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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 654 / 12.11.2019

Ich glaube an Sehgewohnheiten

Gender Die Pornofilmregisseurin Anna Brownfield über sinkende Budgets, Greenwashing in der Pornoindustrie und alternative Darstellungen

Interview: Theresa Hartmann

Penisse und Erektionen standen früher im Mittelpunkt pornografischer Filme. Doch damit soll Schluss sein, wenn es nach den Macher*innen feministischer Pornografie geht. Seit den 1970er Jahren formiert sich eine sexpositive Bewegung, die den Pornos der patriarchalen Gesellschaft nicht mit Zensur und Illegalisierung, sondern mit der Entwicklung eigener feministisch-pornografischer Konzepte beikommen will. Teil davon ist die Gewinnerin des diesjährigen PorYes-Awards Anna Brownfield. Sie arbeitet in Australien als feministische Pornomacherin unter illegalisierten Bedingungen und mit niedrigen Budgets. Was hat sich wirklich im Porno-Metier geändert?

Dir wurde im Rahmen des PorYes-Awards die feministische Auster für deinen Film »The Band« verliehen. Der Film thematisiert die männlich dominierte Musikindustrie und macht sich über das Mackertum der Branche lustig. Das alles natürlich auf erotische Art und Weise. Ist das deine Art zu zeigen, dass Sexismus und Heteronormativität nicht nur Probleme der Pornoindustrie sind, sondern in allen möglichen Kreativbranchen auftauchen?

Anna Brownfield: Ehrlich gesagt habe ich so noch nie über den Film nachgedacht. Ich mache einfach Filme darüber, was mir in meinem Leben so passiert. Die Idee für »The Band« kam mir, weil ich einige Jahre in Melbourne in einer Rock'n'Roll Bar gearbeitet habe. In dieser Zeit habe ich sexy Stories gesammelt, die mir von Musikern oder Managern über ihre Tourneen oder Roadtrips erzählt wurden. Die habe ich dann benutzt, um das Storyboard für »The Band« zu schreiben. Natürlich waren diese Storys alle eher männlich dominierte Aufreißergeschichten. Ich wollte aber eine weiblich dominierte Perspektive zeigen. Deshalb habe ich Machtverhältnisse umgedreht und alle Hauptrollen mit Frauen besetzt. Am Ende sind meine Filme immer politisch, weil alles um mich herum politisch ist. Weil Pornografie das Genre ist, das ich nutze, um meine politischen Beobachtungen zu teilen, wirkt es manchmal so, als wäre das ein ganz durchgeplantes Konzept. Dabei ist es eben »nur« Pornografie.

Entwickelst du jeden deiner Filme so?

Nicht immer. In meinem zweiten Film »The Bedroom« versuche ich, den sich verändernden Umgang mit Sex und Sexualität in der australischen Gesellschaft einzufangen. Hier habe ich viel mehr offensiv politische Themen verhandelt, wie etwa die Entkriminalisierung von Homosexualität oder die Rechte von Transmenschen.

PorYes hat sich ursprünglich 2009 gegründet, um sexpositive Pornografie zu feiern, die das Begehren von sexuellen Minderheiten abbildet und mit den Darstellungsweisen des Mainstreams bricht. Wie würdest du den Status quo im Mainstream heute beschreiben?

Als ich 2009 »The Band« gedreht habe, war das zu einer Zeit, in der der Markt noch von mehr oder weniger High-Budget-Produktionen dominiert wurde. Heute läuft so viel Content online über Tube-Seiten, dass niemand mehr für Pornografie so viel bezahlt, wie es damals der Fall war. Digitalisierung ist also etwas, was den Mainstream definitiv in den letzten Jahren geprägt hat, allein schon, weil die Budgets für die Filme enorm gesunken sind. Darsteller*innen werden dementsprechend auch sehr viel schlechter bezahlt als in der Vergangenheit. Es ist aber auch wichtig zu verstehen, dass damit nicht automatisch alles schlechter geworden ist. Als »The Band« entstand, ging es im Mainstream eigentlich nur um Penisse und Erektionen. Der Rest der Männerkörper war weitestgehend unsichtbar und Frauenkörper sowieso verobjektiviert. Gleichzeitig war die Darstellung sehr aggressiv, und es ging viel darum, Frauen beim Sex zu unterwerfen. Diese Art von Pornografie gibt es zwar heute auch noch zur Genüge, aber durch den unbegrenzten Raum im Netz sind noch viele andere Arten dazugekommen.

In Berlin gibt es Organisationen wie MOVE e.V., die Sexarbeiter*innen eine Plattform bieten, auf der sie sich zum Beispiel im Hinblick auf Sicherheit oder Arbeitsrechte organisieren können. Kennst du solche Formen der Organisierungsversuche auch aus der Pornografie oder speziell aus feministischen Kontexten?

Ein Problem in Australien ist, dass Pornografie ziemlich allumfassend illegalisiert ist. Die Illegalisierung macht vor feministischer Pornografie natürlich nicht Halt, so absurd uns das auch erscheinen mag. Wir dürfen nirgendwo drehen, außer in Räumen, die auch für Sexarbeit genutzt werden. Viele von uns arbeiten deswegen illegal. Es ist für uns schwierig, uns in irgendeiner Form gewerkschaftlich zu organisieren. Klar, wir können zusammenkommen und darüber diskutieren, was für Risiken mit dem Job einhergehen oder was angemessene Arbeitsrechte wären. Das interessiert aber nur wenige. Wir haben aber zum Beispiel Facebook-Gruppen, über die wir Erfahrungen austauschen.

Auf den Seiten vieler großer Anbieter findet man mittlerweile Kategorien wie »ethical« oder »female-friendly«. Ist das eine gute Entwicklung?

Auf der einen Seite zeigen diese neuen Kategorien, dass große Anbieter ihre Darstellungsweisen ändern müssen, um ihr Publikum halten zu können. Ansonsten würden sie solche Angebote nicht machen. In gewisser Weise müssen sie sich daran anpassen, dass Frauen sich die Mainstream-Pornografie nicht mehr gefallen lassen, und das ist doch gut. Auf der anderen Seite nutzen viele Unternehmen diese Kategorien wie ein Marketing-Tool, das sich bei genauerem Hinschauen als nicht viel progressiver herausstellt als die anderen Inhalte der Tube-Seiten. Das ist aber auch kein neues Phänomen. Schon in den 1980ern hat die Produzentin Candida Royalle in den USA mit ihrer Produktionsfirma angefangen, Pornos »von Frauen für Frauen« zu produzieren. Dann wurden die großen Firmen darauf aufmerksam, dass sie mit ihrem Konzept viel Geld machte, und versuchten, sie zu kopieren. Solche Prozesse wiederholen sich heute im Online-Kontext.

Also ein bisschen wie Greenwashing, nur in der Pornoindustrie?

Ja, vom Prinzip her ist das ähnlich. Trotzdem glaube ich an Sehgewohnheiten: Je mehr alternative Darstellungsformen wir sehen, desto mehr wird uns bewusst, dass es nicht das eine Begehren gibt. Wenn auch Mainstream-User*innen merken, dass Porno nicht gleich Porno ist, finde ich das gut. Es kann eben sein, dass ich das, was dich erregt, selbst überhaupt nicht erregend finde, und umgekehrt. Deswegen ist es aber auch umso wichtiger, gerade weibliches Begehren nicht nur auf »female-friendly« Kategorien zu verengen. Genau das schätze ich an der sexpositiven Bewegung.

Angesichts der niedrigen Löhne waren Darsteller*innen oft darauf angewiesen, alles zu tun, was von ihnen verlangt wurde. Hat sich das geändert?

Es kommt auf den lokalen Kontext an. In Australien ist die Mainstream-Industrie recht überschaubar. Es gibt also eine Art soziale Kontrolle: Wenn ein Unternehmen seine Leute nicht angemessen behandelt, dann können sie sich sicher sein, dass darüber gesprochen wird und sie sich eventuell ihren Ruf unter den Darsteller*innen versauen.

Wie ist es denn in der feministischen Pornografie?

Feministische Pornografie hat meistens noch viel kleinere Budgets als Mainstream-Produktionen. Die Bezahlungen, die Darsteller*innen angeboten werden können, sind viel geringer. Das ist auch der Grund, warum man viele Darsteller*innen, die man aus feministischen Produktionen kennt, auch im Mainstream wiederfindet. Es gibt viele, die eigentlich lieber ausschließlich feministische Pornografie machen würden, aber das können sich einfach nicht alle leisten. Zu Arbeitsverhältnissen gehören neben der Bezahlung aber auch weitere Aspekte, und es gibt in der feministischen Pornografie einfach Grundsätze, die es im Mainstream nicht gibt. Beispielsweise, dass Darsteller*innen beim Dreh und der Entwicklung der Filme viel mehr Handlungsspielraum und Einfluss haben.

Was heißt das konkret?

Sie können freier entscheiden, was sie tun oder lassen möchten. Bei meinen Produktionen spreche ich im Vorhinein zum Beispiel lange mit meinen Darsteller*innen darüber, wo ihre Grenzen liegen und warum das so ist. Es hat schon Gründe, dass »ethical« und »feministisch« im Mainstream synonym verwendet werden. Castings sind da auch ein wichtiges Stichwort. Die Chemie zwischen den Darsteller*innen muss stimmen, und sie müssen sich in irgendeiner Weise gegenseitig attraktiv finden. Sonst wird auch der Film nicht gut.

Anna Brownfield

ist eine australische Regisseurin. Mit ihrer unabhängigen Produktionsfirma Poison Apple Productions schafft sie feministische Pornografie für ein internationales Publikum. Filme wie »The Band« oder »The Bedroom« sind auf diversen (queer-)feministischen Festivals gezeigt worden, zum Beispiel dem Porn Film Festival in Berlin oder dem Feminist Porn Award in Toronto. Neben ihren eigenen Erotikfilmen dreht Anna aber auch Filme über feministische Pornografie, wie die Dokumentation »Doing it her way«. Im Fokus ihrer Arbeiten steht immer die Frage nach weiblichen Begehrensarten und ihren Darstellungen.

Anne Meerpohl

hat dieses Interview in freudiger Erwartung des Endes des Patriarchats illustriert. Sie lebt in Hamburg und beschäftigt sich mit queerfeministischen Themen in Form von Illustrationen, Malerei und Texten. Im Fokus steht dabei eine Utopie von Geschlechtlichkeit, Sexualität und Körpern. Mehr von Anne gibt es auf Instagram: @arttellspeople.