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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 653 / 15.10.2019

Meinung

Pränataldiagnostik: Mehr als Selbstbestimmung

Wenn in einer Bundestagsdebatte alle Parteien die Mündigkeit und Selbstbestimmung von Frauen betonen, sollte das misstrauisch machen. Zuletzt geschehen im Frühjahr 2019, als über die Frage diskutiert wurde, ob die Krankenkassen künftig den pränatalen Bluttest zur Bestimmung von Trisomie 13, 18 und 21 bezahlen sollen. Noch zwei Monate zuvor beschrieben Politiker*innen in der Debatte um Paragraf 219a die Schwangere als hormongesteuert, egoistisch und frei von jeder Vernunft. Der Paragraf wurde schließlich so angepasst, dass Schwangeren Informationen über Schwangerschaftsabbrüche weiterhin nur schwer zugänglich sind. In der Debatte um den Bluttest ging es dann plötzlich um das Recht werdender Eltern auf Informationen, ergebnisoffene Beratung und Entscheidungsfreiheit der Schwangeren.

Wie passt das zusammen? Der Bluttest ist ein nicht-invasiver Pränataltest, bei dem über das Blut der Schwangeren mögliche Chromosomenabweichungen des Embryos festgestellt werden können. Mit dem Test wird also gezielt nach einer Behinderung gesucht. Diese gezielte Suche findet schon jetzt statt: Seit 2012 wird der Bluttest in Deutschland als privat zu zahlende Leistung angeboten. In bestimmten Fällen, sogenannten Risikoschwangerschaften, übernehmen die Kassen invasive Methoden wie die Fruchtwasseruntersuchung. Es ist bekannt, dass der Untersuchung keine Behandlung folgen kann, sondern die einzigen Handlungsoptionen das Austragen der Schwangerschaft oder ihr Abbruch sind. In den meisten Fällen entscheidet sich die Schwangere nach der Vorhersage einer Trisomie für einen Abbruch.

In der Bundestagsdebatte kam man der feministischen Forderung nach körperlicher Selbstbestimmung scheinbar entgegen, gleichzeitig wurde aber eine behindertenfeindlichen Praxis gestärkt: die Selektion von Leben durch Pränataldiagnostik. Zwar wurde in der Debatte im Bundestag die Frage ethisch und politisch diskutiert. Sowohl im Bundestag, als auch daran anschließend im entscheidenden Gremium, dem Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA), ging es jedoch letztendlich nur noch um die Frage, wer die Untersuchung zahlt. Der G-BA urteilte zum Schluss nach medizinisch-technischen Kriterien und entschied am 19. September, dass die Krankenkassen den Bluttest zur Bestimmung von Trisomie 13, 18 und 21 künftig in bestimmten Fällen bezahlen müssen.

Zahlreiche Sozialverbände und Initiativen für und von Menschen mit Behinderung kritisierten diese Entscheidung. Ihre Position: Dass eine weitere diskriminierende Untersuchungsmethode zur Kassenleistung gemacht wird, stärke keinesfalls Frauen, die sich für oder gegen pränatale Untersuchungen entscheiden. Die Verbände und Initiativen werten es aber als ein deutliches Signal an Menschen mit Trisomie 13,18 oder 21, das signalisiert: Ihr seid in dieser Gesellschaft nicht erwünscht. Pro Familia und andere Verbände setzten sich bereits vorab »aus Gründen der Gleichbehandlung« für die Aufnahme des Tests in den Leistungskatalog der Kassen bei Risikoschwangeren ein, da der Test bereits zugelassen, jedoch nicht für alle bezahlbar sei.

Die Debatte ist komplex. Doch sobald es nur noch um die Frage nach der Bezahlung des Tests durch die Krankenkassen geht, wird sie aus linker Sicht schwierig. Es braucht eine deutlich breitere Diskussion darum, was der Sinn von Pränataldiagnostik in einer patriarchalen, kapitalistischen, behinderten- und kinderfeindlichen ist - und welche politischen Implikationen dies hat. Fest steht: Der Ausbau medizinischer Untersuchungsmethoden zur Bestimmung des genetischen Zustands des Nachwuchses stärkt weder die Entscheidungsfreiheit, noch schafft er reproduktive Gerechtigkeit. Er verschiebt eine Diskussion, die eigentlich gesellschaftlich geführt werden muss, in den Körper der Einzelnen. Und die Einzelne wird strukturell und gesellschaftlich im Stich gelassen. Es fehlt an Unterstützungsangeboten für Eltern - insbesondere für Alleinerziehende - mit Kindern, die eine Behinderung haben. Die Sorge vor Stigmatisierung und finanzielle Ängste sind real. Menschen mit Behinderung wird es erschwert, ein selbstbestimmtes und eigenständiges Leben zu führen.

Auf Schwangeren lastet der soziale Druck, die Möglichkeiten der Pränataldiagnostik voll auszunutzen: Der Einzelnen wird vermittelt, sie trage die Verantwortung dafür, einen »gesunden« Menschen zur Welt zu bringen. Die Gesellschaft hat ihr schließlich frühzeitig angeboten, den Nachwuchs zu prüfen und ihn gegebenenfalls durch einen Abbruch zu verhindern. Dies zumindest ist die Botschaft, die von der aktuellen Debatte übrig bleibt.

Lisa Mangold