April. Den Jahrestag der Befreiung Italiens vom Faschismus 1945 (Liberazione) erklärte er zum »Derby« zwischen Linken und Rechten, an dem er sich nicht beteilige. Wer demonstrieren wolle, solle das tun - egal ob mit rotem, grünem oder schwarzem Halstuch. Mit dieser demonstrativen »Äquidistanz« nach rechts und links provozierte Salvini heftige Kritik. Die Partisanenvereinigung ANPI erinnerte daran, dass die italienische Verfassung von 1948 in bewusster Abgrenzung vom Faschismus entstanden ist.
Signale an die extreme Rechte
Auch Luigi Di Maio von den Fünf Sternen (MoVimento Cinque Stelle/M5S), Vizepremier wie Salvini, rückte demonstrativ von seinem Koalitionspartner ab: Am 25. April besuchte er die Kundgebung der Jüdischen Gemeinde in Rom. Im Vorfeld der Wahlen zum Europäischen Parlament (EP) hält er es offenbar für angezeigt, positive Signale nach links zu senden. Dabei ist die geschichtspolitische Position der Fünf Sterne alles andere als eindeutig. Parteigründer Beppe Grillo hatte schon 2013 den Tag der Befreiung für tot erklärt. Zwei Jahre später schwadronierte sein Kompagnon Gianroberto Casaleggio von »roten und schwarzen Faschismen«; die Kategorien Faschismus und Antifaschismus seien überwunden, die historischen Akteure dürften nicht »dämonisiert« werden, weil »auf beiden Seiten Fehler gemacht, aber auch Entscheidungen in gutem Glauben« getroffen worden seien. Das ist der seit Jahrzehnten zu vernehmende geschichtsrevisionistische Sermon von nationaler Versöhnung und vom Ende des Antifaschismus.
Derweil wird der organisierte Faschismus von offizieller Seite mindestens geduldet, wenn nicht sogar gefördert. Seit 2003 hält die militante Gruppierung Casa Pound Italia (CPI) mitten in Rom ein Haus besetzt, das als ihre nationale Zentrale dient. Forderungen an den Staat, das Zentrum endlich zu räumen, werden seit Jahren ignoriert. Wo Salvini als zuständiger Innenminister das Treiben der Faschist*innen nicht übersehen kann, reagiert er mit Verharmlosung. Fans von Lazio Rom bezeichnete er als »Idioten«, die »Radau« machen würden - 50 »Unbeugsame« (»irriducibili«) hatten vor einem Auswärtsspiel in Mailand auf einem Banner »Ehre für Mussolini« gefordert. Abgehalten wurde die faschistische Kundgebung unweit des Piazzale Loreto, wo Partisanen Mussolinis Leichnam am 28. April 1945 mit dem Kopf nach unten aufgehängt hatten.
Salvini bald Regierungschef?
Trotz seiner Abgrenzung von den »Radau« machenden »Idioten« ist die ideologische Nähe Salvinis und der Lega zum Neofaschismus nicht zu übersehen. Gemeinsamer Bezugspunkt ist ein aggressiver Nationalismus, den Salvini ganz offen zelebriert. Bei einer Wahlkampfveranstaltung in Sizilien sagte er: »Ich bin Rassist, weil ich sage, nach Italien kommt nur, wer das Recht dazu hat. Italiener zuerst, Sizilianer zuerst!« Kürzlich erschien von ihm ein Interviewband in dem Kleinverlag Altaforte. Dessen Eigentümer ist Francesco Polacchi, bekennender Faschist, regionaler Koordinator von Casa Pound in der Lombardei und Herausgeber ihres Magazins Primato Nazionale. Nach Protesten wurde der Verlag Altaforte am 8. Mai von der Turiner Buchmesse ausgeschlossen. Polacchi hatte dort vor allem mit dem Buch seines prominentesten Geschäftsfreundes werben wollen.
Salvinis Signale nach rechtsaußen zielen auch auf die Gewinnung solcher Wähler*innen, die ideologisch neofaschistischen Kleinparteien wie Casa Pound oder Forza Nuova nahestehen, wegen der Sperrklauseln (vier Prozent bei den europäischen, drei bei den nationalen Wahlen) aber über eine »taktische« Stimmabgabe nachdenken. Neben der Lega kommen dafür auch die rechten Fratelli d'Italia (FdI) infrage. Diese wiederum könnten über kurz oder lang Koalitionspartner der Lega werden.
Derzeit wird wieder breit darüber spekuliert, ob die andauernden Konflikte innerhalb der gelbgrünen Regierung noch in diesem Jahr zu vorgezogenen Neuwahlen führen. In einer Art Hochrechnung auf Basis aktueller Umfrageergebnisse hat die linke Tageszeitung Il Manifesto für diesen Fall ein Worst-Case-Szenario erstellt. Danach könnten - wegen der mit dem geltenden Wahlrecht (»Rosatellum«) verbundenen Begünstigung größerer Listen - der Lega 37 Prozent der Stimmen genügen, um eine Rechtsregierung mit Salvini als Premier zu installieren. Dazu braucht er die Fratelli d'Italia, die derzeit bei 4,5 Prozent liegen. Hinzukommen könnte eine weitere Gruppierung, falls sich Silvio Berlusconis Partei Forza Italia spalten sollte: Dort stehen sich zwei Strömungen feindlich gegenüber, vereinfacht gesagt Anhänger*innen und Gegner*innen Salvinis.
Noch ist das Spekulation. Vieles wird vom Ergebnis der EP-Wahlen abhängen. Falls die Fünf Sterne, die bei den Parlamentswahlen im März 2018 noch auf 32 Prozent kamen, deutliche Verluste erleiden, könnte Salvini einen Bruch der Koalition provozieren. Die linke Opposition - im weitesten Sinne - ist darauf in keiner Weise vorbereitet. Der Partito Democratico (PD) hat seit März einen neuen Sekretär: Nicola Zingaretti, geboren 1965, der sich in der Friedensbewegung und in antirassistischen Initiativen der 1980er Jahre politisierte, dann im Jugendverband des Partito Comunista Italiano (PCI) schnell Karriere machte. Offen ist, ob die Wahl Zingarettis auch den von vielen erhofften Linkschwenk einleitet.
Von einer Rücknahme der unter seinem Parteifreund Matteo Renzi durchgesetzten neoliberalen Arbeitsmarktreformen will Zingaretti nichts wissen. Was ihn von seinem Vorgänger unterscheidet, ist vor allem der Politikstil. Während Renzi potenzielle Bündnispartner*innen oft arrogant vor den Kopf stieß, setzt Zingaretti auf Dialog, insbesondere mit den Gewerkschaften. Seine vagen Slogans von sozialer Gerechtigkeit erinnern allerdings stark an die Kampagne des SPD-Genossen Martin Schulz. Wie die endete, ist bekannt.
Links vom PD bleibt die seit vielen Jahren beschworene Erneuerung von unten aus. Zu den EP-Wahlen gelang immerhin die Aufstellung einer Bündnisliste, die sich La Sinistra (Die Linke) nennt und als Teil der Vereinten Europäischen Linken/Nordischen Grünen Linken (GUE/NGL) antritt. Beteiligt sind die Parteien Sinistra Italiana und Rifondazione Comunista, die aber eher im Hintergrund agieren. Vier der Spitzenkandidat*innen in den fünf großen, mehrere Regionen umfassenden Wahlkreisen sind Frauen, darunter die Aktivistinnen Eleonora Cirant (Nonunadimeno) und Marilena Grassadonia (Vereinigung der Regenbogenfamilien). Eleonora Forenza, 2014 für die Liste L'Altra Europa con Tsipras ins EP gewählt, tritt ebenfalls wieder an. Ziel der Kandidatur ist es, »ein starkes feministisches, ökologisches und antirassistisches Zeichen« zu setzen, wie es in einem Aufruf heißt. Die »Elf Punkte, um Europa und unser Leben zu ändern« enthalten Forderungen wie gleiche Rechte auch für Migrant*innen, ein demokratisches Europa des Friedens, Steuergerechtigkeit und Green New Deal; abgelehnt werden neoliberale Austeritätspolitik, TTIP und CETA; als Mittel gegen prekäre Beschäftigung sollen ein europaweiter Mindestlohn und die 32-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich dienen.
Antifaschistische Gegenmobilisierungen
Mehr als ein »Zeichen« wird sich mit diesem Reformprogramm nicht setzen lassen, zumal ein Wahlerfolg keineswegs garantiert ist. Bei der EP-Wahl gilt in Italien eine Vier-Prozent-Hürde, die vor fünf Jahren von der Liste L'Altra Europa con Tsipras noch knapp übersprungen werden konnte. Umfragen Ende April sahen La Sinistra allerdings bei lediglich 3,4 Prozent. Aber selbst bei einem Erfolg ist es fraglich, ob die gemeinsame Liste zum Ausgangspunkt einer neuen linken Organisierung werden kann. Denn offensichtlich halten sich die meisten linken Aktivist*innen von solchen Projekten fern und konzentrieren sich auf lokale Basisaktivitäten oder auch auf spektakuläre Massenmobilisierungen.
Damit waren sie in den vergangenen Wochen sehr erfolgreich. So demonstrierten am 2. März in Mailand mehr als 200.000 Menschen gegen staatlichen Rassismus - doppelt so viele wie im Jahr zuvor. Am letzten Märzwochenende folgten in Verona massenhafte Proteste gegen den reaktionären World Congress of Families, den Salvini persönlich unterstützte. Auch am 25. April beteiligten sich in diesem Jahr deutlich mehr Menschen an den traditionellen antifaschistischen Demonstrationen als in den Vorjahren. Offensichtlich ist der Faschismus nicht nur ein erinnerungspolitisches, sondern ein zunehmend aktuelles Thema, weil eine konkrete Bedrohung.
Dabei stellt sich immer wieder die Frage, wie sich solche Mobilisierungserfolge verstetigen lassen - oder auch ganz banal, wie sie überhaupt breit bekannt werden. So berichteten die meisten großen Medien anlässlich der Auseinandersetzungen in Verona vorrangig über den rechten Kongress der Abtreibungsgegner*innen und Antifeminist*innen - und nur am Rande über die allein schon zahlenmäßig sehr viel bedeutsamere Gegenmobilisierung. Angesichts dieser schwierigen Großwetterlage wäre auch ein Wahlerfolg von La Sinistra ein Zeichen, das ein bisschen Mut machen könnte.
Den wird die zersplitterte italienische Linke noch brauchen. Schon im laufenden Europawahlkampf wurden Antifaschist*innen, die gegen Salvinis Auftritte demonstrierten, von seinen Anhänger*innen attackiert und von der Polizei zusammengeschlagen oder eingekesselt. Anfang der 1920er Jahre war das Zusammenwirken staatlicher und außerstaatlicher Akteure im gewaltsamen Kampf gegen die Linke eine wesentliche Voraussetzung für den Machtantritt des Faschismus.