Kann ein Green New Deal den Klimawandel aufhalten?
Wirtschaft & Soziales Warum die Pläne des linken, ökologischen Flügels der US-Demokraten schlechte Chancen haben
Von Tomasz Konicz
Die Kongressabgeordnete der Demokratischen Partei, Alexandria Ocasio-Cortez, der neue Shootingstar der US-Linken, hat bereits ihre Erfahrungen mit den informellen Machtstrukturen in Washington machen dürfen. Ihr bisher größter politischer Fehler sei die verfrühte Veröffentlichung der Klimaschutzinitiative für einen »Green New Deal« gewesen, bekannte die demokratische Sozialistin Mitte April. Der Anfang Februar veröffentliche Reformvorschlag habe es den Gegner*innen einer ökologischen Wende ermöglicht, »das Narrativ zu bestimmen«. Halbwahrheiten und Verzerrungen dominierten nun den öffentlichen Diskurs über die Öko-Wende-Pläne, deren Realisierung in weite Ferne rückt.
Dabei schien der Green New Deal, der schon seit Jahrzehnten in der reformorientierten ökologischen Bewegung - auch bei den Grünen - diskutiert wird, endlich in den USA anzukommen. Auch deshalb, weil er verspricht, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen, die ökologische wie die ökonomische Krise zu lösen.
Letztlich bildet die sozialdemokratische Hoffnung auf eine neue Etappe des Kapitalismus den Kern des Green New Deal: Es ist ein umfassendes Transformationsprogramm, das »ökologischen« und »regenerativen« Industriezweigen zum Durchbruch verhelfen und sie zu wirtschaftlichen Leitsektoren machen soll. Hierdurch soll die Krise der kapitalistischen Arbeitsgesellschaft überwunden werden, die seit der Erschöpfung des fordistischen Nachkriegsbooms im Zuge der dritten industriellen Revolution der Mikroelektronik weite Teile der kapitalistischen Welt samt den USA erfasst hat.
Binnen einer Dekade will Ocasio-Cortez den Treibhausgasausstoß radikal senken, indem regenerative Energieerzeugung, eine energetische Infrastruktur und ein entsprechender Umbau der Wirtschaft in einer »zehnjährigen massiven Mobilisierung« in Angriff genommen werden, wie es bei der Vorstellung des Green New Deal hieß. Ziel sei »Vollbeschäftigung«. Das Programm ist angelehnt an den New Deal des US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt, der die USA nach Ausbruch der Weltwirtschaftskrise in den 1930er Jahren mit »massiven Investitionen in Infrastruktur und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen verändert« habe, wie es bei Ocasio-Cortez und ihren Mitstreiter*innen heißt. Die damaligen Investitionsprojekte - etwa in die Verkehrsinfrastruktur - legten das Fundament für den fordistischen Nachkriegsboom, mit der Autoindustrie als Motor. Ähnliches will nun Ocasio-Cortez erreichen.
Wieso scheitert der Green New Deal?
Wieso aber scheint der Green New Deal zu scheitern? Gerade der historische Vergleich mit dem New Deal Roosevelts macht den fundamentalen Unterschied deutlich: Inzwischen ist das allgemeine Produktivitätsniveau des kapitalistischen Weltsystems zu hoch. Die Wechselwirkung zwischen innerer und äußerer Schranke des Kapitals, zwischen seiner ökonomischen Krise und der dadurch befeuerten ökologischen Krise, lässt die sozialdemokratischen Reformträume an der bitteren Krisenrealität zerschellen. Der Kapitalismus ist zu produktiv für eine Energiewende, obwohl sie technisch und organisatorisch ohne weiteres machbar wäre. Es ist schlicht ein schlechtes Geschäft.
Zur Erinnerung: Der durch den New Deal und den Zweiten Weltkrieg angestoßene Siegeszug des Automobils brachte eine umfassende Umgestaltung des gesamten Kapitalismus mit sich. Eine Folge war ein ungeheurer konjunktureller Aufschwung, der erst in den 1970er Jahren erlahmte. PKW und andere neuartige Produkte, die arbeitsintensive Produktionsmethoden erforderten, eröffneten dem Kapital neue Märkte. Und sie führten in vielen Industriestaaten zu Vollbeschäftigung und Arbeitskräfteknappheit. Den Staatsapparaten flossen hierdurch die Steuermittel zu, mit denen die gesellschaftliche Infrastruktur (Verkehr, Sozial- und Bildungswesen etc.) immer weiter ausgebaut wurde - ein Aufbau, der nicht im Rahmen von Marktprozessen bewerkstelligt werden kann. Mit der fordistischen »Automobilmachung« des Kapitalismus ging ein umfassender Umbau der kapitalistischen Infrastruktur einher: vom Zupflastern ganzer Landstriche mit Autobahnen und dem Aufbau eines Händler-, Werkstatt- und Tankstellennetzes bis zum Bau ausgedehnter Parkplatzwüsten in unseren Städten.
Das allgemein hohe Produktivitätsniveau und der sinkende Anteil der Lohnarbeit im Produktionsprozess haben aber Folgen für heutige staatliche Großiinitiativen, die Ocasio-Cortez und andere Green-New-Deal-Befürworter*innen offenbar nicht mitbedenken. Die staatlichen Aufwendungen zur Errichtung der anvisierten energetischen Infrastruktur - die im Rahmen marktvermittelter Kapitalakkumulation nicht realisierbar sind - würden niemals durch die Steuereinnahmen aus den Industriezweigen der »regenerativen Energien« finanziert werden können. Es lohnt sich einfach nicht, Staatsmilliarden in eine Branche zu investieren, in der nicht die notwendigen Beschäftigungseffekte erzielt würden.
Es ist illusorisch zu glauben, dass bei der Produktion in der »ökologischen« Industrie im 21. Jahrhundert solch hohe Beschäftigungseffekte erzielt werden könnten, wie sie im Zuge der Automobilmachung des Kapitalismus in den 1950er oder 1960er Jahren erreicht wurden. Solarzellen und Windkrafträder werden nicht so produziert wie Autos vor 40 Jahren im Rahmen des Taylor-Systems, als Tausende Arbeiter*innen im Schweiße ihres Angesichts an endlosen Montagebändern in genau festgelegten Zeitintervallen stupide Handgriffe tätigten, um nach Hunderten Arbeitsschritten - die je ein*e Arbeiter*in ausführte - ein Fahrzeug herzustellen. Bei der heute erreichten Automatisierung der Produktion gelten auch für die Herstellung alternativer Energieträger ähnliche Probleme der »Überproduktivität«, die die deutsche Autoindustrie und der Maschinenbau nur durch vermehrte Exportoffensiven auf Kosten anderer Volkswirtschaften kompensieren können.
Selbstverständlich behindern etablierte, »fossile« Industriezweige durch ihre politischen Lobbys den Sektor der regenerativen Energien. Nur: Spannungen zwischen neu entstehenden und etablierten, aber im Abstieg begriffenen Industriezweigen sind so alt wie die kapitalistische Industrialisierung. Folglich müsste sich die Produktion erneuerbarer Energien trotz aller Widerstände und Verzögerungen wegen der Verwertungsmöglichkeiten durchsetzen, die sie eröffnet.
Ökowende, Wachstumszwang und Standortkonkurrenz
Eine ökologische Wende hätte sich allein wegen der krisenbedingt zunehmenden Konkurrenz zwischen Konzernen und Nationalstaaten längst durchgesetzt, wenn sie einen Konkurrenzvorteil böte, der den nationalen »Standorten« neue wachstumsstarke Industrien erschließen würde. Aufgrund des sehr ungünstigen Verhältnisses zwischen den gigantischen Kosten einer Energiewende und der mageren reellen Verwertung von Arbeitskraft in der »Ökobranche« ist aber die Energiewende eher ein Klotz am Bein der Nationalstaaten im globalen Konkurrenzkampf. Deutschland hat es ja bereits im Rahmen seiner Energiewende versucht - mit bekanntem Ausgang. Inzwischen ist die Bundesrepublik einer der größten Klimasünder Europas.
Ein kapitalistischer Green New Deal scheitert somit an den eskalierenden inneren Widersprüchen des hyperproduktiven Kapitalismus, also an der Frage seiner Finanzierung angesichts magerer Beschäftigungseffekte. Die meisten der hierzu notwendigen, technisch längst machbaren Transformationsschritte können nicht mehr als neue Felder der Kapitalverwertung erschlossen werden; es sind Aufwendungen, die eigentlich als infrastrukturelle »Nebenkosten« (faux frais) durch Prozesse erfolgreicher Kapitalverwertung finanziert werden müssten.
Zu diesen Hürden des Green New Deal kommen noch die grundlegenden Widersprüche der kapitalistischen Produktionsweise, die in einem Wachstumszwang gefangen ist. Spätestens mit dem Ausbruch der Finanzkrise dürfte klar geworden sein, dass die Kapitalakkumulation an die Warenproduktion gekoppelt ist und nicht allein über die Finanzmärkte dauerhaft aufrechterhalten werden kann.
Das Kapital ist aufgrund der Notwendigkeit permanenter Verwertung das logische Gegenteil einer ressourcenschonenden Wirtschaftsweise, die notwendig wäre, um ein Überleben der menschlichen Gesellschaften zu sichern. Um immer wieder aus Geld mehr Geld zu machen, müssen Arbeit, Rohstoffe und Energie in permanent wachsendem Ausmaß verheizt, müssen alle Waren möglichst schnell obsolet, müssen im kulturindustriellen Dauerbombardement immer neue Bedürfnisse kreiert werden. Ökologie und kapitalistische Ökonomie vertragen sich tatsächlich nicht.
Auch in ökologischer Hinsicht bildet die größte Schranke des Kapitals also das Kapital selber. Der Ressourcenbedarf des globalen kapitalistischen Verwertungsmotors wird weiter steigen, bis er an seine »äußere Schranke« stößt, die in der Endlichkeit der Ressourcen unseres Planeten besteht. Die zusehends schwindenden Ressourcen bilden das immer enger werdende Nadelöhr, durch das sich der Prozess der Kapitalverwertung hindurchzwängen muss.
Entscheidend befeuert wird dieser Prozess durch das immer höhere Produktivitätsniveau der kapitalistischen Weltwirtschaft. Es scheint auf den ersten Blick absurd, aber gerade die ungeheuren Produktivitätssteigerungen tragen zur Eskalation der ökologischen Krise maßgeblich bei. Da die Lohnarbeit die Substanz des Kapitals bildet, nötigen die permanenten Steigerungen der Produktivität den Kapitalismus dazu, die »effiziente« Verschwendung von Ressourcen und Rohstoffen ins Extrem zu treiben.
Je höher aber die Steigerung der Produktivität, desto weniger abstrakte Arbeit ist in einer gegebenen Menge Ware verdinglicht. Wenn ein Fahrzeughersteller die Produktivität bei der Einführung eines neuen Fahrzeugmodells um zehn Prozent erhöht - was durchaus üblich ist -, dann muss er auch zehn Prozent mehr Autos umsetzen, um bei gleichem Produktpreis die gleiche Wertmasse zu verwerten. Oder jede*n zehnte*n Arbeiter*in entlassen. Um den Verwertungsprozess des Kapitals aufrechtzuerhalten, müssen daher bei steigender Produktivität entsprechend mehr Waren produziert und abgesetzt werden. Deswegen gilt: Je größer die Produktivität der globalen Industriemaschinerie, desto stärker auch ihr Ressourcenhunger. Ein Versuch, in der kapitalistischen Weltwirtschaft eine ressourcenschonende Produktionsweise einzuführen, ist unmöglich - er käme einer Kapitalvernichtung gleich.
Neue Rechte im Spätkapitalismus
Dieser Verwertungsprozess des Kapitals - der in ökologischer Hinsicht einem Weltverbrennungsprozess gleicht - bildet auf gesellschaftlicher Ebene eine irrationale, fetischistische Eigendynamik aus. Niemand kontrolliert die blind prozessierende Kapitaldynamik. Somit dient alle kapitalistische Rationalität einem irrationalen, letztlich autodestruktiven Selbstzweck. Das schlägt sich insbesondere in Krisenzeiten auch in der Sphäre der Politik nieder, die ihre Scheinrationalität fallen lässt, unter der die Fratze der Neuen Rechten sichtbar wird. Die Weigerung von Figuren wie Trump oder Parteien wie der AfD, den Klimawandel überhaupt zur Kenntnis zur nehmen, ist ideologischer Ausfluss der Selbstzerstörungstendenzen des Kapitals.
Andererseits können die Staaten selbst in den Zentren des Weltsystems immer weniger ihrer Funktion als ideelle Gesamtkapitalisten nachkommen, da sie in den vergangenen Dekaden im Rahmen endloser Privatisierungs- und Sparorgien ihrer sozioökonomischen Machtmittel größtenteils beraubt wurden. Der Staat wird zunehmend die Beute von Cliquen oder Rackets (Trump, die Koch-Brüder oder entsprechende Gruppen im Militär- oder Gesundheitssektor), die den maroden Staatsapparat zur Durchsetzung ihrer Partikularinteressen nutzen. Eine strategische Perspektive politischer Funktionseliten in Staatsapparat, die den Erhalt des gesamten kapitalistischen Systems im Blick hätte, scheint in der Ära Trump kaum noch wirksam zu sein.
Schlechte Aussichten für den Green New Deal und ähnliche progressive sozialdemokratische Projekte. Dennoch scheint es für die antikapitalistische Linke sinnvoll, Initiativen wie den Green New Deal zu unterstützen, solange zugleich offensiv auf ihre Defizite, auf die binnenkapitalistische Unmöglichkeit ihrer Realisierung hingewiesen wird. Immerhin würden damit die Grundlagen einer ökologisch nachhaltigen Infrastruktur geschaffen, die vom Postkapitalismus beerbt werden könnte.
Tomasz Konicz schrieb in ak 640 über den Zusammenhang von ökologischer Zerstörung und dem Aufstieg der faschistischen Rechten.