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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 654 / 12.11.2019

Während wir auch die patriarchale Gesellschaft angriffen

Geschichte In den 1970ern begannen sich Schwule und Lesben in der DDR zu organisieren

Von Paula Klein

Eine Gruppe von 20 Frauen fährt 1984 gemeinsam in die Gedenkstätte Ravensbrück - Brandenburg/ DDR. Ihr Ziel: der lesbischen Opfer des Faschismus zu gedenken. Sie legen einen Kranz mit Schleife nieder, auf der steht: »Zum Gedenken an das Leid der Frauen des ehemaligen KZ Ravensbrück - Arbeitskreis Homosexuelle Selbsthilfe - Lesben in der Kirche«. Außerdem tragen sie sich in das ausliegende Gästebuch ein. Als sie ein paar Tage später nochmal vor Ort sind, müssen sie feststellen, dass ihr Eintrag und der Kranz mitsamt Schleife entfernt wurden.

Die Gruppe Lesben in der Kirche, die den Kranz abgelegt und sich in das Gästebuch eingetragen hatte, war die erste eigenständige Lesbengruppe in der DDR. Der Arbeitskreis (AK) Homosexuelle Selbsthilfe - Lesben in der Kirche (LiK) war zu Beginn der 1980er Jahre in Ost-Berlin gegründet worden. Die Räume der Evangelischen Kirche wurden aus Mangel an Alternativen genutzt, die Mitglieder der Arbeitskreise waren meist nicht christlichen Glaubens. Zunächst hatte es gemeinsame Treffen von Lesben und Schwulen gegeben. Doch schon nach dem zweiten Treffen trennten sich die Arbeitskreise. Die Aktivistin Marinka Körzendörfer erklärte dies später so: »Nach unserer Auffassung beschränkten sich die Schwulen in ihrer Kritik auf die Diskriminierung und Benachteiligung von Homosexuellen, während wir Lesben auch die DDR-Gesellschaft mit ihrer trotz offiziell betonter und gesetzlich festgeschriebener Gleichberechtigung der Frau als eine in ihrer Struktur patriarchale Gesellschaft angriffen.«

Auf dem Weg zum Sonntags-Club

Bereits in den 1970er Jahren hatten Lesben und Schwule in der DDR damit begonnen, sich zu organisieren. Die Homosexuelle Interessengemeinschaft Berlin (HIB) war 1973 gegründet worden. Große Schwierigkeiten hatten die Initiator*innen damit, Räume für öffentliche Veranstaltungen zu mieten. Deshalb traf man sich oft in Gaststätten oder Privatwohnungen und tarnte Treffen als Geburtstagsfeiern. Ab 1974 konnten Räumlichkeiten im Gründerzeitmuseum in Berlin-Mahlsdorf genutzt werden. Es wurden Vorträge, Diskussionen, Ausflüge und Kinobesuche organisiert. Außerdem versuchte die HIB für das Thema Homosexualität zu sensibilisieren, indem sie staatliche Stellen anschrieb. Als die Interessengemeinschaft einen Verein anmelden wollte, wurde das allerdings abgelehnt. In der Begründung des Ministeriums für Gesundheit hieß es, dass »dafür kein gesellschaftliches Bedürfnis« vorliege.

1978 planten zwei Frauen ein größeres Fest für Lesben in Berlin. Dazu verschickten sie Einladungen an Frauen in der ganzen DDR, die sie über Briefwechsel-Anzeigen in der Zeitung kennengelernt hatten. Wenige Tage vor der Feier wurde eine der Frauen ins Polizeipräsidium bestellt und befragt. Trotz der Zusicherung, dass die Veranstaltung stattfinden könne, sperrten Polizisten am Tag der Feier die Zugänge zu den Räumen im Gründerzeitmuseum in Mahlsdorf. Die angereisten Frauen wichen auf Gaststätten und eine Wohnung aus. In der Folge wurden sämtliche Veranstaltungen im Gründerzeitmuseum untersagt, was sich auch negativ auf die HIB auswirkte, da sie keinen Raum mehr hatte - 1980 beendete sie ihre Aktivitäten.

Heterosexuelle Ehe als Norm

Einige der ehemaligen Mitglieder und andere versuchten weiter, einen Treffpunkt für Lesben und Schwule zu organisieren. 1986 bekamen sie die Möglichkeit, Räumlichkeiten eines Jugendclubs zu nutzen. Es gab dort jeden zweiten Sonntag Veranstaltungen für Lesben und Schwule. Im Winter 1986/87 wurde der Klub geschlossen - der Freundeskreis, der sich jetzt Sonntags-Club nannte, musste wieder auf Gaststätten zurückgreifen oder Ausflüge machen. Anders als im kirchlichen Arbeitskreis (AK) Homosexuelle Selbsthilfe blieben Schwule und Lesben im Sonntags-Club gemeinsam organisiert: In den Entscheidungspositionen gab es von Beginn an eine paritätische Verteilung. Der Sonntags-Club existiert noch heute im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg.

Verglichen mit der BRD war die rechtliche Situation für Schwule und Lesben in der DDR weniger repressiv. Nach 1945 galt in der Bundesrepublik bis 1969 die von den Nazis im Jahr 1935 verschärfte Fassung des Paragrafen 175, der Homosexualität unter Strafe stellte; es kam zu 64.000 Verurteilungen in Westdeutschland. 1969 wurde das Totalverbot zwar aufgehoben, allerdings galten für sexuelle Handlungen noch immer unterschiedliche Altersgrenzen für männliche Homosexuelle und Heteros. Für Schwule lagen diese zunächst bei 21 und ab 1973 bei 18 Jahren, für Heteros bei 16 Jahren. Erst 1994 wurde in der BRD der Paragraf 175 abgeschafft. In der DDR wurde er seit Ende der 1950er Jahre nicht mehr angewendet und 1968 ganz aus dem Strafgesetzbuch gestrichen. Bis 1988 blieb allerdings der Paragraf 151 StGB erhalten, der Beziehungen zu unter 18-Jährigen gleichen Geschlechts unter Strafe stellte. Erstmals wurden hier auch gleichgeschlechtliche Handlungen zwischen Frauen erfasst. Für Heteros galt im Unterschied dazu - wie in der BRD - ein Schutzalter von 16 Jahren.

Auch wenn die DDR auf der juristischen Ebene fortschrittlicher als die BRD war, waren Schwule und Lesben von gesellschaftlicher Anerkennung weit entfernt. Das Thema Homosexualität wurde öffentlich kaum behandelt und kam in Medien oder bei Veranstaltungen fast nicht vor. Bis Ende der 1970er Jahre wurde in der DDR meist nicht von Homosexuellen, Lesben oder Schwulen gesprochen, sondern stattdessen der Begriff homophil verwendet.

Die gesellschaftliche Norm war auch in der DDR die heterosexuelle monogame Ehe. Im Familiengesetzbuch von 1965 stand: »Die Familie ist die kleinste Zelle der Gesellschaft. Sie beruht auf der für das Leben geschlossenen Ehe und auf den besonders engen Bindungen, die sich aus den Gefühlsbeziehungen zwischen Mann und Frau (...) ergeben.« Für diese Familienform gab es staatliche Unterstützung in Form von Ehekrediten, Bevorzugung bei der Wohnungsvergabe und geringere Lohnsteuern. Alternative Lebensformen wie Wohngemeinschaften und Kommunen existierten kaum. Schwule und Lesben, die als Paar eine gemeinsame Wohnung bekommen wollten, wurden nicht wie heterosexuelle Paare bevorzugt, da sie nicht standesamtlich registriert waren. Insbesondere für Lesben und Schwule in ländlichen Regionen war es zudem schwierig, überhaupt Kontakte zu knüpfen, denn Treffpunkte und Austauschmöglichkeiten fehlten. Selbst das Schalten von Kontaktanzeigen war problematisch. Ursula Silge, eine Mitbegründerin des Sonntags-Clubs, erhielt 1975 eine Ablehnung der Veröffentlichung ihrer Kontaktanzeige. Der Text lautete: »Jg. Frau, 30 J. sucht Briefpartnerin, Interessen Literatur, Kunst, Reisen«. Die Redaktion der Wochenpost wollte den Text nur dann drucken, wenn die Briefpartnerin in Briefpartner geändert würde. Erst ab 1985 gab es für Lesben und Schwule die Möglichkeit, eindeutige Kontaktanzeigen zu schalten.

»Anstoß erregen«

Ebenfalls im Jahr 1985 - am 20. April - machten sich die Lesben in der Kirche erneut, wie schon 1984, gemeinsam auf den Weg, um die Gedenkfeier in Ravensbrück zu besuchen. Sie hatten dazu wieder ein Blumengebinde mit Schleife bestellt. Diejenige, die das Gebinde in Auftrag gegeben hatte, wurde am 19. April zur »Klärung eines Sachverhalts« auf ein Polizeirevier gebeten und eine Stunde lang befragt. Die Polizisten teilten ihr mit, dass eine Ehrung der Opfer des Faschismus durch die Gruppe nicht genehmigt werde. Die Frauen beschlossen, dennoch nach Ravensbrück zu fahren - ohne Blumengebinde und in kleineren Gruppen. Zivilbeamte folgten ihnen bis zum Bahnhof Fürstenberg, wo elf Frauen festgehalten und ihre Ausweise eingesammelt wurden. 30 Bereitschaftspolizisten trieben sie zu einem LKW, beschimpften und beleidigten die Frauen, um sie anschließend in einer Schule in Fürstenberg einzeln zu verhören. An der Gedenkfeier konnten sie nicht teilnehmen. Durch Beschwerden und Eingaben an den Innenminister erreichten sie allerdings, dass Vertreter des Ministeriums sich für das Verhalten der Polizei entschuldigten. Bezüglich der Ehrung der homosexuellen Opfer des Faschismus meinten die Beauftragten des Innenministeriums jedoch, dass dies Anstoß bei der Mehrheit der Bevölkerung erregen würde und deshalb nicht möglich sei. Ein Jahr später, 1986, fuhren die Frauen wieder nach Ravensbrück. Diesmal wurden sie nicht aufgehalten. Ihr Eintrag im Gästebuch jedoch wurde ein weiteres Mal entfernt.

Auch heute noch gibt es Konflikte um eine Würdigung der lesbischen Opfer des Faschismus in der Gedenkstätte Ravensbrück. Die Initiative »Autonome feministische FrauenLesben aus Deutschland und Österreich« setzt sich seit Jahren für die Installation einer Gedenkkugel in der Gedenkstätte ein, mit folgender Inschrift: »In Gedenken aller lesbischen Frauen und Mädchen im Frauen-KZ Ravensbrück und Uckermark. Lesbische Frauen galten als entartet und wurden als asozial, als widerständig und verrückt und aus anderen Gründen verfolgt und ermordet. Ihr seid nicht vergessen!« Bis heute konnte dieses Vorhaben nicht umgesetzt werden - der Beirat der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten ist mit der Inschrift nicht einverstanden.

Paula Klein ist politische Aktivistin und Feministin. Sie ist organisiert in der Gruppe Revolutionäre Perspektive Berlin.