Titelseite ak
ak Newsletter
ak bei Diaspora *
ak bei facebookak bei Facebook
Twitter Logoak bei Twitter
Linksnet.de
Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 653 / 15.10.2019

Richtig deckeln, dann enteignen

Diskussion Wie Mietendeckel und Vergesellschaftung die Verwertungsstrategien des Immobilienkapitals durchkreuzen können

Von Ralf Hoffrogge und Stephan Junker

Richtig Deckeln, dann Enteignen« - unter diesem Motto gingen am 3. Oktober in Berlin 4.000 Mieterinnen und Mieter auf die Straße. Jahrelang war der Slogan »Hopp, Hopp, Hopp - Mietenstopp!« auf jeder stadtpolitischen Demo nicht nur in Berlin zu hören - doch wirklich umsetzbar schien dies nicht. Seit sich die Bewegung mit einem Volksbegehren zur Enteignung großer Immobilienkonzerne neu aufgestellt hat, ist der Deckel aber für manchen plötzlich das kleinere Übel - der »Mietenstopp« wurde von Teilen der SPD in die Debatte eingebracht. Der dort verankerten Baulobby ist das gar nicht recht: Sie sabotierte den Vorschlag so energisch, dass mittlerweile alle den Deckel für ein Projekt der Linkspartei-Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher halten.

Was für Rot-Rot-Grün eine Koalitionskrise in Permanenz bedeutet, ist eine gute Ausgangslage für die sozialen Bewegungen Berlins. Denn in der Mietenfrage ist geschafft worden, was andernorts schmerzlicherweise nicht gelingt: Die Antworten auf eine soziale Krise kommen von links und nicht von rechts. Statt »Wohnraum nur für Deutsche« diskutiert die Hauptstadt irgendwo zwischen Mieterhöhungsverbot und Enteignung. Sebastian Gerhardt und Phillip Mattern (Berliner Mietergemeinschaft) gefällt das mit dem Deckeln und Enteignen dennoch nicht - in ak 652 erklärten sie den Mietendeckel für »nicht radikal« und die Vergesellschaftung für nicht realistisch. Beides ist Unsinn: Gerade, weil radikale Lösungen realistisch werden, erlebt die Berliner stadtpolitische Bewegung einen Aufschwung.

Der Deckel - oder ein Sieb?

Der »Deckel« ist eigentlich eine Metapher für ein öffentliches Preisrecht, das auf Landesebene die im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) enthaltenen Vorschriften zum Mietrecht überlagern soll. Bereits nach dem Ersten Weltkrieg gab es in vielen Ländern der Weimarer Republik preisrechtliche Vorschriften zur Begrenzung von Mieten, ebenso nach dem Zweiten Weltkrieg. Seit der Föderalismusreform 2006 ist das »Wohnungswesen« eindeutig den Ländern zugeordnet. Auch jetzt wäre es wieder möglich, mit dem Preisrecht das klassische Mietrecht auszustechen, so der Jurist Peter Weber, der als erstes auf diesen Zusammenhang hinwies. Jedes Bundesland kann also Mieterhöhungen schlicht verbieten!

Dennoch schreiben Mattern und Gerhardt: »Der Mietendeckel ist nicht radikal, er kann es auch gar nicht sein. Denn er geht im Sinne des Wortes keinem Problem an die Wurzel.« Sie begründen ihre Meinung mit Umsetzungsproblemen - und verfehlen damit den Punkt. Zwar stimmt es, dass die Berliner Bezirksämter aus Personalnot unfähig sind, geltende Vorschriften zu Zweckentfremdung oder Milieuschutz zu erzwingen. Doch wäre es möglich, einen Mietendeckel ohne Bezirksamt zu machen: als Mietobergrenze, die gegebenenfalls von den Mietparteien durch Mietminderung umgesetzt oder vor Gericht eingeklagt werden kann.

Es geht also beim Deckeln um die Details der Umsetzung. Während der erste Entwurf der Linkspartei noch für fünf Jahre eine starre Mietobergrenze von acht Euro/qm vorsah, inklusive einer Absenkung überhöhter Mieten, sind die aktuellen Pläne an vielen Stellen weichgespült. Probleme gibt es viele: aktuell sind Quadratmetermieten von bis zu 9,80 Euro/qm erlaubt, ein Modernisierungszuschlag kommt hinzu, statt des Einfrierens sollen jährlich Erhöhungen von 1,3 Prozent erlaubt sein. Nicht gelten soll der Deckel für Vermieter*innen in wirtschaftlicher Notlage - eine Einladung für Vermieter*innen, sich arm zu rechnen. Und schließlich: Mietsenkungen werden in Frage gestellt. Bürgermeister Michael Müller will sie ganz vermeiden. Im aktuellen Entwurf stehen sie noch - aber nur, wenn die Miete 30 Prozent des Haushaltseinkommens übersteigt. Dies pervertiert den Gedanken eines Preisrechts. Anstatt den Preis für eine Ware festzusetzen, um spekulative Effekte zu begrenzen, wird ein besonderes Armenrecht eingeführt. Laut Berliner Mieterverein ist diese Regel auch ein Risiko für den Deckel: Nur per Preisrecht lässt sich der Deckel umsetzen. Er muss anhand der Wohnung bestimmt werden, unabhängig von den Vertragspartner*innen. Macht der Senat hier weiter, erhöht sich also das Risiko, dass der Deckel vorm Bundesverfassungsgericht kassiert wird.

Kurzum: Beim Deckel gibt es zwei Probleme - einerseits die Durchlöcherung mit Ausnahmen, andererseits das Risiko, dass die ganze Sache handwerklich schlecht umgesetzt wird und vor Gericht platzt. Die Senatskoalition, auch die Linkspartei, hat die Bevölkerung auf letztere Möglichkeit nicht vorbereitet - viele glauben, der Deckel sei schon im Juni fest beschlossen worden, weil damals ein Stichtag für die Geltung vereinbart wurde. Es ist also richtig, wenn die sozialen Bewegungen sich hier einmischen. Das Argument von Mattern und Gerhard, eine »bereits stattgefundene Explosion kann man nicht aufhalten«, ist dagegen unverständlich und fatalistisch.

Enteignung: notwendig, legal und bezahlbar

Der Deckel alleine ist jedoch keine Lösung, denn er soll nur fünf Jahre gelten. Eine langfristige Lösung bietet das Projekt der Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen, das alle Immobilienkonzerne mit mehr als 3.000 Wohnungen in Berlin nach Artikel 15. Grundgesetz vergesellschaften will. Da an der Radikalität dieses Vorhabens kaum zu zweifeln ist, wird von Mattern und Gerhardt die Entschädigung herangezogen, um das Vorhaben für unmöglich zu erklären: Eine Milliardenentschädigung würde die Immobilienkonzerne »mit frischen Mitteln für neue Spekulation ausstatten«. Das Argument ist nicht nur falsch, sondern politisch fatal. Denn alle juristischen Gutachten haben festgestellt, dass auf gar keinen Fall der Verkehrswert gezahlt werden muss. Selbst das von Mattern und Gerhardt zitierte Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Abgeordnetenhauses schlägt nur eine »Orientierung« am Verkehrswert der Grundstücke vor - und plädiert für 20 Prozent Abzug vom Marktpreis. Andere Jurist*innen wie Joachim Wieland aus Speyer gehen noch weiter, sie betonen, dass eine Entschädigung nach Marktwert im Artikel 15 des Grundgesetzes nicht vorgesehen ist. Der Artikel 15 erlaubt Boden- und Wirtschaftsreformen - Umverteilung ist hier die Norm, nicht der Wertersatz. Den Unternehmen wird also so ihre Geschäftsgrundlage entzogen. Mit den Wohnungen können sie kein Geld mehr machen, als Entschädigung bekommen sie weniger als den Buch- oder Börsenwert - objektiv also ein Verlust von Kapital.

Wie gefährlich Mietendeckel und Enteignung für die Wohnungsunternehmen sind, zeigt die heftige Reaktion auf die Ankündigung des Mietendeckels im Juni 2019: Die Aktie der Deutsche Wohnen SE erlitt einen massiven Kurssturz. Milliarden von spekulativem Kapital wurden verbrannt - wegen einer Ankündigung. Bei einer tatsächlich umgesetzten Enteignung in Berlin würde dieser erwünschte Effekt noch heftiger ausfallen und die ganze Branche treffen. Ein Fallen der Kurse und in der Folge auch der Immobilienpreise würde Rekommunalisierungen erleichtern. Mattern und Gerhardt spielen mit ihren fragwürdigen Behauptungen also das Spiel des Gegners, der Enteignung unmöglich scheinen lassen will. Von einer linken Mietergemeinschaft, für die Mattern spricht, erwarten wir anderes: nach Mitteln und Wegen zu suchen, um die Entschädigungshöhe für Enteignungen rechtlich und politisch möglichst weit zu drücken.

Enormer Druck wird nötig sein

Unabhängig von der Frage, ob die Unternehmen mit der Enteignung Geld machen, stellt sich die Frage nach der Bezahlbarkeit. Dabei ist die Tatsache am wichtigsten, dass bei einer Vergesellschaftung Wohnungen in öffentlichen Besitz gelangen, die jedes Jahr Milliarden an Mieteinnahmen erwirtschaften. So kann eine Entschädigung problemlos refinanziert werden: Die Entschädigung wird zu 20 Prozent vom Land Berlin vorgestreckt, zu 80 Prozent per Kredit finanziert und aus Mieteinnahmen zurückgezahlt. Nach Ablauf des Kredites macht das Land Gewinn - und kann gegebenenfalls auch die Anschubfinanzierung zurückzahlen. Was also bisher verschwiegen wird: Vergesellschaftung ist nicht teuer. Sie ist mittelfristig haushaltsneutral und langfristig ein Gewinn an öffentlichem Eigentum. Indirekt musste das selbst der Senat zugeben: Als im September für fast eine Milliarde Euro 6.000 Wohnungen in Spandau zurückgekauft wurden, betonte man öffentlich, diese Summe allein aus künftigen Mieteinnahmen zu refinanzieren.

Es ist also gerade der Realismus beider Projekte, der Berlins stadtpolitische Bewegung hinter dem Motto »Richtig Deckeln, dann Enteignen« vereint (letztlich hat auch die Mietergemeinschaft die Demo unter diesem Motto unterstützt). Enormer Druck wird nötig sein, um beides durchzusetzen. Doch auch große Akteure wie der Berlin-Brandenburger Landesverband von ver.di und der Berliner Mieterverein mit seinen 170.000 Mitgliedern haben sich mittlerweile hinter die Vergesellschaftung gestellt. Auch in der als eher links geltenden Berliner Mietergemeinschaft (BMG) mit über 20.000 Mitgliedern unterstützen viele Aktive die Forderung und haben Unterschriften gesammelt. Nicht verwunderlich, denn unter den Mitgründer*innen von Deutsche Wohnen & Co enteignen finden sich ebenfalls zahlreiche Mitglieder der BMG - unter anderem wir beide als Autoren dieses Artikels. Leider kommt jedoch von unserem Verein auch noch nach eineinhalb Jahren keine offizielle Unterstützung für das Volksbegehren. Stattdessen ist das Vorhaben in Publikationen der Mietergemeinschaft stets für unrealistisch erklärt worden, mit ähnlichen Argumenten wie jüngst in der ak. Eine Mitgliederbefragung dazu gab es nicht. Diese Situation lässt uns ratlos und enttäuscht zurück. Wir wünschen uns eine Mietergemeinschaft, die bei den wichtigen Kämpfen dabei ist - und bei der die Mitglieder gemeinsam demokratisch entscheiden, wofür sie kämpfen wollen.

Ralf Hoffrogge und Stephan Junker sind Mitglieder der Berliner Mietergemeinschaft e.V. und aktiv in der Kampagne Deutsche Wohnen & Co Enteignen.