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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 650 / 18.6.2019

Die eigene Mast als Schlankheitskur erleben

Wirtschaft & Soziales In den imperialen Zentren sinken die Kohlenstoffemissionen. Doch der Konsum CO2-intensiver Güter steigt

Von Alfred Kollmeier

CO2-Abgabe/Steuer versus Emissionszertifikate: In der Debatte wird so getan, als ob CO2 nur richtig zu bepreisen wäre, um dann einen sorgsamen Umgang mit Energie - oder auch ganzen Ökosystemen - zu gewährleisten. Als ob nicht die Versuche der letzten Jahrzehnte, etwa in der Schweiz oder Schweden gezeigt hätten, dass eine Bepreisung vielleicht eine gewisse Reduzierung der CO2-Emissionen zur Folge hatte, diese aber zu gering ausfiel. Lag es an der Höhe der Abgabe? Lag es daran, dass allzu viele Emittenten allzu schonend behandelt wurden? Wenn hier von Bepreisung die Rede ist, so sind damit alle Steuern, Abgaben und Marktbewertungen gemeint, die bisher eingeführt wurden, um die CO2-Emissionen mit einem Preis auszustatten, mithin CO2 zur Ware zu machen. Das allgemeine Credo: Nur eine Sache, die etwas kostet, wird dazu führen, dass die Nutzer*innen sparsam damit umgehen. Das mag mitunter im kapitalistischen System den Nagel auf den Kopf treffen, bleibt aber im Zustand der Binsenweisheit stecken, wenn nicht zugleich die Schwelle genannt werden kann, ab der dieser Zusammenhang zutrifft und nicht zugleich untersucht wird, ob solcherlei Bepreisung nicht zum Gegenteil der Absicht führt: nämlich die CO2-Emissionen steigen zu lassen.

Emissionshandelssystem mit vielen Ausnahmen

Emissionszertifikate sollen verpflichtend von Emittenten gekauft werden, wenn diese CO2 emittieren. Ist der Bedarf nach Zertifikaten hoch, weil die Konjunktur den Anlass dazu gibt, stehen sie auch im Preis hoch. Die Krise 2009 ließ die CO2-Emissionen sinken, weshalb sich zu viele Emissionszertifikate im Handel befanden. Das einzelne Zertifikat konnte also zum Spottpreis gekauft werden. Der Anreiz, CO2-Emissionen einzusparen, war gering.

Aber selbst in Perioden der Konjunktur gilt: Das Emissionshandelskonzept, es umfasst rund 45 Prozent aller CO2-Emissionen, wimmelt von Ausnahmen für emissionsstarke Industriezweige, beispielsweise Zement und Aluminium. Einige Industrien in der EU erhalten einen Großteil der Emissionszertifikate, die sie brauchen, umsonst. Denn müssten sie für die Zertifikate zahlen, so wird befürchtet, dass sie ihre Produktion aus Kostengründen in Länder verlagern, in denen Emissionszertifikate billiger sind oder gar nicht anfallen. In solchen Fällen wird von »Carbon leakage« (Kohlendioxidverschiebung) gesprochen. Solche Dreckschleudern vor Ort zu halten, ist erklärtes Ziel der deutschen Regierung, die dieselbe panische Angst vor der Deindustrialisierung hat wie die USA und andere OECD-Staaten.

Wird das bei CO2-Abgaben plötzlich anders sein? Was soll eine CO2-Abgabe im Vergleich zu Emissionszertifikaten Neues bringen? Die CO2-Abgabe/-Steuer liegt in Frankreich bei 22 Euro pro Tonne, in GB bei 21, in Schweden bei 120 und in Kanada liegt sie bei ca. 14 Euro je Tonne. Das schwedische Beispiel scheint auf den ersten Blick das einer mutigen Avantgarde zu sein, ernüchtert aber auf den zweiten Blick: Die wesentlichen energieintensiven Industrien zahlen sehr viel weniger Emissionssteuer. So wenig, dass sie konkurrenzfähige Produkte auf den Markt werfen können und nicht abwandern. Hier passiert also genau dasselbe wie bei der Vergabe von Emissionszertifikaten, die in einigen Staaten umsonst an bestimmte Industrien vergeben werden.

CO2-Steuern: Positivbeispiele mit Lücken

Wenn sich die gegenwärtige Debatte um CO2-Abgabe vs. Emissionshandel dreht bzw. beide miteinander verquickt werden sollen, weil aufgefallen ist, dass Sektoren wie Wohnen und Verkehr in die Emissionsziele nicht oder zu wenig einbezogen sind, stellt sich automatisch die Frage: Warum soll denn nun durch Ausweitung der Bepreisung auf weitere Sektoren ein anderes Resultat herauskommen als bisher?

Es soll gar nicht bestritten werden, dass sich durch Bepreisung eine gewisse Lenkungswirkung beim Energieverbrauch erzielen lässt. Aber eine deutliche Verbrauchsminderung und ein Umlenken auf den Verbrauch anderer Stoffe, deren Konsum weniger CO2-intensiv ist, wird jedenfalls nicht bei jenen 20 Euro pro Tonne CO2 stattfinden, die derzeit Umweltministerin Svenja Schulze fordert. Und dann bedarf es eines hohen Preises in jedem Sektor, d.h. in der Industrieproduktion, beim Verkehr, beim Wohnen etc. Und eben nicht nur in der Energieerzeugung und nicht unter Ausklammerung der sogenannten Emissionsschleudern. Diese Ausklammerung findet aber im Falle Schwedens und anderer Staaten statt, die als Vorzeigemodell für die Wirksamkeit der CO2-Abgabe gelten. Nun mag das in den Augen der jeweiligen Regierungen sinnvoll sein, weil der Emittent sonst in Staaten ohne CO2-Abgabe abwandert und der Effekt der Emissionsreduzierung dann auf Null sinkt. Ärgerlich in den Darstellungen zur Leistungsfähigkeit der CO2-Abgaben allerdings ist, dass solche Aspekte unter den Tisch gekehrt werden, um der Maßnahme selbst nicht den Glanz zu rauben.

Messung der Emissionen - aber wie?

Sowohl in den USA als auch in der EU sinken die CO2-Emissionen - wird behauptet! Stimmt das? Genau diese Reduzierung relativiert sich, sobald das Messprinzip für Emissionen genauer betrachtet wird.

Pro Einwohner*in ist in den meisten Staaten der OECD die CO2-Emission tatsächlich abgesunken. Aber nicht, weil sich der kulturelle Habitus der Bevölkerung verändert hätte. Auch nicht, weil in einigen Staaten erneuerbare Energien die Führung in der Stromerzeugung übernommen hätten. Es kam zu massenhaften Auslagerungen emissionsintensiver Industrien in Staaten des Südens, die Investoren samt ihrem Kapital mit Steuerfreiheit, laxen Umweltgesetzen und billiger Arbeitskraft anlockten. Ganze Industrien sind umgezogen - Outsourcing - und diese Umzüge hinterlassen in der Statistik ihre Spuren: Wo die emissionsintensiven Betriebe ausgelagert wurden, dort sanken die nach dem Territorialprinzip (auch Produktionsprinzip) berechneten CO2-Emissionen. Das Territorialprinzip ist die international anerkannte Berechnungsgrundlage der CO2-Emissionen, weil es den globalen Machtverhältnissen entspricht. Es misst die Emissionen am Ort und an der Quelle ihrer Entstehung. Würden aber die Emissionen nach dem Konsumprinzip berechnet, nach dem, was in den genannten Ländern tatsächlich an Energie und damit CO2 durch selbst produzierte und importierte Gütern konsumiert wird, sähe es für einige Staaten ganz anders aus: So hat jede*r Einwohner*in Deutschlands 2011 nach dem Territorialprinzip der Messungen 13,2 Tonnen CO2 emittiert, nach dem Konsumprinzip waren es 18,3 Tonnen.

Ein drastisches Beispiel ist Großbritannien, wo zwischen 1990 und 2008/09, dem Ausbruch der Krise, die nach dem Territorialprinzip berechneten Emissionen um 25 Prozent sanken und die nah dem Konsumprinzip berechneten um 27 Prozent stiegen. Die globale Wirtschaftskrise unterbricht zeitweilig den Verlauf der Steigerung konsumbasierter Emissionen und der Abnahme territorialbasierter Emissionen. Bis heute hat sich an diesem Trend nichts verändert.

Bepreisung führt zu steigenden Ausstößen

Was oftmals als Resultat erfolgreicher Bepreisung von CO2 gefeiert wird, ist zu beträchtlichen Anteilen das Resultat von Kapitalexporten. Die Bepreisung der CO2-Emissionen - ob in Form einer CO2-Abgabe oder eines Emissionszertifikat - in den OECD-Staaten des Kapitalismus bewegt zwar etwas, aber zu wenig. Vor allem aber trägt sie dazu bei, dass erstens die realen Dimensionen der Ursachen des Klimawandels kaschiert werden: Die Welt kommt mit dieser Art CO2-Buchführung der beabsichtigten Absenkung der Emissionen nicht näher. Die in den OECD-Staaten sinkenden Emissionen werden von wachsenden Emissionen in anderen Teilen der Welt ein- und überholt. Zurzeit wachsen die CO2-Emissionen weiter!

Zweitens wird das Phänomen des sogenannten Carbon Leakage, die Verlagerung der CO2-Emissionen in Regionen mit attraktiveren Kapitalverwertungsbedingungen, verstärkt. Die dort hergestellten Waren kehren als Importwaren in die Staaten der OECD zurück.

Und drittens trägt die Bepreisung dazu bei, die weltweiten CO2-Emissionen weiter in die Höhe zu treiben, indem die steigenden konsumtiven Messwerte für CO2-Emissionen hinter den sinkenden territorialen Messwerten verschwinden. Die imperialen Zentren importieren Konsumgüter und Produktionsmittel auf Kosten der Arbeitskräfte und der Umwelt in den Staaten der Peripherie, also dort, wohin die Kapitalexporte geflossen sind und die CO2-Emissionen verlagert wurden. Der Kapitalismus im Zentrum erlebt seine eigene Mast als Schlankheitskur.

Schließlich fördert und legitimiert das praktizierte Territorialprinzip eine imperiale Lebensweise, die in wachsendem Maße Waren verbraucht, die unter hohem Energieeinsatz und mit geringem Wert der Arbeitskraft - oft in Staaten mit laxen Umweltgesetzen - gefertigt wurden. Die Orte dieses Geschehens liegen in Afrika, in der Ukraine, in China, in Südostasien, im Nahen Osten oder in Polen. In jedem Fall wirkt dieses Prinzip verstärkend auf die Erosion der sozialen und der ökologischen Lebensbedingungen überall, wo sich eine CO2-intensive Grundstoffindustrie befindet und billige Arbeitskräfte Massengüter für die imperialen Zentren herstellen.

Alfred Kollmeier ist aktiv bei attac Mainz.