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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 653 / 15.10.2019

Aufgeblättert

Emmy Hennings

Als DADA-Mitbegründerin und Teil der Avantgarde ist Emmy Hennings (1885-1948) zwar keine Unbekannte. Trotzdem hat sie lange ein anekdotisches und attributives Dasein gefristet und ist vor allem als morphinsüchtige Varieté-Künstlerin, mittellose Streunerin sowie Geliebte von (u.a. Johannes R. Becher) und, später, Frau von (Hugo Ball, dem legendären Gründer des Cabaret Voltaire) in die Literaturgeschichte eingegangen. Dass Emmy Hennings außerdem eine großartige Schriftstellerin war, gilt es immer noch wieder zu entdecken. Die Neuausgabe ihres zweiten Romans »Das Brandmal« (1920) gibt dazu einen wichtigen Anstoß. Erzählt wird die Geschichte von Dagny, einer jungen, verarmten Schauspielerin, die sich von einem elenden Engagement zum nächsten hangelt und dabei nicht nur ihre Kunst, sondern mitunter auch ihren Körper verkauft. Es ist ein tieftrauriger, halt- und schonungsloser Text, der einen unsentimentalen, zudem genuin weiblichen Blick auf die zerstörerische Welt der »Animierdamen« und »Freudenmädchen« sowie die oftmals verklärte Bohème zu Beginn des 20. Jahrhunderts wirft. Zur hohen Authentizität tragen nicht nur die Tagebuchform und Ich-Erzählhaltung bei, sondern auch etliche biografische Parallelen zur Vita der Autorin. Trotzdem ist »Das Brandmal« kein Schlüssel-, Memoiren- oder Dokumentarroman, sondern vor allem die poetisch gestaltete Selbstsuche eines prekären Ichs, das sich immer wieder abhanden zu kommen droht und sich immer wieder in der Sprache auffängt.

Stefanie Bremerich

Emmy Hennings: Das Brandmal. Das ewige Lied. Mit einem Nachwort von Nicola Behrmann. Wallstein Verlag, Göttingen 2017. 508 Seiten, 24,90 EUR.

Paula Thiede

Als Monika Wulf-Mathies 1982 überraschend zur ÖTV-Vorsitzenden gewählt wurde, schrieb Der Spiegel, dies markiere »für die westdeutschen Gewerkschaften eine möglicherweise weitreichende Trendwende«: Erstmals wurde eine Frau Vorsitzende einer DGB-Gewerkschaft; überdies sah Der Spiegel die promovierte Germanistin aber auch als Vorbotin einer Entproletarisierung an der Spitze der Gewerkschaften, einer Abkehr von den »Arbeiterfunktionären« früherer Zeiten. Unter diesen war indes schon einmal eine Frau: Paula Thiede, die 1898 Vorsitzende des Verbandes der Buch- und Steindruckerei-Hilfsarbeiter und -Arbeiterinnen Deutschlands und damit erste Vorsitzende einer gemischtgeschlechtlichen Gewerkschaft wurde. In Berlin gibt es seit 2004 das Paula-Thiede-Ufer, doch wusste man über die Namensgeberin bislang wenig. Auch weil Thiede - anders als etwa Rosa Luxemburg oder Clara Zetkin - aus proletarischen Verhältnissen stammte und kaum persönliche Quellen hinterließ. Nun hat der Historiker Uwe Fuhrmann eine Biografie Thiedes geschrieben, deren Mädchenname Berlin lautete. Die Stadt Berlin wiederum ist Schauplatz des Lebens und Wirkens der Porträtierten; zu Lebzeiten Thiedes (1870-1919) ein Zentrum der Industrialisierung, der Arbeiterbewegung, der proletarischen sowie bürgerlichen Frauenbewegung. Mittendrin bewegte sich, wie in dem Buch lebendig vermittelt wird, die Gewerkschafterin. Und sie führte dabei ein Leben, das der Autor als »geradezu unwahrscheinlich« bezeichnet.

Nelli Tügel

Uwe Fuhrmann: »Frau Berlin« - Paula Thiede (1870-1919). Vom Arbeiterkind zur Gewerkschaftsvorsitzenden. UVK, Konstanz 2019. 228 Seiten, 17 EUR.

68 selbstorganisiert

Die Autobiografie von Lothar Binger gibt einen umfassenden, mit vielen Originaldokumenten versehenen Einblick in den antiautoritären und undogmatischen Flügel der 68er-Bewegung. Binger schildert seine Erfahrungen in der Stadtteilarbeit, der Jugendarbeit, mit der Gründung der ersten Kinderläden, Undergroundzeitungen und linker Verlage, den ersten Hausbesetzungen und Stadteilfesten, der Entstehung von Lehrlingstheatern, der Band Ton Steine Scherben und dem Leben in Kommunen. Dabei geht es ihm nicht um eine rückwärtsgewandte Verklärung oder Distanzierung, sondern um eine nüchterne Darstellung und Analyse des Versuchs der Revolutionierung der Verkehrsformen und antiautoritären Selbstorganisation. Das Buch gibt nicht nur einen detaillierten Einblick in die Probleme und Erfolge der Organisierung von Mieter*innen und Jugendlichen, sondern auch in die Widrigkeiten der individuellen Emanzipation, sei es des Geschlechterverhältnisses oder der antiautoritären Erziehung und des Zusammenlebens mit Kindern. Spannend sind auch die beschriebenen Ansätze der Selbstorganisation in Basisgruppen und die Versuche ihrer überregionalen Vernetzung und theoretischen Fundierung, sowie deren beispielhafte Selbstverständigung im Info Berliner Undogmatischer Gruppen. Einleitend beschreibt Binger die eigene Politisierung und die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen der 68er Revolte. Das Buch ist das wichtige Dokument eines Zeitzeugen, aus dessen Erfahrungsschatz sich auch heute noch lernen lässt.

Paul Lehning

Lothar Binger: 68 selbstorganisiert & antiautoritär. Die Jahre 1967-1978. Selbstverlag, Berlin 2018. 464 Seiten, 19,68 EUR, 68selbstorganisiert.wordpress.com.

Rohstoffkonflikte

Der Rohstoffsektor bildet die Grundlage für den materiellen Wohlstand der Menschen, deshalb sind an ihm mehr als nur die typischen Player wie Erdölgesellschaften oder Minenbetreiber beteiligt. Längst interessieren sich auch Finanzdienstleister für die Rendite aus dem Abbau von Rohstoffen oder der Enteignung von Bäuerinnen und Bauern aus dem Globalen Süden. Das im Transcript Verlag erschienene »Wörterbuch Land- und Rohstoffkonflikte« spricht sowohl jene an, die zu diesen Sektoren politisch arbeiten, als auch Menschen, die einfach nur mehr über die Folgen westlicher Lebensweisen erfahren wollen. Zwar haben es Themen wie fossile Verbrennung, CO2-Senken und Land Grabbing in die Medien geschafft, doch oftmals werden diese einzeln und fragmentiert besprochen. In über 40 Artikeln von Autor*innen aus verschiedenen Disziplinen taucht das Wörterbuch tief in die einzelnen Diskussionen ein. Die Zusammenstellung ist gut gelungen, vor allem wegen der Gegenüberstellung der CO2-intensiven Industrie und den Defiziten der Gegenmaßnahmen in Programmen wie REDD+, an denen auch Nichtregierungsorganisationen beteiligt sind. Das Wörterbuch zeigt auf, welche Rolle multilaterale Player, die vorgeben, an friedlichen Lösungen zu arbeiten, in Problematiken wie Enteignungen und den gewaltvollen Arbeitsbedingungen in der Industrie spielen. Gleichzeitig beschreibt es den Widerstand der Enteigneten und verweist somit auf Wege für eine solidarische Herangehensweise.

Paul Dziedzic

Jan Brunner, Anna Dobelmann, Sarah Kirst, Louisa Prause (Hg.): Wörterbuch Land- und Rohstoffkonflikte. Transcript Verlag, Bielefeld 2019. 326 Seiten, 24,99 EUR.