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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 652 / 16.9.2019

Das ganze Ausmaß der Rechtsverschiebung

Deutschland Die Wahlen im Osten werden die Gesellschaft dort nachhaltig verändern

Von Marcel Hartwig

Wer eine Ahnung von den gesellschaftlichen Folgen des guten Abschneidens der AfD bei den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg bekommen möchte, muss dorthin schauen, wo die AfD seit 2016 kontinuierlich ihre politische Repräsentanz ausbauen konnte. Zum Beispiel nach Sachsen-Anhalt. Dort holte die Partei bei den Landtagswahlen im März 2016 einen Stimmanteil von 24,3 Prozent. Hatten sich vor der Wahl breite Bündnisse aus Wohlfahrtsverbänden und Trägern der Jugendhilfe offen gegen die AfD gestellt, so wurden diese nach den Wahlen rasch leiser. Ein gemeinsames, strategisch bestimmtes Verhalten der Zivilgesellschaft gegenüber der AfD kam nicht zustande, auch weil nun die Debatte darüber begann, wie den Wähler*innen der Partei die ihnen zuvor angeblich versagte Repräsentanz verschafft werden könne. Im Zentrum stand dabei das Argument, dauerhaft könnten über 20 Prozent der Wahlberechtigen nicht politisch ausgegrenzt werden; es brauche Formate des Dialogs gegenüber den Wähler*innen der AfD.

Andere Akteure versuchten unter den zunächst noch unspezifischen Angriffen der AfD auf den etablierten Kulturbetrieb mit dem Hinweis auszuweichen, das eigene inhaltliche Profil habe mit der Agenda der AfD nichts zu tun, deshalb werde man die Partei ignorieren. Dies geht etwa für die Interessenvertretungen gesellschaftlicher Minderheiten nur solange gut, bis das Hip-Hop-Projekt, die Sprayer Crew des örtlichen Jugendzentrums oder eine Band, die ihren Proberaum in einer öffentlich geförderten Einrichtung hat, selbst in den Fokus der AfD und somit unter Rechtfertigungsdruck geraten. Aus Sicht der AfD gibt es keine emanzipatorische Praxis in Kultur, Wissenschaft und Bildung, die sich nicht unter Verdacht der Unterstützung des Linksextremismus und der Gewalt stellen und somit denunzieren sowie unter Druck setzen ließe.

Angriff von rechts und fragmentierte Öffentlichkeit

Politisch koordinierte, parlamentarische und von rechtsalternativen Medien flankierte Angriffe auf Linke und die Zivilgesellschaft ließen in Sachsen-Anhalt etwa ein Jahr auf sich warten. In dieser Zeit war die AfD-Fraktion im Magdeburger Landtag damit beschäftigt, sich selbst zu organisieren. In dieser Zeit rekrutierte die Fraktion Mitarbeiter, deren politisches Vorleben sich in der Welt der Neonaziszene oder der rechtsextremen Burschenschaften abgespielt hatte. Diese Mitarbeiterschaft ist es, aus deren Feder die Zuarbeit für die Vielzahl von parlamentarischen Anfragen stammt, welche die AfD in denunziatorischer Absicht zur Arbeit von regionalen Bündnissen gegen rechts stellte. Auf Grundlage der Antworten der Landesregierung begann die Partei unter dem Label »Linksextremismus« eine Diffamierungskampagne gegen Strukturen und Einzelpersonen, die für ihre Arbeit gegen Rechtsextremismus bekannt sind. Dies gipfelte in der Einrichtung einer »Enquete Kommission Linksextremismus« im Landtag, unter Zustimmung einiger CDU-Abgeordneter. Geht es nach der AfD, so ist die Evangelische Jugend ebenso linksextrem wie Teile der Gewerkschaften oder Träger der Soziokultur. Auf diese Weise entsteht eine Kultur des Verdachts gegen die Zivilgesellschaft, der von Printmedien aufgegriffen, öffentlich multipliziert den Eindruck verfestigt, die von der AfD an den Pranger gestellten Personen und Strukturen hätten sich etwas zu Schulden kommen lassen.

Jetzt, da die AfD alle Formate der Diffamierung und der versuchten Einschüchterung ihrer Gegner*innen schon einmal erfolgreich umgesetzt hat, kann davon ausgegangen werden, dass die Angriffe aus der Partei in den Bundesländern Sachsen und Brandenburg auf linke und zivilgesellschaftliche Akteur*innen nicht ein Jahr auf sich warten lassen werden. Einen Hinweis darauf bot schon die Reihe »Potsdamer Gespräche« der Brandenburger AfD-Landtagsfraktion vor der Wahl zum Thema Linksextremismus. Dort legten Vertreter*innen der AfD ihre Strategie dar, wie der Arbeit gegen rechts im Land der Garaus gemacht werden soll: politischer Druck, Anträge auf Prüfung der Gemeinnützigkeit von Vereinen. Zudem wird ein Wissenstransfer und eine strategische Koordination unter den AfD-Landtagsfraktionen und der Bundestagsfraktion angeregt, um gemeinsam schlagkräftiger gegen die Kritik an der AfD aus der Zivilgesellschaft vorgehen zu können.

Es ist überdies weiter von großer Bedeutung für die strategische Kommunikation der AfD im Osten, dass sie die sozialen Netzwerke im Internet effektiv nutzt und permanent mit Inhalten versieht. Filmschnipsel, Polizeimeldungen zu vermeintlicher oder tatsächlicher Kriminalität von Migrant*innen werden gemixt mit Verschwörungsmythen und dem Schüren eines diffusen Hasses auf die Eliten und das Establisment. In ihren Kernmilieus konkurriert die Partei auf Augenhöhe mit MDR und RTL. Sie bedient über ihre Social-Media-Kanäle die Vertrauenskrise der öffentlich-rechtlichen Medien, die im Osten messbar gestiegen ist, und verstärkt diese.

Die Rolle der CDU und Wege der Normalisierung

Angesichts der Wahlerfolge der AfD mehren sich in den ostdeutschen CDU-Landesverbänden Stimmen, die auf eine Kooperation beider Parteien drängen. Diese Kooperation ist für die kommunale Ebene vielfach bereits belegt. Auf Landesebene wird sie namentlich von den CDU-Führungen noch tabuisiert. Doch an der CDU-Basis rumort es. Bereits zum zweiten Mal innerhalb weniger Monate war Anfang September aus dem rechten Flügel der CDU in Sachsen-Anhalt der Ruf nach einer Enttabuisierung der AfD zu hören. Spätestens nach der Landtagswahl in Thüringen Ende Oktober dürften diese Stimmen aus der CDU im Osten lauter werden. Es steht allerdings nicht zu erwarten, dass die AfD bereits jetzt in eine der Landesregierungen eintreten wird.

Einfluss wird sie dennoch ausüben können: Die Präsenz im Parlament eröffnet der AfD nicht nur Zugang zu erheblichen finanziellen und personellen Ressourcen, sie öffnet auch Türen in Gremien. Die Landtagsfraktionen haben Anspruch auf Vertretung in Beiräten von Institutionen und öffentlichen Stiftungen, und können somit entweder deren Kurs mitbestimmen oder zumindest den bisherigen Kurs massiv in Frage stellen. Ob kommunalpolitischer Stammtisch oder Fernsehtalk - Versuche, die Vertreter*innen der AfD außen vor zu lassen, werden rasch an ihr Ende kommen. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der Politik der AfD in den Bereichen Kommune, Soziales und Kultur muss ihre rechtsextreme Ideologie und Agenda nachvollziehbar decodieren.

Die Normalisierung, die sich daran erkennen lässt, dass selbst ein Mann mit originär neonazistischer Vergangenheit wie Andreas Kalbitz in Brandenburg in Medien und Öffentlichkeit reüssieren kann, ohne politisch zum Rückzug gezwungen zu sein, zeigt das ganze Ausmaß der gesellschaftlichen Rechtsverschiebung seit 2015 im Osten. Es ist keineswegs allein die AfD als Partei, die diesen Prozess fördert. Die systematische Enttabuisierung rechter Politikangebote seit den 1990er Jahren in Ostdeutschland hat die Akzeptanz für eine gesellschaftliche Rechte geschaffen, in der Rassismus, Autoritarismus, Gewaltaffinität und Elemente faschistischer Ideologie abgestuft auf Schweigen, Duldung und Zustimmung stoßen. Wo offen rechtsextreme Einstellungen und Handlungsweisen als Teil der Meinungsfreiheit enttabuisiert sind, ist die AfD als politische Formation nur eine Teilmenge dieser gesellschaftlichen Rechten. Die Meinungsfreiheit steht in Ostdeutschland aufgrund der historischen Erfahrung mit ihrer Abwesenheit hoch im Kurs. In ostdeutschen Debatten tut man sich unter Verweis darauf mit Grenzziehungen gegenüber rassistischen und rechtsextremen Inhalten schwer. So kann die AfD unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit die Normalisierung und Verharmlosung rechtsextremer Inhalte vorantreiben.

Der Ruf der AfD, Schulen, Vereine und Verbände hätten sich ihr gegenüber politisch neutral zu verhalten, also keine Kritik zu üben, erwies sich im Osten im zurückliegen Jahr als wirkungsvolle Waffe, um Kritik an der Partei zurückzudrängen oder ganz zum Schweigen zu bringen. Als die AfD sogenannte Meldeportale einrichtete, auf denen Schüler*innen Lehrkräfte melden sollten, die sich allzu kritisch im Unterricht zur AfD äußerten, war dies für die Partei ein medialer Erfolg - und sorgte zugleich in ostdeutschen Lehrerkollegien für Verunsicherung. Ob Theater oder Rockkonzert: Die AfD hat sich das angebliche Neutralitätsgebot von öffentlichen Institionen gegenüber politischen Parteien angeeignet, um damit ihre Gegner*innen in Kultur und Gesellschaft zu erpressen.

Ausblick

Nach den Wahlen traf der Jenaer Soziologe Robert Feustel die Einschätzung, die AfD könne ihre Wählerschaft nicht weitere fünf Jahre in einem Zustand andauernder Mobilisierung, emotionaler Erregbarkeit und fortschreitender Radikalisierung halten. Irgendwann werde der Impuls der Polarisierung und Mobilisierung erlahmen. Ebenso verhalte es sich mit den gesellschaftlichen Geländegewinnen, die sich nicht unendlich ausdehnen ließen. Diese der Bewegungsforschung entlehnte Annahme hat sich in Bezug auf die AfD und Ostdeutschland bislang nicht bestätigt. Zwar stagniert die Partei in der Wählergunst derzeit, was jedoch nicht heißt, dass sie ihr Reservoir bereits ausgeschöpft hat. Zudem zeigen die zurückliegenden vier Jahre, dass der Resonanzraum für Interventionen von rechtsaußen im Osten weit über das Kernmilieu der AfD-Wählerschaft hinausreicht, wo es um rassistische Mobilisierungen wie in Chemnitz und Köthen geht. Solange es nicht gelingt, die AfD im Osten von der politischen Eskalation von Ressentiments und Emotionen abzuschneiden, ist für die Partei durchaus noch Luft nach oben.

Den vielfältig unter Druck stehenden Gegner*innen der AfD im Osten stehen schwere Zeiten bevor. Die mit dem Ziel geführten Angriffe von rechts, diese Gegner*innen zum Schweigen zu bringen, kann nur mit umsichtiger Solidarität entgegengetreten werden. Aus dem Osten und aus dem Westen.

Marcel Hartwig lebt in Halle/Saale und Leipzig und ist in der Jugendbildung tätig. In ak 646 schrieb er über den Start der AfD ins Wahljahr 2019.