It's the ideology, stupid
Deutschland Nicht Gaming motivierte den Attentäter von Halle, sondern die Ideologie vom »großen Austausch«
Von Carina Book
Nach dem Angriff auf eine Synagoge und einen Döner-Imbiss in Halle am 9. Oktober, dem Tag des jüdischen Feiertages Jom Kippur, sind im Internet Dokumente des Attentäters aufgetaucht. Sie beschreiben seinen Plan für den Terroranschlag und die verwendeten Eigenbauwaffen detailliert.
Die Dokumente lesen sich wie ein selbst entworfenes Level des Computerspiels Warhammer 40k mitsamt Belohnungssystem für »erfüllte Aufgaben«. »Become a Techno-Barbarian« (ein Techno-Barbar werden) ist eine dieser Belohnungen. Der Plot von Warhammer 40k ist ein Kampf in einem Untergangsszenario. Monster als Bedrohung von außen und ein Teil der Menschheit, der sich auf die Seite des Bösen geschlagen hat, unterjochen das Universum. Techno-Barbaren nehmen den Kampf dagegen auf, um das Universum zu befreien.
Doch geht es nicht um ein Computerspiel - es fungiert vielmehr als Metapher -, und der Attentäter von Halle ist kein verwirrter Einzeltäter, der nicht mehr zwischen Realität und Computerspiel unterscheiden konnte. Nach dem Attentat darüber zu reden, wie gefährlich etwa Ego-Shooter-Spiele sind oder welche Rolle Foren im Internet spielen, würde darüber hinwegtäuschen, dass etwas anderes die Tat motivierte, die international mächtigste Erzählung der Rechten: die vom »großen Austausch«.
Alle rechtsterroristischen Attentäter der letzten zehn Jahre haben sich in ihren »Manifesten« auf die Erzählung des großen Austauschs bezogen. Ein Untergangsszenario wie in Warhammer 40k. Eine Verschwörungstheorie, nach der eine »links-grüne 68er-Multi-Kulti-Elite« die Verdrängung der Weißen plane - eine wenig verklausulierte und erneuerte Variation der Nazi-Erzählung von der »jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung«. Durch die gezielte Lenkung von Migration werde die Verdrängung der Weißen herbeigeführt. Denn Migrant*innen hätten, so geht die Verschwörungstheorie weiter, höhere Geburtenraten. Jene Weißen würden durch Gendermainstreaming, Feminismus und die Möglichkeit von Abtreibungen künstlich gesenkt. Außerdem ziele die Sexualpädagogik an Schulen darauf, Jungen zu »verschwulen«. Das führe wiederum dazu, dass weiße Männer nicht mehr wehrhaft gegenüber der heraufbeschworenen Bedrohung durch muslimische Männer seien.
Das Untergangsszenario, das so aufgebaut wird, läuft auf »töten, oder getötet werden« hinaus und dient zur Begründung eines angeblichen heroischen Widerstandsrechts. Es ist die Erzählung von der letzten Chance im Angesicht eines heraufbeschworenen Endkampfes, die aus den Schriften von Vordenkern der Konservativen Revolution bekannt ist. Der Glaube an den großen Austausch macht aus Terroristen Widerstandskämpfer für die »weiße Rasse«. Die Opfer der rechtsterroristischen Anschläge in Utøya und Oslo (Norwegen), Christchurch (Neuseeland), El Paso (USA) und Halle (Deutschland) waren Muslim*innen, PoC, Jüdinnen und Juden sowie Linke. Sie wurden aufgrund einer die Rechten verbindenden antimuslimischen, rassistischen, antisemitischen und antikommunistischen Ideologie getötet - nicht wegen Onlineforen oder Computerspielen.
Die Rechtsterroristen aber wurden in allen Fällen öffentlich zu Einzeltätern erklärt. Sicher, sie haben allein gehandelt, und doch verstanden sie sich als Teil einer globalen White-Supremacists-Bewegung, die sich virtuell austauscht, Schriften teilt, neonazistische Anschläge im Stream live verfolgt - und Schützenhilfe aus der realen Welt bekommt. Denn die Apologeten von Untergangsfantasien und vom Kampf gegen den großen Austausch sind nicht nur versprengte Nazi-Nerds. Unter ihnen sind Präsidenten, Minister, Bundestagsabgeordnete und ehemalige Verfassungsschutzschefs. Sie heißen Donald Trump, Matteo Salvini, Alexander Gauland oder Hans-Georg Maaßen. Darüber müssen wir reden.