Aufgeblättert
Extreme Rechte
Wenn es um die extreme Rechte in Deutschland geht, liest man selten Optimistisches. Matthias Quents Buch »Deutschland rechts außen« ist hier eine überraschende Ausnahme. Zwar warnt der Autor vor den Gefahren des Rechtsradikalismus und seiner drohenden Normalisierung, doch attestiert er ihm gleichzeitig, historisch auf der Verliererseite zu stehen: Der von AfD & Co verhasste »Multikulturalismus« werde nicht mehr aufzuhalten sein, bei aller bestehenden Ungleichheit werde die Gesellschaft immer diverser: »Es gibt heute nicht mehr Rassismus und Sexismus, sondern weniger als je zuvor.« Trotzdem ist Quent weit davon entfernt, die extreme Rechte zu verharmlosen. Denn auch wenn die Gesellschaft heute grundsätzlich weniger rassistisch ist und es eher so ist, dass sich im Bewusstsein vieler Menschen etwas verändert hat, ist Rassismus deswegen noch lange nicht weniger tödlich. »Deutschland rechts außen« verzichtet weitestgehend auf das sonst in diesem Genre oft zu findende Namedropping rechter Akteur*innen. So wohltuend das ist, liest es sich dadurch zuweilen etwas pauschalisierend. Gleichwohl rekurriert Quent auf erstaunlich viele Studien und Umfragen, um seine Argumentation zu unterfüttern - ohne dass sein Buch dadurch an Lesbarkeit einbüßen würde. Kurzum: Pessimist*innen unter uns werden in diesem Buch den einen oder anderen erfrischenden Gedanken finden - wenn sie denn bereit sind, sich auf einen solchen Ausflug einzulassen.
Maike Zimmermann
Matthias Quent: Deutschland rechts außen. Wie die Rechten nach der Macht greifen und wie wir sie stoppen können. Piper Verlag, München 2019. 304 Seiten, 18 EUR.
Postwachstum
Mit diesem Buch geben die beiden Autor*innen, die u.a. beim Konzeptwerk Neue Ökonomie in Leipzig engagiert sind, eine systematische und dichte Einführung in das Thema. In der ersten Hälfte untersuchen sie zuerst kurz und kritisch Wachstumsmessung und Wachstumsstatistik. Spannend sind hier die religiösen Wurzeln des Begriffs, die seine bis heute andauernde Wirkmächtigkeit damit erklären können, ist doch Wachstum das Erlösungsversprechen des (patriarchalen) Kapitalismus. Danach werden insgesamt sieben Stränge der Wachstumskritik ausführlich vorgestellt - u.a. ökologische, soziale, feministische und kulturelle - und die wichtigsten zugehörigen Autor*innen genannt. Schmelzer und Vetter gehen auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede ein, aber auch auf die Defizite und die inneren Widersprüche der verschiedenen Wachstumskritiken. Anschließend werden fünf verschiedene Strömungen von Postwachstum als alternativer Praxis und Utopie näher beleuchtet und deren Ziele und Transformationsstrategien beschrieben (Commons, Suffizienz, Kapitalismus-/Globalisierungskritik usw.). Das Buch ist allerdings mehr als eine Einführung in dieses anscheinend doch relativ ausdifferenzierte Feld. Die Leser*in bekommt einen soliden Überblick über die Perspektiven und Schwerpunkte der verschiedenen Modelle. Ein Sachregister und ein umfangreiches Literaturverzeichnis runden das Buch ab. Es zeigt einmal mehr, dass eine radikale sozial-ökologische Transformation notwendig und längst überfällig ist.
Bernd Hüttner
Matthias Schmelzer und Andrea Vetter: Degrowth/Postwachstum. Zur Einführung. Junius Verlag, Hamburg 2019. 256 Seiten, 15,90 EUR.
Austromarxismus
Nach Bänden zu Marx, Gramsci, Poulantzas und Joachim Hirsch ist dies ein weiterer empfehlenswerter Sammelbeitrag in der Reihe Staatsverständnisse zum Themenbereich Marxismus. Das Buch umfasst neben der Einleitung 13 Beiträge, die den Austromarxismus als »Diskursgemeinschaft« vermessen. Eine Definition fällt schwer: Bei den führenden Köpfen wie Adler, Hilferding und Bauer gab es »kaum übergreifende gemeinsame Theoreme«, ihr Wirken war gekennzeichnet durch eine enorme Themenbreite, geeint aber durch einen aktiven Bezug zur praktischen Politik. Marxismus wurde als kritische Sozialwissenschaft verstanden und fortentwickelt. Dass aktive Politiker*innen theoretisch anspruchsvolle Werke veröffentlichen, geschieht heute äußerst selten und macht den historischen Abstand zum Thema noch deutlicher. Nicht eindeutig fällt das Urteil darüber aus, ob austromarxistische Begriffe und Überlegungen für unsere Gegenwart noch brauchbar sind. Armin Puller betont stattdessen die Wichtigkeit der Art und Weise des Denkens und Analysierens und den darin enthaltenen austromarxistischen Bezug auf die konkrete gesellschaftspolitische Komplexität. Kolja Müller zeigt die methodische Aktualität Bauers mit Blick auf Verfassungswandel. Thematisiert werden in dem Band u.a. Faschismustheorie, Demokratieverständnisse, verfassungstheoretische Überlegungen und die Nationalitätenfrage. Theoretische Überschneidungen mit Gramsci und Poulantzas werden nur am Rande gestreift.
Sebastian Klauke
Andreas Fisahn, Thilo Scholle, Ridvan Ciftci (Hg.): Marxismus als Sozialwissenschaft. Rechts- und Staatsverständnisse im Austromarxismus. Nomos, Baden-Baden 2018. 250 Seiten, 39 EUR.
Sozialpsychologie
Götz Eisenberg, geboren 1951, veröffentlicht seit den 1970er Jahren Texte in der Tradition der Kritischen Theorie, heißt es auf der Website des Verlages. Die Artikelsammlung »Zwischen Anarchismus und Populismus« ist der dritte Band von Eisenbergs Reihe »Zur Sozialpsychologie des entfesselten Kapitalismus«. Vielfältig sind die Themen der sehr unterschiedlich langen Texte. Rezensionen wechseln mit Erinnerungen an historische Ereignisse (die Russische Revolution, die Bayrische Räterepublik, das Attentat auf Rudi Dutschke, und - besonders lesenswert - eine »Collage« zum Spanischen Bürgerkrieg). 27 Texte zur »Ethnologie des Inlands« thematisieren die sich ausbreitende soziale Kälte und den Irrsinn des kapitalistischen Alltags wie »freiwillige Selbstverblödung« oder »digitalen Autismus«. In der Einleitung, die auch Autobiographisches enthält, stellt der Autor die Frage nach einem »neuen Maschinensturm« in der Tradition des englischen Luddismus des 19. Jahrhunderts. Eine gewagte Idee, aber vielleicht nicht ganz abwegig in Zeiten des wachsenden Rechtspopulismus, der »das Leiden der Menschen am Fortschritt und dem herrschenden Politikbetrieb betrügerisch für sich ausschlachtet«. Bei oberflächlicher Lektüre könnte man hier und an manch anderer Stelle linken Kulturpessimismus diagnostizieren. Kritisch gelesen dagegen enthalten die Texte vielfältige Anregungen. Ein umfangreiches Personenverzeichnis bietet zusätzliche Orientierung.
Daniel Ernst
Götz Eisenberg: Zwischen Anarchismus und Populismus. Zur Sozialpsychologie des entfesselten Kapitalismus Band 3. Edition Georg-Büchner-Club. Verlag Wolfgang Polkowski, Gießen 2018. 453 Seiten, 24,90 EUR.