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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 654 / 12.11.2019

Aufgeblättert

Extremismusdoktrin

Gleichsetzung von rechts und links und der Versuch, eine »gute Mitte« heraufzubeschwören bzw. zu verteidigen: Die Debatte um »Extremismus« ist nicht neu. Dringlich ist eine Auseinandersetzung im Hinblick auf die Frage, wie das erstarkende rechte Projekt das Extremismuskonzept nutzt. Der Sammelband »Das Extremismuskonzept und neue rechte Konstellationen« arbeitet »Irritationen im Rechts-Links Schema« auf und seziert Begriffe wie »Wehrhafte Demokratie«, »Rechtspositivismus« und »Rechtsextremismus«. Im Anschluss daran analysieren Autor*innen spezifische Zusammenhänge zwischen Extremismusdoktrin und -forschung bei der unzureichenden und verhinderten Aufarbeitung des NSU oder zwischen zunehmenden rechten Überfällen etwa auf Theaterbühnen und gleichzeitiger Normalisierung im politischen und kulturellen Diskurs. Herausgearbeitet wird die bekannte Tatsache, dass die Gefahren eben (auch) aus der Mitte kommen - von »besorgten Bürgern« und durch staatlichen Rassismus - und durch die vermeintlich »demokratisch legitimierte« AfD. Das Buch vereint politikwissenschaftliches Fachwissen mit Erfahrungen aus der (bildungs-)politischen Praxis. Einziges Manko: Das Ziel des Bandes, »kritische Impulse (auch in) politischer Bildung und ... Gewerkschaften« einzubringen, wird aufgrund der sehr spezifischen Beiträge nicht ganz erreicht. Eine wichtige Lesehilfe bieten Kästen, in denen akademische Begriffe sowie disziplinspezifisches Hintergrundwissen erklärt werden.

Hannah Eberle

Barbara Dunkel, Christoph Gollasch und Kai Padberg: Nicht zu fassen. Das Extremismuskonzept und neue rechte Konstellationen. Universitätsverlag der TU Berlin. 254 Seiten, 14 EUR.

Fußball

Es gibt eine Reihe von Büchern, die sich gegen die Kommerzialisierung des Fußballs wenden. Der Aufhänger für Christian Bartlaus »Ballverlust. Gegen den marktkonformen Fußball« ist, dass der Autor persönliche Konsequenzen zog: »Seit dem Abpfiff der WM in Russland habe ich kein Spiel mehr gesehen. Keine Bundesliga mehr. Keine Champions League. Und schon gar keine Nations League. Tschüß, Profifußball.« An der Kritik der Entwicklung des Fußballsports, die Bartlau auf knapp 200 Seiten ausbreitet, gibt es nichts auszusetzen. Sie bietet auch für Eingeweihte interessante Fakten. Wenn ein nationaler Fußballverband für homophobe Fan-Gesänge 8.600 Euro Strafe an die FIFA zahlen muss, ein anderer jedoch 60.000, weil seine Spieler aus Flaschen tranken, die nicht das Logo eines FIFA-Sponsors trugen, spricht das Bände. ak-Leser*innen wird auch Bartlaus Erklärung nicht stören, dass seine Analyse des Fußballs »durch kapitalismuskritische Schriften/Gedanken von Marx und anderen linken Theoretikern beeinflusst ist«. Die »nüchterne Bestandsaufnahme«, die er ankündigt, ist jedoch stellenweise brüchig. Dies wird spätestens deutlich bei der Empörung über den Videobeweis, der dem Spiel angeblich »so viele Emotionen« nimmt. Auch stellt sich die Frage, warum in einem Buch, das den »Erfolg um jeden Preis« kritisiert, Österreich im Klappentext als »Fußball-Wüste« bezeichnet wird. Kein WM-Titel? Kaum Clubs in der Champions-League? Gerade aus Bartlaus Buch ließe sich darauf die einzig vernünftige Antwort ableiten: Na und?

Gabriel Kuhn

Christian Bartlau: Ballverlust. Gegen den marktkonformen Fußball. PapyRossa Verlag, Köln 2019. 223 Seiten, 14,90 EUR.

Politisierung

Strahlende Held*innen sucht man in Cesare Paveses Romanen vergebens. Der Ich-Erzähler in »Der Genosse«, den sie Pablo nennen, weil er Gitarre spielt, bekennt schon auf der ersten Seite: »Ich hatte dieses Leben satt.« Denn geprägt ist es von Belanglosigkeiten: Gelegenheitsarbeiten, Nächten in Kneipen und Varietés, dem Auf und Ab der Beziehung zu Linda, bis vor kurzem liiert mit seinem besten Freund Amelio, der seit einem Motorradunfall gelähmt ist. Dass die Geschichte im faschistischen Italien der 1930er Jahren spielt, wird erst relativ spät deutlich. Pablo geht auch nicht aus politischen Gründen von Turin nach Rom, sondern eher, um aus Turin wegzukommen. Fast zwangsläufig gerät er in der Hauptstadt an Menschen unterschiedlicher Herkunft und Überzeugungen, die Flugblätter gegen den Faschismus verteilen und sich damit in Gefahr bringen. Eine sehr reale Gefahr: Auch Pablo wird verhaftet, kommt aber wieder frei. Er wird weitermachen im Kampf gegen den Faschismus: »Alles dreht sich darum, auszuhalten und zu wissen, warum.« Das Pathos dieses Satzes ist untypisch für einen Roman, der die Politisierung eines unscheinbaren »Helden« zum Thema hat. Erstmals erschien er 1947, drei Jahre vor Paveses Suizid. Mit der Herausgabe des von Maja Pflug neu übersetzten Romans wird nicht nur ein wichtiger Autor des italienischen Neorealismus gewürdigt. Auch den vielen unbekannten Kämpfer*innen des antifaschistischen Widerstandes wird hier ein literarisches Denkmal gesetzt.

Jens Renner

Cesare Pavese: Der Genosse. Roman. Aus dem Italienischen von Maja Pflug. Rotpunktverlag, Zürich 2019. 221 Seiten, 24 EUR.

Frauen*streik

2017 fanden in über 50 Ländern Aktionen unter dem Schlagwort »Frauenstreik« oder »feministischer Streik« statt. Danach erhöhte sich die Zahl weiter, zum 8. März 2019 wurde auch in der Bundesrepublik für einen politischen Streik mobilisiert. Im Ergebnis kam es vor allem zu einem deutlichen Anstieg der Aktivitäten zum 8. März. Die Karlsruher Rechtsanwältin Brigitte Kiechle ist seit der Bewegung für die ersatzlose Streichung des Paragrafen 218 in feministischen Zusammenhängen aktiv. Nun liefert sie eine zugänglich geschriebene und praktisch orientierte Bestandsaufnahme zur Aktionsform Streik. Durch die Kapitel zieht sich ein doppeltes Verständnis von Frauenstreiks: zum einen als Kämpfe in Betrieben, die von Frauen angeführt wurden oder an denen sich besonders viele Frauen beteiligten; zum anderen die »Frauenstreiks neuen Typs« mit den bekanntesten Beispielen Island 1975 und Schweiz 1991. Der Band bietet neben einem Rückblick auf die Ursprünge der Losung auch eine Analyse der Bedingungen, die in Argentinien, den USA und Spanien zunächst zum Erfolg geführt haben. 1994 gehörte die Autorin zu den Erstunterzeichnerinnen des Aufrufs für einen Frauenstreik in der BRD; damals sei die Aufbruchsstimmung nach dem 8. März schnell wieder abgeflaut. Ihre Kritikpunkte an den bisherigen Bemühungen und konkrete Vorschläge zur Neuformierung und strategischen Ausrichtung sind auch vor diesem Hintergrund ein wichtiger Beitrag zur laufenden Diskussion.

Hannah Schultes

Brigitte Kiechle: Frauen*streik. »Die Welt steht still, wenn wir die Arbeit niederlegen«. Schmetterling Verlag, Stuttgart 2019. 112 Seiten, 10 EUR.