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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 650 / 18.6.2019

IWWDVSGH. A bsoffene Gschicht

Abgründig, aufregend und atemberaubend spannend - der österreichischen Politsoap »Ich weiß, was du vorletzten Sommer getan hast« (IWWDVSGH) gelang der Überraschungserfolg des Frühsommers 2019.

Vor allem die unerwartete Veröffentlichung der ersten Folge war nach langer Geheimhaltung und diversen Andeutungen eine meisterhafte Inszenierung. »Eine Nacht in Ibizia« erschien zuerst online und war ein fulminanter crossmedialer Staffelauftakt, an dem sich namhafte deutsche Zeitungen die Streamingrechte sichern konnten.

Der Plot: Bei einem feuchtfröhlichen Treffen zwischen zwei korrupten Rechtspopulisten, Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus (beide FPÖ), und einer schwerreichen russischen Oligarchennichte sollen gegen illegale Parteispenden Zeitungen, öffentlicher Rundfunk und staatliche Bauaufträge verschachert werden. So weit, so klischeehaft. Doch was »Ich weiß, was du vorletzten Sommer getan hast« überzeugen lässt, sind die hyperrealistischen Details. Die kahlen Wände der lieblos eingerichteten Villa lassen den Schweiß auf den vom Alkohol gezeichneten Gesichtern der Hauptdarsteller im Neonlicht perfekt zur Geltung kommen. Auf dem Tisch liegen neben dem Wodka-Red-Bull ein paar Lines bereit, und man meint, den rauchgeschwängerten Mief beinahe riechen zu können. Die unkonventionelle Idee, die »attraktive Gastgeberin« nur off-screen agieren zu lassen, sorgt für zusätzliche Spannung. Die pantomimischen Einlagen, mit denen die Protagonisten die zweisprachige Kommunikation auf Deutsch und Russisch untermalen, liefern den Comic Relief für zwischendurch. Als Nebenfigur trägt Gudenus' Ehefrau durch wichtige (aber ignorierte) Hinweise und perfektes Resting-Bitch-Face zum Plot bei. Interessant ist die Beschränkung auf wenige Einstellungen und kurze Ausschnitte. Laut Kurt Kister, Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung, soll dadurch die Fantasie angeregt werden. Die Sequenzen, die dem Schnitt zum Opfer fielen, beschreibt er so: »Es sind viele entlarvende, manche eklige und etliche fast mitleiderregende Sequenzen. Die meisten davon sind privater Natur.« Die Nachfrage nach (der Special Edition Blue-Ray mit) dem Director's Cut der bisher unveröffentlichten Szenen ist schon jetzt hoch. Die bis dato unbekannte Produktionsfirma hat über zwei Jahre an IWWDVSGH gearbeitet und vor allem bei der Produktion der Pilotfolge keine Kosten und Mühen gescheut.

Die weiteren Episoden der Miniserie wurden im Laufe der nachfolgenden zwei Wochen vor allem im öffentlichen Rundfunk ORF ausgestrahlt, sind aber ästhetisch weniger gewagt und innovativ als der Auftakt. In Folge zwei, »A bsoffene Gschicht«, liefern die aufgeflogenen Hauptdarsteller, HC Strache inzwischen als Vizekanzler Mitglied der Regierung Österreichs, ein selbstmitleidgetränktes Shitbingo der schlechten Entschuldigungen: Von K.O.-Tropfen bis antisemitischen Verschwörungstheorien lässt die Serie hier kaum ein Klischee der politischen Ausreden aus. Aber die Rücktritte der Antipathieträger lassen Freude aufkommen. In Folge drei, »So ist Österreich nicht / Immer wiederkehrende Einzelfälle«, treten neue Figuren auf: Bundeskanzler Sebastian Kurz und Bundespräsident Alexander Van der Bellen beweisen, dass das Unbewusste eben keine Verneinung kennt: Österreich ist anscheinend doch so, daran lässt der schwer zu ertragende Monolog des Bundeskanzlers keinen Zweifel. Die Folge endet mit der Europawahl, deren Wahlergebnis die Skandal-Regierung im großen und ganzen bestätigt. Zur Mitte der Staffel setzten die Autor*innen den emotionalen Tiefpunkt der Serie an: Hier thematisierten sie politische Gleichgültigkeit und sozialen Zynismus und räumen auf intelligente Weise mit der Vorstellung auf, dass Korruptionsskandale ein politisch durch und durch desillusioniertes Publikum noch groß bewegen würden. In Folge vier, »Kurz Kanzler«, wird der Kanzler dennoch durch ein Misstrauensvotum abgesetzt. Auch die Sozialdemokratie hat einen Kurzauftritt, bei dem sie realistisch gezeichnet wird: als Schatten ihrer selbst. Kurz darauf bringen Szenen von protestierenden Menschenmassen in Wien wieder etwas Production Value für IWWDVSGH. Auch mit dem Auftritt der Venga Boys auf der Donnerstagsdemo, dem Höhepunkt der Folge, bindet die Serie ihre Zuschauer*innen mit einem grandiosen Soundtrack und einem Moment der Hoffnung an sich. Folge fünf, die vorerst letzte der Miniserie, kassiert diesen Elan schnell wieder ein: Eine Expertenregierung wird eingesetzt, ihre konservativen und technokratischen Mitglieder ein tristes Spiegelbild der gerade abgesetzten Regierung. Mit diesem Moment grandioser Ernüchterung endet die Serie. Als letzten Cliffhanger kündigt der Protagonist HC Strache seinen Einzug ins EU-Parlament an - jetzt erst rechts. Die Entlarvung toxischer Männlichkeit ist inhaltlich eine der Stärken der Serie, Frauen spielen wohl gerade deswegen hier nur in Nebenrollen mit.

Mit einer Mischung aus Authentizität und dem streckenweise doch arg konstruierten Plot ist IWWDVSGH ein spannendes Beispiel neuer Inszenierungsformen. Sie und die enge Bindung an aktuelle politische Ereignisse wie die EU-Wahl erklären die hohen Einschaltquoten über das österreichische Publikum hinaus. Befürchten konservative Kritiker*innen, dass durch solche Erzählungen das Vertrauen in die Politik weiter geschwächt wird, loben andere, dass IWWDVSGH die Verhältnisse zeige, wie sie wirklich sind. Staffel zwei wird mit Spannung für den Herbst erwartet, viele Fragen drängen sich auf: Werden die Wahlberechtigten ihrer Vorliebe für »fesche« rechte Männer bei den Neuwahlen wieder nachgeben? Wen verkauft HC Strache im EU-Parlament? Wird die wachsende Protestbewegung zur Heldin der zweiten Staffel? Oder bleiben der Alkohol und die eigene Ungeschicklichkeit die größten Feinde der FPÖ?

Kornelia Kugler