Wie rechtsradikal ist die Polizei?
Deutschland Jedesmal, wenn rassistische Aktivitäten von Polizist*innen bekannt werden, ist die Öffentlichkeit aufs Neue überrascht - warum eigentlich?
Von Jan Ole Arps, Hannah Schultes und Bahar Sheikh
»Alle Berliner Polizisten wählen AfD«, tönte Ende 2017 der Ex-ZDF-Moderator und evangelikale Eiferer Peter Hahne in der ARD-Talkshow Maischberger. Das ist zwar Wunschdenken eines Fanatikers, aber rechte Einstellungen sind in der Polizei weit verbreitet. Obwohl sich hierüber alle einig sind, die sich wissenschaftlich mit der Polizei befassen, gibt es bislang keine Erhebungen, die etwa das Wahlverhalten von Polizist*innen untersuchen - ebenso wenig wird gezählt, wie viele rechte Straftaten von Polizist*innen begangen werden. Wenn Beamte rassistische Straftaten begehen oder Kontakte zu Neonazis pflegen, ist die Überraschung jedes Mal aufs Neue groß.
In der AfD sind Polizeibeamt*innen oder ehemalige Polizist*innen überrepräsentiert. Björn Höcke träumt nicht ganz grundlos von einer »Volksopposition« aus AfD, rechter Bewegung auf der Straße und einer »Front aus frustrierten Teilen des Sicherheitsapparats«, die er zur Meuterei gegen die Vorgesetzten aufruft. In Thüringen, wo Höcke Spitzenkandidat der AfD für die Landtagswahl im Herbst ist, sind fünf von 38 AfD-Kandidat*innen bei der Polizei.
Die Polizei soll die Verhältnisse nicht hinterfragen, sondern bewahren, soll Recht und Ordnung durchsetzen, Autorität ausstrahlen und ausüben. Racial Profiling, rassistische Ermittlungen, ein getrübter Blick für rechte Tatmotive und ein soldatisches Männerbild werden im Polizeialltag ständig reproduziert. Dank eines ausgeprägten Korpsgeistes haben Polizist*innen auch bei schweren Vergehen selten Konsequenzen zu befürchten. Fachleute wie Rafael Behr, Professor an der Akademie der Polizei in Hamburg, unterstreichen, dass Polizist*innen sich in ihrem Dienst oft weiter nach rechts orientieren. Das hat mit ihrer Arbeit und ihren Arbeitsroutinen zu tun, aber auch damit, dass sie im Kollegenkreis von anderen Rechten umgeben sind: Die Polizei ist eine Einstiegsszene in rechte Milieus und ein Verstärker rassistischer Weltbilder. Wie tief Rassismus in der Polizeiarbeit verankert ist, wird in der Öffentlichkeit nur sporadisch problematisiert, etwa nachdem die eklatanten rassistischen Ermittlungen zur NSU-Mordserie bekannt wurden. Oder, nach massivem politischen Druck von Freund*innen und Angehörigen, im Zusammenhang mit dem Tod von Oury Jalloh in einer Polizeizelle in Dessau. Dabei vergeht kaum ein Monat, in dem nicht Polizeibeamte wegen rechter Umtriebe in die Schlagzeilen geraten. Eine Auswahl.
Hessen: rechtes Netzwerk bei der Polizei?
Hohe Wellen schlugen zuletzt die Berichte über ein mutmaßliches rechtes Netzwerk bei der Polizei Frankfurt. Fünf mittlerweile suspendierte Polizist*innen des Frankfurter Polizeireviers 1 sowie ein Polizist aus Marburg tauschten in der Chatgruppe »Itiot« wochenlang rechte Inhalte aus, bis sie Ende 2018 aufflogen. Von einem Dienstcomputer der Polizei waren - vermutlich von Miriam D., einer Beamtin aus der Chatgruppe - die gesperrten Meldedaten der Anwältin Seda Basay-Yildiz abgerufen worden. Nur zwei Stunden später erhielt Basay-Yildiz ein Fax mit Morddrohungen gegen sie selbst und ihre zweijährige Tochter. Basay-Yildiz vertrat mehrere Opfer des NSU. Die Verfasser*innen des Drohschreibens kannten den Namen ihrer Tochter und drohten, sie zu »schlachten«. Sie unterschrieben das Fax mit »Gruß, NSU 2.0«. Ob das Schreiben von den rechten Polizist*innen selbst verschickt wurde, ist nicht geklärt. Anfang Mai starb einer der Beamten bei einem Autounfall; ein Suizid wird nicht ausgeschlossen. Basay-Yildiz hat inzwischen den vierten Drohbrief erhalten.
Auf einer Kirmes im hessischen Kirtorf fielen im November 2018 zwei Polizisten mit Äußerungen mit Reichsbürgerbezug auf. Die beiden sind Brüder, die in Ost- bzw. Westhessen arbeiten und szenetypische Tattoos tragen. Bei einer Hausdurchsuchung entdeckten Ermittler*innen Waffen und NS-Devotionalien bei dem älteren der beiden Polizisten. Der Beamte wurde aus dem Dienst entlassen, die Staatsanwaltschaft Frankfurt ermittelt wegen Volksverhetzung, der Verwendung verfassungswidriger Kennzeichen und eines Verstoßes gegen das Waffengesetz. Die Ermittlungen führten zu drei weiteren Polizisten. Einer, der unter Rechtsextremismusverdacht steht, ist Zugezogener in Kirtorf und arbeitet bei der Frankfurter Polizei. Er gehört zu den Beamten, die Teil der rechtsextremen Chatgruppe waren.
Insgesamt gegen 17 hessische Polizeibeamt*innen wird nun wegen Rechtsextremismusverdachts ermittelt. Ursprünglich waren es 38 gewesen. Sechs wurden inzwischen aus dem Polizeidienst entlassen, 14 Verfahren, in denen sich der Verdacht nicht erhärtet habe, eingestellt.
Bayern: Rechte im USK und ein Tod in Polizeigewahrsam
Auch in Bayern sorgten jüngst Polizist*innen mit extrem rechtem Gedankengut für Schlagzeilen. Antisemitische Videos in einem Gruppenchat, Hitlergrüße und der ungeklärte Tod eines jungen Somaliers standen im Mittelpunkt.
Mitte März wurde bekannt, dass im Zuge einer Ermittlung wegen eines Sexualdelikts gegen einen Polizisten des Unterstützungskommandos (USK) ein Chat aufgeflogen ist, in dem antisemitische Videos geteilt wurden. Dem Chat gehören mehr als 40 aktive und ehemalige Beamte der Spezialeinheit an. Auf dem Smartphone eines Beamten wurden zudem Bilder von Hakenkreuzen gefunden. Die Ermittlungen brachten auch ans Licht, dass es bei Schulungen zu Gewalt gegen Kollegen gekommen ist. Das Polizeipräsidium München teilte mit: Vier USK-Beamte sowie ein Polizist seien bereits im Februar suspendiert worden. Zudem seien acht Männer aus dem USK entfernt worden. Es ist nicht das erste Mal, dass Angehörige der 1988 gegründeten Spezialeinheit auffallen. Vor 13 Jahren machte das USK wegen schikanöser Aufnahmerituale und Quälereien sowie aufgrund von Übergriffen etwa bei Fußballspielen Schlagzeilen.
An den Tod von Oury Jalloh erinnert ein Fall, der sich im Februar in Schweinfurt ereignete. In der Nacht des 26. Februars wurde der 22-jährige Rooble Warsame, der in einem Ankerzentrum lebte, von Polizisten mit auf eine Wache genommen. Anlass für das Erscheinen der Beamten war ein Streit unter Alkoholeinfluss. Auf der Wache sperrten die Polizisten den Asylbewerber aus Somalia in eine Zelle, zwei Stunden später war Warsame tot. Laut Polizei soll er Suizid begangen haben. Angereiste Verwandte, die die Ausnüchterungszelle besichtigen konnten, sagen jedoch, dass es unmöglich sei, dort Suizid zu begehen. »Es gab kein Material in dem Zimmer ... keinen Haken, keine Seile, keine Öffnung, an dem man etwas hätte befestigen können.« Als Warsames Leichnam nach islamischem Brauch gewaschen werden sollte, entdeckte die Familie zudem, dass der Körper frische Wunden, Schrammen am Hals, eine Verletzung am Knie sowie Hämatome am Hals und an den Beinen aufwies. Die Angehörigen setzen sich nun dafür ein zu klären, was in der Schweinfurter Polizeizelle in jener Nacht geschah.
Auch außerhalb des Dienstes fallen Polizist*innen mit rechten Straftaten auf, so Ende August 2018 in Rosenheim. Zwei Bundespolizisten sowie ein Mitglied der Rosenheimer Sicherheitswacht sollen dort in einem Lokal rassistische Sprüche von sich gegeben und den Hitlergruß gezeigt haben. Die Kriminalpolizei Rosenheim ermittelt, Ergebnisse sind noch nicht bekannt geworden.
Mit seiner mittelalterlichen Altstadt und den berühmten Fuggerhäusern zieht Augsburg jedes Jahr Tausende Besucher*innen an, so im September 2016 eine Reisegruppe aus Giengen an der Brenz in Baden-Württemberg. Die fünf Männer und eine Frau hatten zunächst eine Brauerei in Augsburg besucht und waren schließlich in einem McDonalds am Königsplatz eingekehrt. Dort setzten sie sich zu einem 25-jährigen Asylsuchenden aus dem Senegal an den Tisch. Kurz darauf attackierte einer der Augsburg-Besucher, ein 43-jährige Polizeioberkommissar, den Senegalesen grundlos, rief »Black man, go home«. Als der 25-Jährige daraufhin den Laden verließ, verfolgten ihn der Oberkommissar und ein Begleiter, ebenfalls Polizist, schlugen auf ihn ein und traten nach ihm. Im ersten Gerichtsverfahren 2018 zeigten die Angreifer ebenso wie die anderen Polizist*innen aus der Gruppe auffällige Erinnerungslücken. Der Oberkommissar wurde wegen Beleidigung und Körperverletzung zu einer Gefängnisstrafe, sein Begleiter zu einer Geldstrafe verurteilt. Für den älteren Angreifer hätte die Strafe automatisch die Entlassung aus dem Beamtenverhältnis bedeutet. Nach einem Geständnis im Berufungsverfahren wandelte das Landgericht Augsburg das Urteil in eine Bewährungsstrafe um - der Oberkommissar, der zwischenzeitlich vom Dienst suspendiert war, darf seinen Job bei der Polizei in Ulm nun voraussichtlich behalten.
Baden-Württemberg: der Ku-Klux-Klan, Uniter und eine besondere Polizeieinheit
Es wäre nicht das erste Mal, dass rassistische Aktivitäten von Polizist*innen in Baden-Württemberg ohne besondere Konsequenzen bleiben. Im Sommer 2012 war bekannt geworden, dass zwei Polizisten aus Schwäbisch Hall, Timo H. und Jörg W., 2001 und 2002 zeitweilig Mitglieder des Ku-Klux-Klan waren. Gegen die Beamten wurden 2004 milde Disziplinarmaßnahmen verhängt, beide blieben weiter im Dienst.
In Baden-Württemberg haben sich in den letzten Jahren Episoden rund um rechte Polizist*innen gehäuft. Diese Ereignisse werfen ein beunruhigendes Licht darauf, wie rege die Kontakte zwischen einzelnen Polizist*innen, Verfassungsschützern, Neonazis und rechten Preppern im Ländle sind. Schon bei der verspäteten parlamentarischen Aufarbeitung des Ku-Klux-Klan-Falls 2012 kam eine Reihe merkwürdiger Zusammenhänge heraus. So soll seinerzeit ein Mitarbeiter des baden-württembergischen Verfassungsschutzes den Schwäbisch-Haller Ku-Klux-Klan-Anführer Achim Schmid darüber informiert haben, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz Schmids Telefon überwachte. Kurz darauf stellte sich heraus, dass Schmid selbst als V-Mann auf der Honorarliste des Stuttgarter VS gestanden hatte. Gegenüber den Stuttgarter Nachrichten prahlte Schmid später, zwischen zehn und 20 Polizeibeamt*innen hätten sich Anfang der 2000er um Aufnahme in den Ku-Klux-Klan bemüht.
Einer der beiden Beamten, die im Klan aktiv waren, Timo H., war auch ein Kollege von Michèle Kiesewetter, jener Polizistin, die im April 2007 in Heilbronn vom NSU ermordet wurde - er war an diesem Tag ihr Gruppenführer. Zwar ist bis dato kein Zusammenhang ermittelt worden, allerdings stieß die Süddeutsche Zeitung 2012 auf einen weiteren »merkwürdigen Zufall«: Im Bundesamt für Verfassungsschutz wurden Akten über die Abhöraktion im Zusammenhang mit dem Ku-Klux-Klan noch nach Auffliegen des NSU geschreddert. Laut dem Bundesinnenministerium handelte es sich um eine routinemäßige Aktenvernichtung, nicht um eine gezielte Aktion. »Doch im Kreise der Abgeordneten des Untersuchungsausschusses wundert man sich, was da alles in den vergangenen Monaten angeblich in Routine geschreddert wurde«, so die SZ.
Dieser schon etwas länger zurückliegende Fall wurde im Zusammenhang mit den taz-Recherchen über den Verein Uniter noch einmal in Erinnerung gerufen. Bei Uniter e.V. vernetzen sich Soldaten, Polizist*innen, auch aus Spezialeinheiten, Behördenmitarbeiter*innen und Sicherheitsdienstleister. Offiziell geht es um Kameradschaftspflege und berufliche Unterstützung ehemaliger Soldaten nach der Bundeswehrlaufbahn. Uniter hält aber auch militärische Übungen ab. Die taz veröffentlichte mehrere Recherchen, die ein vom Gründer des Vereins, André Schmitt (Deckname »Hannibal«), administriertes und inzwischen gelöschtes Chat-Netzwerk bekannt machten, in dem sich eine noch unbekannte Zahl von Menschen auf einen Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung in der Bundesrepublik vorbereitete. Hierzu gehörten auch Diskussionen darüber, im Falle eines »Tag X« Personen und Politiker*innen aus dem linken Spektrum zu entführen und zu ermorden. (ak 644)
Die taz begann ihre Recherchen, nachdem das Bundeskriminalamt im August 2017 und April 2018 Razzien bei Angehörigen einer Gruppe sogenannter Prepper in Mecklenburg-Vorpommern durchgeführt hatte. Der Verdacht: »Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat«. Zwei der Beschuldigten, der Rostocker Rechtsanwalt Jan Hendrik Hammer und der Kriminaloberkommisar Hajk J. aus Grabow, sollen Listen von als links eingestuften Personen angelegt haben, um sie im »Krisenfall« zu entführen und zu töten. Sie sollen zu einer der Chatgruppen gehört haben, die mit André Schmitt aka »Hannibal« in Verbindung stehen.
Gegen einen LKA-Beamten, Marko G. aus Banzkow bei Schwerin, wird inzwischen ebenfalls ermittelt - wegen Verstoß gegen das Sprengstoff- und das Kriegswaffenkontrollgesetz. »Innerhalb des Nordkreuz-Netzwerks nahm der ehemalige SEK-Angehörige eine zentrale Position ein«, schreibt das Antifa Infoblatt über G. (Nordkreuz ist der Name einer der vier besagten Chatgruppen). Inzwischen läuft eine Disziplinarklage gegen G., der seit 2015 wegen Krankheit nicht mehr im Dienst ist.
Ein Schwerpunkt des bundesweiten Prepper-Netzwerks lag in Baden-Württemberg. André Schmitt, ehemaliger Angehöriger des Kommandos Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr, stationiert in Calw bei Stuttgart, hatte dort den Verein Uniter gegründet. Auch hier gibt es Verbindungen in den Verfassungsschutz. Die taz veröffentlichte Mitte März 2019 einen Bericht, demzufolge ein Mitarbeiter des baden-württembergischen Verfassungsschutzes namens Ringo M. bis Anfang 2017 Vorstandsmitglied bei Uniter e.V. gewesen sei und den Verein ein halbes Jahr zuvor sogar mitgegründet habe. Vor seiner Karriere beim Verfassungsschutz war Ringo M. Polizist in Stuttgart gewesen, 2005 Mitglied einer neuen Einheit der Bereitschaftspolizei in Böblingen, der Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit BFE 523. Die BFE 523 ist jene Einheit, zu der auch jener Ex-Ku-Klux-Klan-Polizist gehörte - und Michèle Kiesewetter, als sie am 25. April 2007 vom NSU erschossen wurde.
Sachsen: Legida-Pegida-Polizei
Im Mai 2015 wurden auf der Plattform indymedia.org Chatprotokolle aus dem Handy eines Neonazis veröffentlicht. Das Handy, aus dem die Chatprotokolle stammten, war dem Ex-NPD-Stadtratskandidat Alexander Kurth aus Leipzig geklaut worden. Aus den Handydaten gingen die engen Verbindungen von Kurth zu den Legida-Organisatoren hervor, aber auch rechtsextreme Äußerungen dreier Polizisten.
Fernando V. von der Leipziger Bereitschaftspolizei pflegte regen Chatkontakt mit Alexander Kurth und gab auch interne Informationen weiter. Im März 2015 wurde »Polizeikommissar Nando« auf der Nachrichtenseite tag24.de als einer von zwei sächsischen »Multi-Kulti-Polizisten« bei der Bereitschaftspolizei vorgestellt und erzählte von »sozialem Antrieb«, dem »Gefühl, Menschen zu helfen« - und dass er Polizeiausbilder werden wolle. In seinem Chat mit Kurth sorgte sich Fernando V. um das Wohlergehen eines anderen Neonazis namens Maik Müller und nannte Linke »marodierende Gutmenschen«. »Vor meinem Haus sollen Zecken stehen. Habt ihr Einsatzkräfte in der Nähe?«, schrieb Alexander Kurth dem Polizisten, worauf dieser antwortete: »Ich bin nicht im Einsatz, aber rufe jemanden an.«
Im April 2016 wurde bekannt, dass Fernando V. mittlerweile tatsächlich an einer Leipziger Polizeischule unterrichtet. Gegenüber der Leipziger Volkszeitung erklärte das sächsische Innenministerium, der Vorgang sei seinerzeit rechtlich geprüft worden: »Im Ergebnis waren keine straf- oder disziplinarrechtlichen Maßnahmen angezeigt.« Fernando V. hatte anscheinend behauptet, das Telefon sei ihm schon im März nach einer Legida-Demonstration geraubt worden.
Im Oktober 2018 veröffentlichte ein Ex-Polizeischüler Screenshots aus einer Whats-App-Gruppe von Leipziger Polizeischüler*innen, in denen rassistische Äußerungen fielen. Rassismus von Seiten der Auszubildenden und Ausbilder war der Grund, weshalb er nach neun Monaten in der Polizeiausbildung seine Entlassung beantragt hatte. Einer der Ausbilder war Fernando V.
Am 6. August 2018 war Angela Merkel in Dresden zu Besuch - und sah sich dort mit einer Anti-Merkel-Demonstration konfrontiert, an denen auch ein LKA-Beamter auf Urlaub teilnahm. Bekannt wurde dies aufgrund der Schimpftirade des inzwischen als »Hutbürger« bekannten Mannes gegen ein ZDF-Fernsehteam, das ihn gefilmt hatte. Er rief die Polizei hinzu, die das Team des ZDF-Magazins Frontal 21 45 Minuten lang festhielt und so die Berichterstattung über die Demonstration verhinderte. Ein Aufschrei in den bürgerlichen Medien folgte. Kurz darauf hieß es, der Mitarbeiter im Dezernat für Wirtschaftskriminalität werde ab September 2018 »eine andere, adäquate Tätigkeit außerhalb der Polizei Sachsens« aufnehmen.
Es war nicht der erste sächsische LKA-Mann, der »privat« auf rechten Demonstrationen unterwegs war. Frank Oertel arbeitete im November 2011 beim LKA in der Spezialabteilung extremistischer Islamismus, als er mit seiner Ex-Frau, der Pegida-Mitbegründerin Kathrin Oertel, gegen »schlechte Informationspolitik« im Rahmen des Einzugs von zwölf Geflüchteten in eine Unterkunft neben einer Schule protestierte. LKA-Sprecher Tom Bernhardt tat Oertels öffentliche Äußerungen als privat ab.
Auch das SEK in Sachsen fiel bereits durch positive Bezüge auf rechtsextreme Symbole und den NSU-Komplex auf. Beim Einsatz auf einer antifaschistischen Demonstration in der Kleinstadt Wurzen im September 2017 trug ein SEK-Beamter einen Aufnäher auf seiner Polizeiuniform, der einen der zwei Raben Odins abbildete - ein Symbol, das in der Neonaziszene häufig verwendet wird. LKA-Sprecher Tom Bernhardt schloss einige Monate später eine rechtsextreme Orientierung des Beamten aus: »Er hatte eine Begründung geliefert, die plausibel war und auch überprüft wurde.« Der Beamte erhielt eine Disziplinarstrafe wegen eines Verstoßes gegen die sogenannte Polizeidienstkleidungsordnung.
Zwischenzeitlich war im Dezember 2017 ein weiterer Vorfall bekannt geworden: die Bestückung der Sitze in einem neuen Panzer des LKA Sachsen mit einem Logo, dessen Wappen stark an nationalsozialistische Symbole erinnert. Dies war vom LKA genau so bestellt worden. Sprecher Tom Bernhardt zufolge wird das Logo seit 1991 »zur internen Verwendung« als Symbol des sächsischen SEK genutzt.
Im September 2018 wurde gegen zwei sächsische SEK-Beamte, die in Berlin zum Staatsbesuch des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan im Einsatz waren, ein Disziplinarverfahren eingeleitet. Sie hatten als Tarnnamen für ein Zutritts- und Berechtigungsdokument den Namen des NSU-Mitglieds Uwe Böhnhardt in eine Einsatzliste eingetragen. Beide wurden vom Dienst suspendiert.
Berlin: Drohbriefe, Nazichats, rechte Saufkumpanen
Ende April forderten die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus Ermittlungen, ob es ein rechtes Netzwerk in der Berliner Polizei gebe. Hintergrund ist eine Häufung von Vorfällen, in die Polizist*innen verwickelt sind.
Nur durch Zufall wurde bekannt, dass ein Polizeioberkommissar zum Jahreswechsel 2016/17 seinen Kolleg*innen in einem Chat rechte Textnachrichten schickte, einige Wochen später unterzeichnete er eine Nachricht mit »88« - ein Code für »Heil Hitler«. Die Beamten sind zuständig für Extremismusbekämpfung und arbeiteten zu diesem Zeitpunkt am Fall Anis Amri, der am 19. Dezember 2016 einen Lastwagen in den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz gesteuert und zwölf Menschen getötet hatte. Die Nachrichten wurden entdeckt, weil gegen einen der Extremismusexperten ermittelt worden war. Im Zusammenhang mit dem Anschlag am Breitscheidplatz soll er Akten verschwinden lassen haben. Der Hitlerfan im Polizeidienst kam mit einem Verweis davon - der mildesten Sanktionsmöglichkeit, die das polizeiliche Disziplinarrecht vorsieht.
Im Zusammenhang mit dem Attentat am Breitscheidplatz gibt es weitere pikante Vorfälle. So twitterte der Pegida-Gründer Lutz Bachmann nur zwei Stunden nach dem Anschlag: »Interne Infos aus Berliner Polizeiführung: Täter tunesischer Moslem«. Die Polizei dementierte, zu diesem Zeitpunkt überhaupt schon von der möglichen Identität des Attentäters gewusst zu haben. Dabei hatte sie Amri bis Mitte des Jahres observiert. Die Observation war im Juni 2016 eingestellt worden, weil der polizeiliche Staatsschutz andere Prioritäten hatte: die - rechtswidrige - Räumung des linken Hausprojekts in der Rigaer Straße in Berlin-Friedrichshain.
Ein Jahr später, im Dezember 2017, erhielten 42 Berliner*innen anonyme Briefe. Der Verfasser ordnete sie offensichtlich der linken Szene, genauer: dem Umfeld der Rigaer Straße zu. »Ihr denkt, Ihr seid anonym und keiner kennt euch?«, hieß es in dem Schreiben, das drohte, die Wohnadressen und Fotos der Empfänger*innen an die Neonaziszene weiterzuleiten. Diese Daten hatte der Verfasser, ein Mitarbeiter der Berliner Polizei, aus einem Polizeicomputer. Im Dezember 2018 erhielt er dafür einen Strafbefehl über 3.500 Euro.
Seit 2016 erlebt Berlin-Neukölln eine Serie rechter Attacken und Brandanschläge auf antifaschistische Cafés, Buchhändler*innen, Gewerkschafter*innen und Politiker*innen. Bisher ist es der Polizei nicht gelungen, die Täter*innen zu ermitteln. Allerdings gibt es einen Hauptverdächtigen: den Neonazi Sebastian T. Ihn und einen weiteren Verdächtigen - Tilo P., der auch Mitglied im Neuköllner AfD-Kreisvorstand ist, hatten Beamt*innen des Verfassungsschutzes dabei beobachtet, wie sie den Wohnsitz des Berliner Linksparteipolitikers Ferat Kocak ausgekundschaftet hatten. Zweieinhalb Wochen später wurde Kocaks direkt neben seinem Wohnhaus geparktes Auto angezündet. Bislang kann die Polizei den verdächtigen Neonazis die Anschläge offenbar nicht nachweisen.
Brisant ist aber eine Erkenntnis, die das ARD-Magazin Kontraste und der RBB recherchierten. Demnach observierten zwei Mitarbeiter des Verfassungsschutzes den Neonazi T. im März 2018 - wenige Wochen nach den Anschlägen - in der Kneipe Ostburger Eck in Neukölln-Rudow. Weiter heißt es bei Kontraste: »Was dann geschieht, überrascht die Beamten: An dem Tisch, an dem T. Platz nimmt, sitzen nicht nur drei Neonazis, sondern auch ein Mann, der ihnen ebenfalls bekannt vorkommt. Allerdings gehört dieser Mann nicht zur Neonazi-Szene, sondern zum Landeskriminalamt. Dort ist der Beamte mit Namen W. in einer Abteilung tätig, die auch für polizeiliche Observationsmaßnahmen zuständig ist.«
Erklärt der gute Kontakt zwischen einem LKA-Beamten und dem Hauptverdächtigen den mangelnden Ermittlungserfolg? Die Verfassungsschützer*innen informieren ihren Vorgesetzten und der die Berliner Polizei. Ermittlungen gegen den Beamten W. wurden inzwischen eingestellt. Die Berliner Morgenpost zitiert »Kreise der Sicherheitsbehörden« mit der Aussage, der LKA-Beamte sei am Tag der Observation zwar in der Kneipe gewesen. Sein Begleiter sei aber nicht der Neonazi Sebastian T. gewesen, »sondern ein Freund des Beamten, der T. zum Verwechseln ähnlich gesehen habe«.
Dass die Verfassungsschützer*innen aus Versehen nicht die Person observierten, die sie seit Monaten im Visier hatten, sondern jemand anderes, überzeugt auch die Berliner Grünen nicht. Auch dieser Fall findet sich in der Anfrage an die Innenverwaltung über ein mögliches rechtes Netzwerk bei der Polizei.
Rassistischer Polizeialltag: der Fall Burak Bektas
Dass Ermittlungserfolge bei Taten mit rechter Motivation bei der Berliner Polizei offenbar wenig Priorität haben, zeigt der Fall Burak Bektas. Sieben Jahre sind seit dem Tod von Burak Bektas und dem Mordanschlag auf seine Freunde in Berlin-Neukölln vergangen - ein Ermittlungsergebnis gibt es nicht. Die Initiative für die Aufklärung des Mordes an Burak Bektas hat immer wieder mögliche rechte Hintergründe des Mordes thematisiert und mögliche Ausgangspunkte für Ermittlungen gegen Rechts benannt. Der Angriff erfolgte nur wenige Monate nach der Selbstenttarnung des NSU, die Initiative erkennt im »Hinrichtungscharakter der Mordtat eine Ähnlichkeit zur NSU-Mordserie«. Doch die Möglichkeit einer NSU-Nachahmungstat beschäftigt die ermittelnden Polizist*innen bis heute offensichtlich wenig - stattdessen tauchte im Berliner Kurier ein Zitat aus Polizeikreisen auf, das an die Ermittlungen zu den NSU-Morden denken lässt. Am 8. April 2019 hieß es in der Zeitung: »Bei der Polizei wird inoffiziell auch davon gesprochen, dass es sich um eine brutale Racheaktion für einen misslungenen Raubüberfall handeln könnte, an dem Bektas beteiligt gewesen sein soll.« Melek Bektas, die Mutter von Burak Bektas, bezeichnete diese Anschuldigung als »Lüge« und »eine weitere schwere Verletzung«. Vom Berliner Kurier und Polizei fordert sie eine Richtigstellung. Bislang vergebens.