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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 650 / 18.6.2019

Aufgeblättert

Recht auf Stadt

Die Kampagne »Deutsche Wohnen enteignen« und Mietkämpfe in allen größeren Städten - das Thema Wohnen und Recht auf Stadt ist gerade in aller Munde. Initiativen mit unterschiedlichen Schwerpunkten bringen sich in die Stadtplanung ein und bemühen sich, eine solidarische und widerständige Stadtpolitik zu etablieren. Común, das in Hamburg neu gegründete Magazin für stadtpolitische Interventionen, versucht, diese ideelle Klammer der Recht-auf-Stadt-Bewegung mit Leben zu füllen. Es will den Austausch der unterschiedlichen Gruppen anregen und bundesweit unterstützen. Die schreibenden Aktivist*innen zeigen an praktischen Beispielen, wie eine erfolgreiche Kampagne organisiert werden kann - reflektieren aber auch die dabei auftretenden Schwierigkeiten. Das Magazin ist so bunt wie die Recht-auf-Stadt-Bewegung selbst. Behandelt werden nicht nur die Aktivitäten der deutschen Bewegungen, sondern auch die stadtpolitischen Interventionen in Spanien oder Südamerika. »Denn letztlich«, schreibt die Redaktion im Editorial, geht es immer auch darum: Utopien zu entwerfen und vorzuleben, wie alles auch ganz anders sein kann.« Das Magazin ist grafisch ansprechend gestaltet, die Texte sind zugänglich geschrieben - die Mitglieder der Redaktion kommen selber aus stadtpolitischen Initiativen und schreiben über ihre eigenen Erfahrungen. In vier Texten werden unterschiedliche Antworten gegeben auf die Frage nach einer »Realpolitik, die zugleich einen utopischen Überschuss enthält«.

Florian Heinkel

multitude e.V. (HG.): Común Magazin für stadtpolitische Interventionen Nr. 1/2019. 56 Seiten, www.comun-magazin.org.

Neosozialismus

Innerhalb des Kapitalismus scheint es keinen Ausweg aus ökologischen Verwerfungen und sozialer Ungleichheit zu geben. Aber es gibt kaum Ideen, Utopien oder Ziele, wie eine humanere Gesellschaft jenseits des Kapitalismus aussehen könnte. Der Jenaer Soziologe Klaus Dörre macht nun einen Vorschlag. Er plädiert für eine sozialistische Option - aber »neo« sollte sie sein. Was damit gemeint ist? Zwingend die Analyse der Fehler des untergegangenen Sozialismus. Ferner die Berücksichtigung der historisch einmaligen »ökonomisch-ökologischen Zangenkrise«. Das bisher wichtigste Mittel zur Überwindung ökonomischer Krisen - die Generierung von Wirtschaftswachstum - greife, so Dörre, nicht mehr. Schlimmer noch: Es habe ökologische Zerstörungen zur Folge. Ein Neosozialismus müsse daher fünf Kernprojekte angehen: eine nachhaltige gesellschaftliche Regulationsweise, substanzielle Gleichheit und Gleichwertigkeit aller Menschen, eine radikale Demokratisierung der Wirtschaft, andere Eigentumsverhältnisse sowie ein neues europäisches Projekt. Den Weg dorthin könne eine inklusive Klassenpolitik ebnen. Vorteil des Sammelbandes ist es, dass Dörres Thesen als Grundlage für die folgenden Artikel dienen. Der Vorschlag für die neue Klassenpolitik wird etwa von Ngai-Ling Sum daraufhin untersucht, was das für den globalen Süden bedeutet. Hubertus Buchstein lehnt den Sozialismus aufgrund seiner geschichtlichen Besetzung ab. Ein lesenswertes Buch mit viel Stoff zum Weiterdenken.

Guido Speckmann

Klaus Dörre/Christine Schickert (Hg.): Neosozialismus. Solidarität, Demokratie und Ökologie vs. Kapitalismus. Oekom, München 2019. 216 Seiten, 22 EUR.

Stadtguerilla

Dimitris Koufontinas war der Gründer der Bewegung 17. November, einer kommunistischen Guerilla in Griechenland. Über Jahre übernahm sie für viele Anschläge die Verantwortung, ohne dass die Ermittlungsbehörden ihr auf die Spur kamen. Bis zum 29. Juni 2002. An diesem Tag wurde Savvas Xiros lebensgefährlich verletzt, als er aus Solidarität mit streikenden Hafenarbeiter*innen im Hafengelände von Athen eine Bombe platzieren wollte. Er wurde unter schwere Medikamente gesetzt und verhört, so dass die Ermittlungsbehörden an Namen und Strukturen der Organisation kamen. Koufontinas konnte dann untertauchen und beobachtete, wie immer mehr Gruppenmitglieder verhaftet wurden, Aussagen machten und sich von der Gruppe distanzierten. Das war der Grund für ihn, sich der Justiz zu stellen und die politische Verantwortung zu übernehmen. Mit dem Buch legt er einen politischen Rechenschaftsbericht ab, der auch Leser*innen beeindruckt, die mit den politischen Prämissen des Schreibers nicht übereinstimmen. Koufontinas gibt einen subjektiven Rückblick auf seine politische Sozialisation. Der 1968er Aufbruch kulminiert in Griechenland in dem blutig niedergeschlagenen Aufstand an der Athener Universität am 17. November 1973. Das Datum gab der Guerillagruppe ihren Namen. Das Buch sollte als Einladung zur kritischen Debatte verstanden werden in einer Zeit, in der selbst in sich links verstehenden Medien der Terrorismusbegriff gegenüber militanten Linken oft kritiklos verwendet wird.

Peter Nowak

Dimitris Koufontinas: Geboren am 17. November. Eine Geschichte der griechischen Stadtguerilla. Bahoe Books, Wien 2018. 281 Seiten, 15 EUR.

Deutschland 1949

Ist über 1949, das Jahr, als erst die BRD, dann die DDR gegründet wurde, nicht längst alles gesagt und geschrieben? Der Journalist Christian Bommarius liefert in seinem Buch zwar keine neuen Enthüllungen, aber eine lesenswerte Darstellung des »langen deutschen Jahres«. Seine Geschichte beginnt im Juli 1948, kurz nach der Währungsreform, die der Gründung des westdeutschen Staates vorausging. Neben historischen Figuren - darunter massenhaft alte Nazis - lässt er auch weniger Prominente auftreten. Eines seiner Hauptthemen ist die gescheiterte Entnazifizierung - ein auch 70 Jahre später immer noch empörender Skandal. 95 Prozent der Nazis, die sich vor Spruchkammern verantworten mussten, kommen als »Mitläufer« oder »Entlastete« davon, und »alle zu Freiheitsstrafen verurteilten Manager werden spätestens 1952 vorzeitig aus der Haft entlassen«. Kritiker*innen, vor allem emigrierte, aber auch solche aus der »inneren Emigration« werden öffentlich angegriffen. Nazi-Propagandist*innen wie Henri Nannen, Werner Höfer oder Elisabeth Noelle-Neumann dagegen machen im »demokratischen« Deutschland schnell Karriere. Bommarius erzählt die bundesdeutsche Gründerzeit streckenweise brillant und nicht ohne Sarkasmus. Zu kurz kommt die unmittelbar nach Kriegsende begonnene Remilitarisierung (»Wiederbewaffnung«). Etwas bemüht wirkt auch das Nachwort, in dem Bommarius zwischen »Deutschen« und »Bundesbürgern« unterscheidet. Seine Hoffnung: »Deutschland schafft sich ab - damit die Bundesrepublik werden kann.«

Jens Renner

Christian Bommarius: 1949. Das lange deutsche Jahr. Droemer Verlag 2018. 320 Seiten, 19,99 EUR.